Wolfgang Wegner

Nacht über Marrakesch


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mir in kleinen Bächen die Schläfen hinab.

      Vor mir die Schlange, hinter mir der Blonde, von dem ich fürchte, er würde mich wieder zurückstoßen. Verzweifelt überlege ich, was zu tun ist, aber schon sehe ich der Schlange in die Augen.

      Schlangen sind Kaltblüter, sie empfinden keine Gefühle, sage ich mir selbst. Und doch ist da ein böses, zynisches Blitzen in den kleinen schwarzen Augen der Bestie.

      Dann geschieht etwas Seltsames. Eine Stimme, die der meinen täuschend ähnelt, aber viel energischer klingt, ruft: „No! Stop!“.

      Verdutzt hält der Schlangenmann in seiner Bewegung inne, seine dunklen Augen verengen sich für einen kurzen Moment, bevor er in ein kehliges Lachen ausbricht und auf Arabisch etwas zu mir sagt, das in meinen Ohren abfällig klingt. Dann wendet er sich neuen Opfern zu, einer Familie, die ebenfalls aus zu großer Neugier die imaginäre Grenze zum Revier der Schlangenbeschwörer überschritten hat.

      Ich atme durch und bemerke erst jetzt, dass meine rechte Hand erhoben ist. Schnell lasse ich sie sinken und befürchte, eine Geste gemacht zu haben, die man hier besser nicht machen sollte.

      Hilfesuchend drehe ich mich zu dem Blonden um, doch der Platz, an dem er gestanden hat, ist leer, wenn man das von irgendeiner Stelle des Djemaa el Fna überhaupt behaupten kann. Ich sehe mich nach rechts und links um, sehe Touristen mit weißer Haut, großen Kameras und geschmacklos bunt zusammengestellter Bekleidung, sehe mit Niqab verschleierte Frauen und Männer mit Bärten, afrikanische Händler, anmutige, elegante Marokkanerinnen mit raffiniertem Make-up, das ihre orientalische Schönheit noch hervorhebt, sehe umherstreifendes Volk aller Couleur. Aber einen blonden Mann in weißem Hemd und weißer Hose kann ich nirgends erblicken.

      Irritiert setze ich meinen Weg fort. Verlockender Duft gebratenen Fleisches weht von den Garküchen herüber und wird von meinem Magen mit einem fordernden Knurren kommentiert. Geradewegs steure ich die weiße Dunstwolke an, die über den vielen dicht an dicht stehenden Essensständen wabert. Aufkommende Zweifel, ob mein europäischer Magen die dargebotenen Genüsse vertragen wird, wischt jener Bereich des Gehirns einfach beiseite, der für die Bedürfnisbefriedigung zuständig ist.

      Aber ich komme gar nicht bis zu den Garküchen. Wieder erregt eine Menschentraube meine Aufmerksamkeit. In ihrer Mitte springt ein etwa siebzigjähriger Mann wild herum und ruft den Zuschauern etwas zu, ohne viel Reaktion hervorzurufen. Das macht ihn noch wütender, er scheint die Menschen um ihn herum zu beschimpfen, bleibt dann abrupt stehen, hebt die Arme gen Himmel und ruft mit einer gespielten Mischung aus Verzweiflung und Wut: „Allah u akhbar!“

      Gelächter folgt.

      Die Szenerie zieht mich magisch an. Ich möchte wissen, was als nächstes passiert und stelle mich zu den anderen.

      Der Alte setzt ein Stirnband auf, an das zwei schmutzige Sohlen von einst weißen Badelatschen geklebt sind. Ich runzle die Stirn, kann mir keinen Reim auf diese Aufmachung machen, bis ich verstehe: Hier tanzt ein arabischer Eulenspiegel und erzählt seine Geschichten.

      Ich lache, auch wenn ich seine Worte nicht verstehe. Der Alte läuft immer wilder im Kreis herum, schreit und fuchtelt ekstatisch mit den Armen, als ob er sich in Trance versetzen wollte. Doch dann bleibt er so überraschend stehen, dass man fast hören kann, wie die Umstehenden den Atem anhalten und mit Spannung erwarten, was geschehen wird.

      Der alte Gaukler steht wie angewurzelt inmitten des Kreises seiner Zuschauer. Wie ein Pfeil von der Sehne schießt plötzlich sein rechter Arm nach vorne – und zeigt geradewegs auf mich! Ich erschrecke, grinse verlegen und blicke mich um, denn sicher ist ein anderer gemeint. Doch alle Umstehenden starren mich mit offenen Augen an.

