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und Nöte kurzerhand vergessen ließ. Wie war es nur möglich, dass dieses Tier mich so derart ablenken konnte und ich darüber hinaus alles um mich herum vergaß – selbst die Versorgung meines unfreiwilligen Gastes?!

      Doch bald darauf hatte mich die Wirklichkeit wieder. Denn leider erledigen sich viele Dinge nicht von selber. Mit wenigen Handgriffen und meinem handwerklichen Geschick, bastelte ich aus den Resten eines Rollladengurts eine ganz ansehnliche Hundeleine. Damit konnte mich der Fifi auf meinen Einkäufen und weiteren Besorgungen begleiten.

      Der Weg zum Supermarkt führte uns beide durch das Neubaugebiet einer Einfamilienhaussiedlung. Hier reihten sich schmucke Häuser und prächtige Villen nahtlos aneinander. Es war eine gepflegte und ruhige Gegend. Während ich so dahinschlenderte und die prächtigen Baustile bewunderte, fühlte ich in meiner Jackentasche noch ein gefaltetes Flugblatt. Ein geeigneter Laternenmast zum befestigen war auch schon gefunden.

      In diesem Moment trafen Glück, Zufall und meine unermüdlichen Anstrengungen günstig aufeinander. Zielstrebig näherte ich mich dem Lichtmast und zog den Zettel aus der Tasche. Um ihn aber sicher befestigen zu können, fehlte mir die zweite Hand. Somit ließ ich, für einen Moment, dem kleinen “Hündchen“ seine Freiheit und legte den Gurt auf den Boden.

      Wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen überquerte der Freigänger die Straße und huschte, wie selbstverständlich auf das nächste Grundstück in den Garten hinein. Meine Blicke konnten kaum folgen, so schnell war der Kleine in der Einfahrt verschwunden. Hinter der Ecke des Hauses verschwand er ganz und war nicht mehr zu sehen. Nur ein Jaulen und zaghaftes Kläffen vernahmen meine Ohren noch. In Panik steckte ich den Zettel zurück in meine Jackentasche und stürmte kopflos auf das fremde Grundstück – fürchtete ich doch ein schreckliches Unglück.

      Es war alles in bester Ordnung. Meine Furcht völlig unbegründet. Auf der Terrasse saß eine ältere Frau in einem Gartenstuhl die von dem Hund freudig begrüßt wurde. Ihre Freude hingegen schien sich in engen Grenzen zu halten. Als sie mich näher kommen sah, streichelte sie dem Tier über das Fell und rief mit aufgesetzter Freundlichkeit:

      „Da bist du ja wieder, Moppel“!

      „Moppel, dachte ich, bei diesem kleinen, schmalen Hündchen“!? Mein unerwartetes Erscheinen, sowie mein erstaunter Gesichtsausdruck, wurde der Dame sichtlich unangenehm. Sie begann verlegen an dem Rollladengurt herum zuziehen. Unbeherrscht zupfte sie an der unzulänglichen Seilkonstruktion – ohne Erfolg. Ich eilte ohne Zögern zur Hilfe und befreite das Tier von meiner einfachen, handwerklichen Meisterleistung.

      „Ist das ihr Hund“, wollte ich wissen. Dabei rollten meine Hände den Gurt langsam auf. Die Frau nickte leicht, schien mir gegenüber aber immer noch misstrauisch zu sein. Ich entschuldigte mich sofort für das überfallartige Erscheinen und gab einen kurzen Bericht über das turbulente Geschehen der letzten Nacht.

      „...Natürlich wurden die unglaublichen Ereignisse durch das ziellose Umherirren ihres Hundes ausgelöst“, fügte ich am Ende meines Berichts leicht vorwurfsvoll an. Meine gefühlsbetonte Schilderung war dieser Frau vollkommen gleichgültig. Sie verzog keine Mine; noch zeigte sie das kleinste Anzeichen der Bestürzung, noch Angst um ihren Hund. Als ich meinen gemüts- bewegenden Bericht beendet hatte, schüttelte sie nur ungläubig den Kopf und ließ eine laxe Bemerkung fallen.

      „Mäxchen, was machst du bloß für Sachen“!?

      „Mäxchen? Ich dachte der Hund heißt Moppel“?!

      Auf meinem Gesicht stand eine tiefe Verwunderung geschrieben. Nun bedurfte es etwas mehr als ein paar seltsamer Wortfetzen, um die mysteriöse Situation aufzuklären. Jetzt gab sich die Dame richtig viel Mühe. Durch ihre genauen Schilderungen erfuhr ich, dass dieses Tier vollkommen taub war! Der Name, der gerufen wird, war also reine Nebensache. Ihr gefiel, aus sentimentalen Gründen, Moppel am besten. Ihr erster Hund – ein ach so liebes Tier wurde schon so gerufen. Die anderen Familienmitglieder indes nennen ihn wie sie gerade wollen – aber meistens Mäxchen!

