Joachim Stiller

Versuche über den sozialen Organismus


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      Arbeit, Lohn und Preis

      „Was der Arbeiter verkauft ist nicht seine Arbeit, sondern seine Arbeitskraft (Fähigkeit), über die er dem Kapitalisten vorübergehend die Verfügungsgewalt überlässt. Das ist so sehr der Fall, dass ... durch Gesetze die maximale Zeitdauer, wofür ein Mann seine Arbeitskraft verkaufen darf, festgesetzt ist.“ (Karl Marx, Lohn, Preis und Profit, Berlin 1973, S.40)

      Fragen wir uns, was hier eigentlich genau vorliegt. Was hier vorliegt, ist nichts anderes, als eine „ursprüngliche“ Trennung von Arbeit und Einkommen, die bereits von Marx beobachtet und konstatiert wurde. Das Einkommen ist in diesem Zitat von Marx absolut nicht auf die Arbeit bezogen, sondern einzig und allein auf die Fähigkeiten der Menschen (ihre Arbeitskraft

      nämlich). Würde etwa jeder nach seinen Bedürfnissen entlohnt, dann wäre die Trennung von Arbeit und Einkommen perfekt. Allein das ist nicht der Fall. Durch bestimmte Mechanismen der Entlohnung wird die eingangs beschriebene Trennung von Arbeit und Einkommen ganz oder teilweise wieder aufgehoben. Dann ist das Einkommen eben wieder ganz oder teilweise auf die Arbeit, und nicht auf die Fähigkeiten bezogen:

      Im 1. Fall handelt es sich um Stücklohn.

      Im 2. Fall handelt es sich um Zeitlohn.

      Beim Stücklohn ist die Trennung von Arbeit und Einkommen vollständig ausgehebelt, ein Lohnsystem, dass an Unmenschlichkeit kaum zu überbieten ist, beim Zeitlohn hingegen ist die Trennung nur zur Hälfte ausgehebelt. Heute ist der Zeitlohn allgemein die übliche Praxis der Entlohnung. Will man nun eine „vollständige“ Trennung von Arbeit und Einkommen erreichen, dann führt kein Weg an einem reinen Bedarfseinkommen vorbei. Wie aber soll so etwas aussehen? Wir haben heute immer noch überwiegend Flächentarifverträge. Würde man diese aufs Spiel setzen und aushebeln, könnte das leicht zu Dumpinglöhnen führen. Aus einer freien Vertragsvereinbarung wird, zumindest von dieser Seite her nichts. Und wie sieht es mit dem genauen Gegenteil aus? Was wäre, wenn alle den gleichen Lohn bekommen würden, alle ohne Ausnahme? Dann wären die Menschen auf Dauer auch unzufrieden, denn ein solcher Einheitslohn widerspricht dem ursprünglichen Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden der Menschen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte zwischen Einheitslohn und freier Vertragsvereinbarung über den Bedarfslohn. Man sieht, wie schwierig das Unterfangen einer wirklichen Trennung von Arbeit und Einkommen tatsächlich ist. Es scheint kaum ohne größere Streitigkeiten realisierbar, Streitigkeiten die von der Sache her vorprogrammiert sind.

      Dass ein Stücklohn nicht in Frage kommt, da er zutiefst unsozial ist, braucht hier nicht extra gesagt zu werden. Demgegenüber ist aber der Zeitlohn heute übliche Praxis. Der Wert einer Arbeitsstunde wird branchenübergreifend festgelegt und mit der geleisteten Arbeitszeit multipliziert. Das Ergebnis ist der reale Lohn. Aus dem Lohn wiederum und dem Arbeitsprodukt (Ausbringungsmenge) ergeben sich die Preise der Waren, und zwar durch betriebswirtschaftliche Kalkulation. Dabei zählt der Profit des Unternehmens (des Unternehmers) natürlich mit als Einkommen, um mitkalkuliert zu werden. Wir leiten also beim Zeitlohn den Lohn teilweise von der Arbeit ab (Arbeitszeit) und teilweise von den Bedürfnissen (Kosten der Arbeitsstunde) Danach leiten wir die Preise von den Löhnen aller und der Ausbringungsmenge (Arbeit) ab.

      Etwas anders würde es sich hingegen beim Bedarfslohn verhalten. Der Bedarfslohn ist ganz auf die Fähigkeiten (Arbeitskraft) bezogen und wird mehr oder weniger frei vereinbart. Vom Lohn (Bedarf) einerseits und von der Ausbringungsmenge (Arbeit) andererseits würden sich dann die Preise für die Waren ergeben, und zwar nach genau der gleichen betriebswirtschaftlichen Kalkulation, wie oben.

      Für welchen der drei Wege sollen wir uns aber nun entscheiden? Der Stücklohn ist sehr einfach, aber viel zu unsozial, der Bedarfslohn ist zwar sozial, aber viel zu kompliziert und würde größere gesellschaftliche Unruhen mit sich bringen. Allein der Zeitlohn steht hier in der Mitte zwischen den beiden kaum praktikablen Extremen. Der Zeitlohn steht in der Mitte zwischen dem Sozialen und dem Unsozialen, und dabei ist er noch in ausreichendem Maße handhabbar Ich möchte mich daher hier unbedingt für die Beibehaltung des Zeitlohns aussprechen, als dem goldenen Mittelweg. Durch den Zeitlohn ist die Trennung von Arbeit und Einkommen genau zur Hälfte erreicht. Das muss uns genügen.

      Nun tritt aber seit einigen Jahren noch etwas ganz anderes auf, und zwar das bedingungslose Grundeinkommen. Damit steht es aber derart im Argen, dass ich mir hier eine genauere Analyse einfach ersparen möchte. Nur so viel: Das bedingungslose Grundeinkommen ist „das“ dämonische Gegenbild zur Trennung von Arbeit und Einkommen schlechthin und unter allen Umständen abzulehnen, jedenfalls nach allem, was ich für richtig halte.

      Literaturhinweis:

      - Hans Georg Schweppenhäuser: Arbeit, Lohn und Preis in ihrem Zusammenhang (leider ist

      das Werk trotz seines Anspruchs doch sehr konstruiert)

      Joachim Stiller Münster, 2011

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