      Als ich mich wieder dem Alten zuwende, begegnen sich unsere Blicke. Seine Augen funkeln bösartig, dann beginnt er zu schreien. Er schreit mich an, während sein Arm weiter starr auf mich gerichtet ist. Anklagend.

      Habe ich schon wieder einen Fehler gemacht? Ich bin mir zwar keiner Schuld bewusst, aber meine Verlegenheit weicht der Angst. Die Menschen neben und hinter mir bedrängen mich. Oder glaube ich das nur? Ich schwitze und friere zugleich, bekomme Platzangst und mein Brustkorb droht aufzuplatzen.

      Ich will mich umdrehen, weglaufen, aber ich bin unfähig, mich zu bewegen.

      Wie im Fieber sehe ich mir gegenüber in der Menge den Blonden. Er lacht. Dieses Lachen beruhigt mich wie ein Kind, das von der Mutter getröstet wird. Mechanisch bewegen sich meine Arme. Ich krame in den Taschen meiner Jeans, finde einige Münzen, und werfe sie dem schreienden Alten vor die Füße, der augenblicklich verstummt. Er senkt den Arm in Zeitlupe und bückt sich nach dem Geld. Ich weiß nicht, wie viel es war, aber er scheint zufrieden, nimmt seine tanzenden Bewegungen wieder auf und wendet sich dem Rest des Publikums zu.

      Eine Stimme neben mit flüstert: „Komm, es wird Zeit“. Mechanisch drehe ich mich um und verlasse den Ring der Zuschauer.

      2

      Es ist die Stimme des Blonden gewesen, die mich aus dem Bann des Geschichtenerzählers gerissen hat. Er nimmt mich am Arm und führt mich fort aus dem Gewühl des Platzes hin zu einem dunklen Eingang, der zwischen Souvenirläden wie der Schlund zur Hölle wirkt.

      Zuerst kann ich nicht erkennen, wohin wir gehen, doch dann wird mir klar: Der Blonde führt mich in die Souks, die einem gigantischen Labyrinth gleichenden Märkten Marrakeschs!

      Kaum dass wir die Schwelle überschritten haben, umfängt mich eine fremde, im Halbdunkel liegende Welt. Hier, unter dem vor Sonne, Wind und Regen schützenden Wellblechdach, das nur ab und an Öffnungen aufweist, herrscht ein irrsinniges, von vielen Funzeln unterschiedlicher Art und Größe diffus erhelltes Gewusel, das einer ungeschriebenen Gesetzmäßigkeit zu folgen scheint.

      Meine Augen brauchen einen Moment, um sich an das Zwielicht zu gewöhnen, dann betrachte ich die Auslagen der Händler etwas genauer und werde von meinen orientalischen Träumen in die Wirklichkeit zurückgeholt. T-Shirts, Schuhe, Handtaschen, Parfüms und die üblichen kitschigen Souvenirs liegen, stehen und hängen dicht an dicht in den schmalen, engen Verschlägen der Händler, die allesamt durch Zurufen einzelnen Wortbrocken der verschiedensten Sprachen herauszufinden versuchen, wo ich einzuordnen bin.

      Der Schritt des Blonden ist so forsch, dass ich kaum mithalten, geschweige denn auf die Rufe der Händler reagieren kann. Letzteres ist nach meinen bisherigen Erfahrungen sicher nicht das Schlechteste.

      Mein neuer Freund biegt immer wieder nach links und rechts in neue, oft noch dunklere Gassen ab und ich habe längst jede Orientierung verloren. Will er mich mit Absicht verwirren, mich von ihm abhängig machen? Ohne seine Hilfe finde ich hier nicht mehr hinaus.

      Ist er überhaupt mein Freund? Wir haben keine fünf Sätze miteinander gewechselt. Ich kenne ihn nicht und frage mich jetzt, warum ich ihm folge.

      Ich muss schneller laufen, um ihn nicht zu verlieren. Muss mich vorbeizwängen an Körpern, kann mich bei ungewollten kleinen Remplern nicht entschuldigen, und weiche ständig den Mopeds aus, die knatternd, hupend und betäubend nach Benzin stinkend durch die Gassen der Souks rasen. Wenn eines heranbraust, folgen darauf noch weitere. Das habe ich schnell verstanden.

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