      Wie es dazu kommen konnte, dass der kleine Kerl alleine durch die Straßen zieht?! Hierzu gab eine spärliche Auskunft der Dame des Hauses Aufschluss. Demnach befand sich der Hund, bei schönem Wetter, im Garten und spielte ohne Aufsicht. Im Eifer der Aktion hatte er sich vermutlich von seiner Leine befreit und sei dabei verschreckt davongelaufen. Da über den Tag niemand nach dem Tier sieht, fiel sein Verschwinden erst gar nicht auf.

      Warum sie, oder einer der übrigen Familienmitglieder, den Hund heute Morgen nicht suchen ließen, blieb das Geheimnis dieser alten, recht sonderbaren Lady und ihrem familiären Anhang.

      Trotz einiger Unklarheiten und der tiefen Verwunderung, die regungslos in mir verharrte, war meine Anwesenheit jetzt nicht mehr von Nöten! Die Pflicht gegenüber diesem Hund und seinen nachlässigen Besitzern war erfüllt.

      Damit konnte ich mich zufrieden geben. Dennoch wurde es mir auf einmal ziemlich eigenartig zumute. Weder eine herzliche, überschwängliche Dankesrede, noch eine pauschale Aufwandsentschädigung hatte ich erwartet, dafür waren meine Umgangsformen zu schlicht! Aber ein freundliches Wort, sowie ein herzlicher Gruß zum Abschied, mit der Anmerkung in Zukunft aufmerksamer mit dem Tier zu sein, schienen mir für diesen Anlass durchaus angemessen. Aber ich konnte auch ohne ein Dankeschön bequem weiterleben. Besonders, und das war mir wichtig, weil ich mit meinem Gewissen im Reinen war!

      So verabschiedete ich mich kurzerhand, unter einem Vorwand dringende Besorgungen erledigen zu müssen und überließ Hund und Frauchen mit erleichtertem Herzen sich selbst.

      Nunmehr entspannt, doch noch den vermeintlichen Besitzer gefunden zu haben, schritt ich lässig nach Hause. Hatte mich diese glückliche Fügung doch von einigen Besorgungen und Botengänge entbunden. Die Zettel meiner Suchanfrage, die ich zuvor in der Stadt verteilt hatte, ließ ich aus schierer Bequemlichkeit hängen. Hundefutter musste ich auch keines mehr kaufen.

      Auch die Wolldecke wurde nun nicht mehr gebraucht!

      Als ich dieses alte zerfranste Stück Stoff zusammenrollte, übermannten mich ungekannte Gefühle und eine nachdenkliche Stimmung entfaltete sich in voller Wucht. Vor meinem geistigen Auge stieg die Szene dieses heiter und ausgelassen tollenden Hundes auf. Es war ein flüchtiger Moment innere Zufriedenheit, die ich in dieser Form lange nicht mehr erfahren hatte. Es war mir zuerst nicht bewusst gewesen, aber ich habe diesen Augenblick sehr genossen!

      Meine Freund waren mittlerweile erwacht und zudem nüchtern! In meinem grenzenlosen Eifer hatte ich morgens auf ihre Anrufbeantworter gesprochen. Zugegeben, meine Stimme klang sorgenvoll und hilflos zu dieser Zeit. In Anbetracht meiner Situation, hoffte ich auf schnelle Hilfe. Aber durch die vorangegangenen Ereignisse hatte sich ihre Hilfe natürlich vollkommen erübrigt. Jetzt folgten nach und nach ihre Rückrufe!

      „Alle sei wieder in Ordnung gekommen“, berichtete ich einem nach dem anderen Anrufer stolz. Aber irgendetwas stichelte mich unentwegt, tief im Innersten. Heftige Zweifel rüttelten an meinem Gemüt ob diese Person, der ich so leichtgläubig den kleinen Hund überlassen hatte, wirklich die Besitzerin war? Gegen meine Bedenken tröstete sich mein schlichtes Gemüt mit dem Glauben:

      „ Der Hund weiß schon, wo er hingehört und wer sein Herrchen, oder Frauchen war“!

      Mäxchen-Moppel, oder wie der Hund auch immer genannt wurde, war zwar taub. Aber seine restlichen Sinne, vor allem der Instinkt, dürften einwandfrei funktioniert haben! Und so kümmerte ich mich wieder um Sorgen und allerlei Nöte, die meinen persönlichen Alltag betrafen. Alsbald war das gesamte Ereignis, das wirklich sehr befremdlich, fast abenteuerlich abgelaufen war, aus meinem Blickfeld entschwunden. Hin und wider dachte ich noch an den kleinen Kerl, der mir, auch wenn ich keine eigenen Tiere besaß, in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen war. Er war auf seine eigene Art sympathisch – drollig wegen seines Aussehens. Keinesfalls empfand ich seine Gegenwart aufdringlich. Ein Hund mit einfachem Wesen, der durch seine schlichte Anwesenheit in mir Aufmerksamkeit weckte. Für seine weitere Zukunft wünschte ich dem quirligen Kerlchen nur das Beste. Doch zuallererst hoffte ich natürlich, ihm nur noch in Begleitung seiner Besitzer zu begegnen!

      Leider erfüllte sich diese Vorstellung nicht!

      Keine