Sie störe durch das Weinen die Ruhe im Grabe. Einen ähnlichen Trosttraum will ich hier mitteilen. Eine ältere Dame, die vor zwei Jahren ihren Gatten verloren hatte, träumt:
(15.) „Ich sehe unsern Hund alt und verfallen am Sofa liegen und sein Leben aushauchen. Mein Schwiegersohn kommt plötzlich nach Hause mit einem kleinen, lieben, braunen Hund. Ich frage ihn: „So schnell hast du dich getröstet?“ Er zuckt die Achseln und sagt: „Warum nicht? Wer hat was davon, wenn ich noch traure. Man muss sich in das Unvermeidliche fügen.“
Dieser Traum wurde gerade am Todestag des Mannes geträumt. Zwei Jahre hatte die Witwe Trauerkleider getragen und sich kein Vergnügen gegönnt. Im Traume vertritt ihr kluger Schwiegersohn ihre eigenen Gedanken: Trauere nicht weiter. Was hast du von der ewigen Trauer? Sieh, wie es die klugen Leute machen.
Diese Objektivierung der eigenen Gedanken durch einen anderen ist ungemein häufig. Wir könnten noch weitere geheime Gedanken annehmen. Der Alte (Hund als Schmähung) stirbt, nimm dir einen Jungen. Ferner Befürchtungen, der Schwiegersohn könnte sich rasch trösten, wenn seine Frau (ihre junge braune Tochter) sterben würde.
Doch bleiben wir vorläufig noch hübsch auf der Oberfläche...
Ein sehr feines, künstlerisch veranlagtes Mädchen erzählte mir, sie hätte heute nachts einen „wunderschönen hochpoetischen“ Traum gehabt, der ihr einen unvergesslichen Eindruck gemacht habe. Sie erzählt ihn mir und schreibt ihn auch über mein Verlangen auf:
(16.) „Ich hatte mich schon vorher mit zwei Mädchen in dem Eisenbahnzug befunden, und zwar bei der geöffneten Tür und dunkel empfunden, dass ich mit der einen, J. K., harmonierte und zwischen der H. und mir etwas lag.
Später saß ich in einem großen Durchgangscoupé III. Klasse an dem Fensterplätze ganz links vom (mit der Fahrtrichtung) Rücken an Rücken mit mir die beiden. Im Übrigen hatte ich die Empfindung, als ob niemand weiter im Coupé sei.
Dann stand ich auf und sah vor diesem Fenster den Mond schweben in Gestalt eines riesigen Eidotters, in der doppelten Größe ungefähr, wie wir ihn gewohnt sind zu sehen. Links davon einen leuchtenden, dazu passenden Ring, wie der Saturn ihn haben soll. Ich sagte nun, wie eigentümlich es doch sei, dass der Mond so nahe der Eisenbahn schwebe, worauf mir H. entgegnete, es sei nur eine optische Täuschung, „So“, sagte ich, „sollte nur ich das sehen“ und griff hinaus, um den Mond mit beiden Händen zu fassen und in das Coupé hereinnehmen. Den Ring ließ ich unbeachtet, er schwebte nur so mit. Aber der Mond war unter meinen Händen ganz elastisch und schwebte fest und sicher im Raume. Es war nur so ungefähr, als wenn man ein schönes Dotter in der Suppe mit dem Löffel bearbeitet und es nicht auseinandergeht und immer wieder rund wird. Da ließ ich ab und setzte mich ganz erschöpft zurück mit dem Gedanken, wie es doch von mir vermessen sei, den Mond hereinnehmen und der Erde den Mond rauben zu wollen und ich weiß nicht, ob ich es ausgesprochen habe, aber jedenfalls gab mir H. zu verstehen: Vermessen wäre es nicht. Du verstehst das nur nicht, du bist noch nicht so weit und kennst den Zusammenhang der Dinge nicht. Sie meinte deutlich den psychologischen Zusammenhang. Alles greift ineinander mit unendlichen Fäden und geht wieder in sich selbst zurück. Ich setzte mich zurück und schwieg, dachte mir aber: Wie sonderbar und komisch!
Aus diesem „unschuldigen Traum einer Jungfrau“ könnte man fast eine Analyse ihres Seelenzustandes machen. Man merkt, wie vieles ihr schon dunkel bewusst ist und wie sie sich gegen manche Erkenntnis wehrt. So wird das Zusammenpassen von einem ins andere als „psychologisch“ vom Organischen abgedrängt. Man merkt ferner, wie sie diese Regungen als Sünde empfindet und ihre Freundin H., das einfache süße Mädel, das einen Geliebten hat, um ihre Erfahrungen beneidet. Der Traum gibt keine Rätsel auf: Es ist eine einfache, poetisch angelegte unbefriedigte Person. Ich setze voraus, dass man das Bild des Mondes sofort als Penis und Testikel entlarvt hat.
