Roland Reitmair

Nachspiel


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das „Du“ angetragen.

      „Ja dann sag uns eben noch schnell, dass das passt mit deinem Versprechen damals – dass du uns diese Wolkenkratzer nicht vors Küchenfenster hinstellen lässt“, sagte Gustl, „dann sind wir schon zufrieden, gehen und lassen dich in Ruh‘.“

      „Das war erstens kein Versprechen und zweitens meinte ich damals nicht...“

      „Du hast noch nie auch nur irgendwas so gemeint, wie du es gesagt hast, du hast nur ein Glück: nämlich kein Unternehmer zu sein, sondern Politiker. Als Unternehmer würdest du längst vor Gericht stehen. Leider sind zu viele Leute egoistische Ichmenschen. Die kaufst du mit deinen zweifelhaften Zusagen. Damit du nicht abgewählt wirst.“

      Aber das war das letzte Mal, dass Gustl wegen irgendwas auf die Barrikaden stieg. Mit der Hand hielt er sich die Brust, während er mit einem bleichen, verkrampften Gesicht dahinwetterte.

      Die Umstehenden lachten über seine theatralische Art und der Bürgermeister hatte plötzlich Oberwasser.

      „Schau‘n Sie August, die Wohnungen sollten immerhin an sozial Bedürftige vergeben werden. Da konnte die Gemeinde nicht dagegen entscheiden. Es gibt so viele Menschen, die – wie ihr Cousin vor drei Jahren – unbedingt eine Wohnung brauchen. Sie wissen ja, ohne Wohnung keine Arbeit und umgekehrt. Hier sollen nun vom Land geförderte Wohnungen entstehen, die sich speziell eben auch Kleinverdiener leisten können. Wir von der Gemeinde werden die meisten Zuteilungen durchführen, damit sichergestellt wird, dass auch wirklich nur die Bedürftigen zum Zug kommen...“

      Gustl ärgerte sich: “Weißt du was Bürgermeister, du lügst sobald du den Mund aufmachst. Und wennst es noch so schön daherredest, mich wirst du nicht einwickeln. Ich kenn‘ dich, da geht‘s um viel Geld, um das von deinem sauberen Freund Zellinger, aber auch um dein Geld. – Ich hab einen guten Tipp für dich“, spottete er, „Du solltest nach Italien gehen, Palermo, dort hast mit deiner Art sicher die besten Voraussetzungen für die Finanzverwaltung.“

      „Jetzt beruhigen Sie sich doch August, ich hab doch damals lediglich gesagt, dass derzeit im Flächenwidmungsplan eine Einfamilienhausverbauung vorgesehen ist und zu der Zeit war das so. Jeder Mensch weiß doch, dass sich so ein Flächenwidmungsplan jederzeit per Gemeindebeschluss ändern kann.“

      „Falscher Hund, falscher – aber wir hören uns noch! Pfiat di Bürgermeister“

      „Ja pfiat di“

      Ärgerlich stieg der Edtauer in seinen Mercedes und fuhr los. Gustl stand noch kurz unschlüssig vor dem Gemeindeamt, fluchte lautstark und schlurfte dann davon.

      III

      Die Marktgemeinde Thalheim bestand grob gesehen aus zwei Teilen – nördlich der ältere und historisch gewachsene Ortsteil an der Traun bis hinauf zum Schloss und der Kirche am höchsten Punkt, sowie der südliche Ortsteil dahinter am Kirchplateau und den angrenzenden Parzellen, wo sich erst seit kurzem die reichen Bürger der nahen Stadt Wels zwischen einzelnen alten Bauernhöfen ihre Villen bauen ließen.

      Das Gemeindeamt befand sich im nördlichen und älteren Teil. Doch auch dieser gewachsene Ortsteil hatte eigentlich keinen Charakter. Erhaltenswerte „alte Bausubstanz“, Bürgerhäuser oder dergleichen gab es nicht. Der ganze Ort war ein bebautes Durcheinander ohne wirkliches Zentrum. Wo früher ausgedehnte Auen und Felder gewesen waren, wurde nun rigoros „umgewidmet“. Dort ein Einkaufszentrum, drüben das Dienstleistungszentrum, hier eine „Uferarkade“ zur Firmenansiedlung, und das Industriegebiet am Thalbach.

      Nicht nur die Namen der Bauprojekte, sondern die ganze dahinterstehende Bebauungspolitik trieb seltsame Blüten. Wucherte wie bösartige Krebszellen. Gustl nahm den Gehweg durch den kleinen Wald oberhalb der Gemeindestraße hinauf zum Plateau. Über einige Steinstufen, die zur Umfriedung führten, erreichte man unweit der Kirche das wie eine Kapelle gestaltete Kriegerdenkmal. Meistens lagen dort Kränze. Kerzen brannten. Die Heimkehrer kümmerten sich rührend um die Gedenkstätten für ihre gefallenen Helden.

