Sebastian Bickel

Kastensitz


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können. Hoffentlich nicht lange, war sein erster und einziger Gedanke dazu, und dann wäre seine Zeit gekommen, dann würde er herrschen, er selbst, er allein.

      Karl merkte zudem, wie Plektrud versuchte, ihn um sein Erbe zu bringen, wie sie versuchte den Leuten einzureden, er sei ein Bastard und habe keine Rechte und erst recht keine Ansprüche. Dabei war er sich sicher, dass Pippin seine Mutter Chalpaida geliebt hatte und er ein in Liebe gezeugter Nachkomme war. Außerdem war er doch, wenn man es objektiv betrachtete und ehrlich zu sich selbst war, der einzige fähige Mann, den es noch gab in dieser Familie. Ja, er hatte es nicht umsonst all die Jahre ertragen, dieses kleine, fette, verkohlte Stück Fleisch zu essen, in weniger schönen Kleidern herumzulaufen als die anderen, und die Schmach zu ertragen, die ihm seine Stiefmutter jeden Tag zukommen ließ, um jetzt aufzugeben.

      Eines jedoch lähmte ihn förmlich, denn ihm geisterten immer diese schlimmen Dinge im Kopf herum, in denen er seinen Tod sah, seinen viel zu frühen Tod. Er musste auf jeden Fall verhindern, dass ein solches Ereignis eintraf, denn tot konnte er kaum siegen und schon gar nicht Hausmeier sein. Er musste wachsam bleiben, mit offenen Augen durch das Leben gehen und wenn sich die Möglichkeit bot, mit den Leuten reden, Dinge herausfinden, mögliche Verschwörungen aufdecken und danach natürlich versuchen, möglichst alles zu vereiteln, was ihm in die Quere kommen könnte.

      Karl merkte, dass es schon recht spät geworden war und er eigentlich noch ein paar Erledigungen zu machen hatte, statt dessen aber die ganze Zeit auf dem Kastensitz verplempert hatte.

      Verplempert? Nein, irgendwann mussten ja die Pläne geschmiedet werden und jetzt war er zumindest ein bisschen schlauer als vorher und es verfestigte sich etwas in seinem Gehirn, mit dem er arbeiten konnte um sein Ziel zu erreichen. Immerhin das war ihm jetzt ein bisschen klarer geworden.

      Karl stand aus dem Kastensitz auf und ging weiter in Richtung Schlafgemach, er war von der ganzen Kopfarbeit müde geworden, denn auch, wenn alle immer behaupteten, dass Arbeit mit dem Kopf gar keine Arbeit sei, so sah Karl es anders. Nur wer mit dem Kopf arbeitete, konnte es im Endeffekt zu etwas bringen, wer immer nur mit dem Körper arbeitete hingegen nicht, er war sich dieser Theorie ziemlich sicher, auch wenn sie etwas überheblich klang, aber er hatte eben bei „Platon“ gelernt.

      Er schaffte es gerade noch in sein Bett, schlief zügig ein, hatte aber Albträume, was normal nicht seine Art war. Er träumte davon, wie Plektrud sich über ihn lustig machte und ihn immer und immer wieder auslachte, auf sein Essen spuckte und ihn verhöhnte. Das war nicht schön, gar nicht schön war das!

      Kapitel 2

      Plektrud hatte sehr starke Kopfschmerzen. Und Erinnerungslücken. Sie versuchte seit Sonnenaufgang nachzuvollziehen, was genau passiert sein mochte. Sie wusste nur noch, dass sie feiern gewesen war, auf der Feier eines befreunden Herzogs, anlässlich seines Sieges über – sie wusste es auch nicht mehr so genau, irgend so einen mickrig kleinen Volksstamm – es war ihr im Grunde auch egal, und es hatte Wein in rauen Mengen gegeben. Der auf dem Fest ausgeschenkte Wein gehörte zu dem besten, den sie je getrunken hatte. Er war vollmundig und von angenehmer Süße. Allein schon deswegen hatte sie mehr getrunken, als sie eigentlich wollte. Dazu kam noch eine Tatsache, die sie niemals zugeben würde, aber wenn sie erst einmal zu feiern begonnen hatte, gab es kein zurück mehr, dann wurde gefeiert, da kannte sie nichts. Dann waren alle guten Vorsätze vergessen und auch die Folgen des Feierns konnte sie in diesem Fall sehr gut verdrängen. Und wehe, einer der Mitfeiernden wollte nicht so recht mittrinken, da konnte sie zur Furie werden. Nein, das gab es bei ihr einfach nicht. Schon der Gedanke, dass es Menschen auf dieser Welt geben sollte, die nicht gerne feierten widerte sie jedes Mal an, einfach unvorstellbar.

      So war Eines zum Anderen gekommen, Plektrud war immer heiterer geworden und hatte getrunken und getrunken und getrunken. Und jetzt, sozusagen am Morgen danach, ging es ihr überhaupt nicht gut. Sie fühlte sich hundeelend und suchte verzweifelt nach einer Sitzgelegenheit, um sich den Abend noch einmal ins Gedächtnis zu rufen.