Der Ring ist der Ehering. Den Ring lässt sie später unbeachtet. Sie ist also zu einem außerehelichen Koitus wie ihre Freundin H. bereit. Der Absatz „das verstehst du noch nicht. Alles greift ineinander mit unendlichen Fäden (Samenfäden!) und geht wieder in sich selbst zurück“, ist besonders auffallend. Auch ist es bezeichnend, dass ihr Coupé (Vagina) ein Durchgangscoupé ist. Der vulgäre Ausdruck der Hoden kommt in dem „Eidotter“ zum Vorschein.
Einen fast identischen Traum berichtet uns das Frl. Gamma:
(17.) „Ich sah in der Luft einen großen Globus, von einem Ring aus blauem Glase wie ein Rad umgeben, schweben.“
Die Deutung ist die gleiche. Der Ehering ihrer Mutter trägt ein wundervolles blaues Glas. Der Ring am Finger ist aber das Symbol der geschlechtlichen Vereinigung. Der Priester steckt den Ring an den Finger der Braut, d. h. sie soll jetzt den Akt der Ehe kennen lernen.
In beiden Träumen wird das bisexuelle Symbol gesehen: die Kugel und der Ring — also das Lingam.
Eine andere Genitalsymbolik bringt der Traum der Witwe J. N.:
(18.) „Ich war auf dem Markte einkaufen. Die Leute gingen nach Hause. Die Lichter erloschen. Wir gingen in die Garderobe. Mein Regenschirm war nicht da — sondern ein anderer mit abgebrochenem Griff. Der Griff war wie ein polnischer Jude geschnitten — mit einer großen Nase wie ein Korkzieher. Ich nahm ihn in die Hand, um zu probieren, ob ich mich darauf stützen kann und dachte: Der Schirm ist besser als er aussieht."
Der Regenschirm ist ein häufiges phallisches Symbol. Das Aufmachen entspricht der Erektion. Die arme Frau hat ihren Mann verloren („das erloschene Licht“). Sie hat keinen Phallus mehr („mein Regenschirm ist nicht da“). Ihr bester Freund ist ein Jude. (Der abgebrochene Griff und der geschnittene Griff Anspielungen auf die Zirkumzision – männliche Beschneidung.) Der Sinn des Traumes ist: „In der Not frisst der Teufel Fliegen. Versuche es mit dem Juden; er ist jetzt deine einzige Stütze in deinem Elend. Vielleicht ist er stärker, als du geglaubt hast.“
Etwas komplizierter ist der nächste Traum, den mir ein Philosoph X. Z. erzählte:
(19.) „Ich träume von einem Dreieck, das irgend einen philosophischen Gedanken symbolisieren soll und mir und vielleicht noch jemand anderem als Unterlage dient. Das Dreieck wird immer schmaler und spitzer, zuletzt ist es nur wie ein Spieß und kann also für nichts mehr die Basis bilden, und ich muss in eine ungeheure Tiefe hinabfallen. Ich erwache mit einem lauten Schrei und zittere am ganzen Körper.“
Er lebt gemeinsam mit einem Ehepaar. Der Mann ist sein bester Freund. Er hat ein dreieckiges Verhältnis. Die Basis dieses Verhältnisses ist der Freund. Diese Basis entschwindet, d. h. der Freund stirbt. Er vereinigt sich mit der Frau. Dieser Tod soll künstlich herbeigeführt werden. Er hat Mordgedanken (Spieß — Spießgeselle) und der Sturz in die Tiefe ist das grauenvolle Verbrechen, von dem seine geheimsten Gedanken träumen. Der Lingam nach dem Tode des Mannes erklärt das Rätsel, wie aus einem Dreieck eine Einheit wird. Hier führen Assoziationen zum religiösen Schuldbewusstsein (Dreieinigkeit). Die „philosophischen“ Gedanken sind verhüllte erotische Wünsche. Tiefere Schichten gehen auf das Verhältnis des Kindes zu den Eltern.
Herr Dalton träumt:
(20.) „Ich habe zwei verschiedene Schuhe an: links einen gelben, rechts einen schwarzen.“
Er liebt zwei Wesen: ein blondes und ein schwarzes. Noch wichtiger die Bedeutung: schwarzgelb. Er ist Österreicher und tritt die Farben des Kaisers (Vaters) mit Füßen. Er ist ein typischer Zweifler. Er schwankt ewig zwischen Mann (der schwarze Vater) und Weib (die blonde Mutter). Sein Wunsch ist es, beiden gerecht zu werden... Sein psychischer Hermaphroditismus (Intersexualität) (Adler) drückt sich wunderschön in diesem Bilde aus. Auch seine heftigsten Leidenschaften: die Eifersucht (gelb) und seine finsteren Rachegedanken (schwarz).
Mancher Traum bringt seltsame Wunscherfüllungen. Er trachtet sündhafte Wünsche in anständige Realitäten umzuwandeln. Eine keusche, ihrem Manne innig ergebene Frau interessiert sich für einen jungen Schriftsteller. Sie möchte ihn gerne kennen lernen. Der Traum bringt ihr die erwünschte Situation. Sie träumt:
(21.) „Ich liege im Bette nach einer schweren innerlichen Operation. Zu meinen Häupten steht mein Gatte, sieht mich zärtlich und gütig an, hält seine Hand auf meiner Schulter. Über mich gebeugt,