      Gustl dachte an seinen Vater. Der war ein kommunistischer Widerstandskämpfer in diesem unseligen Krieg gewesen – außerdem hatte er überlebt. So gesehen schien er also sicher kein Held zu sein.

      Der Vater. Mit seinen grauen, strähnigen Haaren. Als Mensch mochten ihn eigentlich alle, obwohl er mit seiner Einstellung überall aneckte.

      Die eigenen Parteifreunde hatten es ihm verübelt, dass er bei einer Versammlung einmal sagte, Kommunismus und Christentum wäre nicht so verschieden, vor allem kein Gegensatz. Jeder wahre Christ wäre ihm lieber als die sogenannten Linken, die erst wieder nur den eigenen Vorteil im Auge hätten.

      „Apparatschiks, die nichts Besseres im Sinn haben, als die neue Gesellschaft tot zu rüsten, um die andere Seite zu beeindrucken ...“

      Die vom Vater in Schutz genommenen Christen hielten ihm dafür vor, dass er, wenn er auf Nächstenliebe vertrauen würde, ja wohl keine Revolution dazu brauche und keine Diktatur seines Proletariats. Dann könnte er doch auf die Kraft seines Glaubens bauen ... Aber den Glauben an einen lenkenden, denkend Gott hatte Gustls Vater spätestens in diesem Krieg verloren.

      Ein paar Unverbesserliche wiederum – ewig Gestrige, mit denen er gelegentlich Karten spielte – schätzten ihn zwar, weil er nicht nachtragend war und darauf verzichtete „die alten Sachen wieder aufzuwärmen“, die sagten aber, dass er eben nur das andere Extrem gewählt hätte.

      „Die Russen haben genauso viele Schweinereien gemacht, genau so viel Dreck am Stecken“, hielten sie ihm einmal vor. Da war der Gustl vielleicht sieben oder acht, saß neben seinem Vater auf der Wirtshausbank und kaute an einer Leberkäsesemmel herum.

      „Naja, ich jedenfalls nicht“, sagte Vater. „Ja, wir auch nicht.“ Roland, einer der Kartenspieler, wurde immer leicht gereizt, wenn es um Politik ging. „– lassen wir das. Vierzig“, sagte er und spielte aus.

      Das war beim Metzger, hinten im Stüberl, wo sich die Einheimischen am Samstag immer zum Kartenspielen trafen. Gespannt verfolgte der Gustl, was die Erwachsenen da plötzlich mit schneidender Stimme zu besprechen hatten. Er merkte, dem Adolf war nicht so ganz wohl in seiner Haut, „Trinkst auch noch einen?“, fragte dieser den Vater. Gustl verhielt sich still.

      Erst daheim wollte er dann wissen, was mit dem Adolf in dem Moment los war, warum der so seltsam geschaut hatte.

      „Ach weißt, Gustl“, sagte sein Vater, „der Adolf hat nicht nur den gleichen Namen wie der Schickelgruber, der hat sich damals viel von den angekündigten Neuerungen versprochen. Und er hat halt vieles nicht sehen wollen, was so passiert ist. Das tut ihm jetzt leid ...“

      Was er denn getan hätte, wollte Gustl wissen, aber der Vater sagte nicht viel. Nur, dass Adolf im Grunde bestimmt nichts Böses wollte. Dass er halt wie so viele andere damals einfach mit den falschen Mitteln versucht hatte, die schlechte Zeit zu meistern ...

      Den Adolf konnte der Gustl eigentlich immer gut leiden. Der kam früher auch oft zu ihnen nach Hause, mit seiner Frau, der Eva. Dann wurde Karten gespielt. Bauernschnapsen. Frauen gegen die Männer. Gustl saß daneben und „kiebitzte“. Während aber der Adolf noch lachen konnte, selbst wenn Gustl gar einmal seine Karten verriet, schimpften Eva und die Mutter schnell einmal.

      Adolf erklärte ihm dann jedes Mal, dass die „Damen“ ohnehin schon so einen schweren Stand hätten. Und wenn die Frauen dann lautstark protestierten, lachte er noch mehr und drohte ihnen einen „Schneider“ an.

      Und bevor Adolf mit der Eva heimging, steckte er Gustl meistens noch einen Fünfziger oder einen Hunderter zu. „Für die neue Angelrute“, sagte er und sagte es auch noch, als der Gustl schon längst eine neue gekauft hatte.

      Das letzte was Gustl vom Adolf gehört hatte war, dass sein Sohn bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei. Viele aus dem Ort meinten damals, er hätte das Tunnelportal extra anvisiert, aus Liebeskummer.

      „Der Adolf hat sich seither nicht mehr erfangen. Pausenlos redet er vom Umbringen, weil er in seinem Leben noch