      Sie schlenderte sowohl plan- als auch ziellos durch die Räume, dann raus auf den Gang und wieder rein in irgendeinen beliebigen Raum. Sie wusste nicht so recht, wo sie sich befand, war einfach losgelaufen. Dazu spürte sie die Nachwirkungen des letzten Abends und in ihrem Kopf hämmerte es. Es war ein Gefühl, als würde jemand ihren Kopf an einen harten Gegenstand schlagen, immer und immer wieder.

      Als sie aufs Neue wahllos einen Raum ansteuerte, wurde ihr plötzlich sehr, sehr schlecht. Sie versuchte an die nächste Öffnung in der Mauer zu kommen, dabei war es ihr völlig egal um was für eine Öffnung es sich handelte, fand aber zunächst keine. Als der Würgereiz immer schlimmer wurde und sie es kaum noch zurückhalten konnte, fand sie eine mit schwerem Stoff verhangene Stelle an der Außenwand, von der sie glaubte, dass sich hinter dem Stoff eine Öffnung befände, durch die sie sich erleichtern könnte. Gerade noch so schaffte sie es, den schweren Stoff (und er war wirklich sehr schwer, gerade in einer solchen Situation!) beiseite zu schieben. Plektrud glaubte, ihr Mageninhalt stünde ihr bereits bis Oberkante Unterkiefer, als sie sich übergeben musste. Sie fühlte sich nach diesem Akt der Erleichterung gleich viel besser und war sehr stolz auf sich, nichts nach innen in den sauberen Raum gegeben zu haben, sondern alles schön raus aus dem Loch in der Mauer. Hinein in die Natur.

      Plektrud hatte, als eine Folge des Erbrechens, einen wirklich widerlichen Geschmack im Mund und suchte nun verzweifelt nach etwas Essbarem.

      Es musste etwas sein, das einerseits den sauren Geschmack in ihrem Mund neutralisierte, andererseits aber nicht zu würzig und fettig war und gleichzeitig keinen Alkohol enthielt. Sie ließ ihren Blick durch den Raum wandern und sah in einer Ecke ein Stück Brot liegen. Zugegebenermaßen sah es nicht mehr sehr lecker aus und eine leichte Schimmelbildung war auch zu verzeichnen, aber es blieb ihr keine Wahl, sie brauchte dieses Stück Brot unbedingt.

      Nachdem sie den, wirklich nur oberflächlich vorhandenen Schimmel abgekratzt hatte, gab sie sich dem Genuss dieses trockenen Stücks Brot hin. Schon nach kurzer Zeit war der säuerliche Geschmack in ihrem Mund so gut wie verschwunden. Jetzt konnte sie sich endlich auf die Suche nach einer ordentlichen Sitzgelegenheit machen.

      Mit einem Mal kam ihr die Erinnerung. Sie war in dem Lieblingsraum ihres verstorbenen Gatten Pippin gelandet, dem Raum mit dem gemütlichen Kamin und Pippins heiß geliebten Kastensitz. Plektrud drehte sich um und sah ihn auch schon dominant und würdevoll mitten im Raum stehen. Dass sie solch ein Monstrum vorhin übersehen hatte, ließ sie schon sehr stark an sich selbst zweifeln. Vielleicht konnte sie es wenigstens ein bisschen auf ihren derzeitigen körperlichen Zustand schieben, der ja nicht gerade der Beste war. Auf jeden Fall kam ihr der bequeme Kastensitz gerade recht, um einmal gründlich über ein paar Dinge nachzudenken. Leicht torkelnd lief sie zu dem Sitz und sackte fast ein bisschen obszön in die geschmeidigen weichen Felle, die in den Kastensitz integriert schienen, zumindest aber eine Art Polster darstellten.

      Ganz langsam ging es ihr wieder etwas besser und sie konnte auch schon klarere Gedanken fassen. Jetzt wo Pippin genauso tot war wie Drogo und Grimoald, konnte es zu ernsthaften Problemen kommen, was auch ihre eigene Existenz anging. Um Childebrand machte sie sich weniger Sorgen, denn Pippin war weder mit dessen Mutter verheiratet gewesen, noch hatte dieser Childe – ihr wurde etwas schlecht, wegen der Nachwehen – brand überhaupt in irgendeiner Form irgendeine Bedeutung. Childebrand konnte man mit einer Grafschaft irgendwo im Frankenreich abspeisen, ihm den Titel dazu verleihen und dann hatte man seine Ruhe.

      Aber dieser Karl war ja auch noch da. Plektrud hatte dessen Mutter Chalpaida gehasst. Erst hatte sie ihr den Mann weggenommen und dann auch noch diesen frechen Karl geboren, der zugegebenermaßen nicht gerade dumm war und durchaus ein gesundes Selbstbewusstsein entwickelt hatte, völlig zu unrecht, wenn man Plektrud fragte.

      Sie musste schnell etwas zu ihrer Aufheiterung unternehmen, denn zu den Nachwehen der Feier von gestern durfte sich jetzt kein Zorn gesellen, das würde übel für sie ausgehen, soviel wusste Plektrud. Also schnell an etwas anderes denken, die Beherrschung und innere Zufriedenheit zurück erlangen. Mit einem Mal kam ihr etwas Passendes in den Sinn, etwas, das sie jeder Zeit aufheitern konnte: Reichtum. Ihr eigener Reichtum. Im Gegensatz zu Chalpaida war sie geradezu unverschämt reich an Gütern, da hatte die Kleine niemals mithalten können. Oh ja, reich