Frank Phil Martin

Der schottische Prediger


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wir keine armen Leute waren, denn schon unsere Großeltern, Gavin und Mary, lebten und arbeiteten als Farmer und Gerber und brachten es, gepaart mit Fleiß und Geschick, zu einem auskömmlichen Wohlstand. Dieser ermöglichte es auch meinem Onkel Edward, schon früh von zu Hause auszuziehen, um auf der Universität in Edinburgh Theologie zu studieren. Offensichtlich war er derart begabt, weil er schon mit dreizehn Jahren von daheim fortging, um mit achtzehn Jahren seinen Abschluss zu machen, was für eine berufliche Entwicklung! Freilich mit seinem älteren Bruder John als Begleiter, der sich dem Studium der Medizin widmete. Aber dennoch, ich war mächtig stolz auf meinen Onkel, oder vielleicht ein wenig neidisch, weil er schon so früh selbstständig war? Ich glaube ich habe es genossen, noch einige Jahre länger in meinem behüteten Elternhaus zubringen zu dürfen. Da war zum einen mein guter Freund Edwin, mit dem ich die Gegend unsicher gemacht und so manche Streiche ausgeheckt hatte. Oder auch mein alter Lehrer Adam Hope, der zwar übermäßig apodiktisch war und, Gott ist mein Zeuge, gegenüber seinen Schülern häufig Gebrauch von seinem Riemen machte. Diesen hielt er immer präsent, indem er ihn, durch die Reihen der Schüler gehend, an seinem Daumen herabhängen ließ. Ach, und war er noch so streng, er würde mir fehlen. Auch Onkel Edward wurde schon von ihm unterrichtet und trotz seiner, damals schon, drakonischen Art sprach er heute in den höchsten Tönen von ihm. Vor drei Jahren bekam er endlich seine erste Anstellung, auf die er so sehnsüchtig gewartet hatte. Zum Glück ereilte ihn gerade noch rechtzeitig der Ruf des bekannten und hochangesehenen Theologen Dr. Thomas Chalmers, der es unter den Geistlichen in England zu einem bedeutenden Leumund gebracht hatte. Rechtzeitig deshalb, weil Onkel Edward beinahe, so hatte ich mitbekommen, vor Verzweiflung fast als Missionar nach Persien gegangen wäre. Trotz alledem ist es wohl immer eine schwere Sache, neben einem großen, berühmten Manne zu arbeiten. Man wird ihm nachstreben, aber auch wenn man versucht, ihn zu erreichen, wird sich das Gefühl aufdrängen, im Hintergrunde, ja im Schatten zu stehen. Vermutlich wusste mein Onkel darum, denn obgleich er mit großem Fleiß und Strebsamkeit diese neue Aufgabe ausführte, schien sie für ihn nur bedingt befriedigend zu sein. Als ihn letztes Jahr endlich der Ruf erreichte, Minister der nationalschottischen, sogenannten kaledonischen Gemeinde in London zu werden, schlug sein Herz wohl höher denn je. Und so wie ich ihn kenne, war es für ihn etwas Besonderes, fast schon wie ein göttlicher Ruf, nun nach London umwechseln zu können. Den Werdegang meines Onkels habe ich mit großer Nachdrücklichkeit und Interesse verfolgt und ich muss gestehen, dieser Lebenslauf hat mich nachhaltig beeindruckt und geprägt. Insofern stellte London für uns beide ein Neubeginn dar, für mich als Student freilich in bescheidenerer Angelegenheit. Denn meine Profession war die Theologie eher nicht, da ich fest überzeugt war, dass eine Beförderung der menschlichen Moral nicht nur mit theologischer Bildung beizukommen sei, sondern auch und vor allem mit Einhaltung von Recht und Gesetz. Wenngleich, das gebe ich zu, über das Strafmaß und angesetzte Urteile trefflich gestritten werden kann, ich wusste das aus einigen alten Gerichtsakten, die ich mir besorgt hatte.

      Wieder hörte ich meine Mutter, diesmal in militärischem Ton: „James!!!“

      „Ich komme!!!“

      Ich stürmte, mein Tagebuch und Hut unter dem Arm, die Treppe hinunter, hinaus aus dem Haus, wo meine Mutter neben der geschlossenen Kutsche ungeduldig auf mich wartete. Sie war ganz mit einem braunen Kostüm bekleidet, ihre schwarzen, schulterlangen Locken wurden von einem pastellfarbenen Basthut bedeckt, der unter dem Kinn mit einer geschmackvollen Schleife befestigt war.

      „James, hast du wieder deine herannahende Männlichkeit bewundert? Jetzt trödel nicht, du weißt doch, dass wir es heute bis nach Preston schaffen wollen, in deinem Tempo kommen wir nie an!“

      Meine Mutter ließ es sich nicht nehmen, mich bis nach London zu begleiten, als Hauptgrund gab sie vor, endlich einmal wieder ihren Bruder in die Arme schließen zu können. Meinerseits vermutete ich, die mütterliche Eskorte hatte wohl eher das Ansinnen, mich noch eine Zeitlang unter Aufsicht behalten zu können. Aber so sind die Mütter wohl und ich kann ihr nicht böse sein. Unsere Haushälterin Charlotte, meine Schwester Anne, wie immer mit unverwüstlich kindlich-fröhlichem Blick, selbst beim Verabschieden, und mein kleiner Bruder John, der wie eine kleinere Ausgabe von mir aussah, standen schon Spalier, fast schon wie bei herrschaftlichen Häusern, wenn eine offizielle Verabschiedung bevorstand, wo alle Bediensteten nach Rang und Stand sortiert Aufstellung nahmen. Wir stellten uns in einen Kreis, so wie es zu Verabschiedungen bei uns Sitte war, reichten uns die Hände, schlossen alle beinahe gleichzeitig die Augen, senkten etwas die Köpfe und Mutter sprach ein Gebet:

      „Herr im Himmel, wir danken dir für deine Gnade, wir bitten dich um den Reiseschutz, behüte das Haus und schenke uns zur Zeit und Stunde ein frohes und unversehrtes Wiedersehen - Amen.“

      Alle: „Amen.“

      Die wenigen Worte meiner Mutter überraschten mich, so wie es aussah, wollte Sie wirklich keine Zeit verlieren. Normalerweise folgten in solchen Momenten ausführliche Anweisungen über ein sittsames, gottesfürchtiges Verhalten, wie das tägliche Morgen- und Abendgebet, stattdessen sagte sie profan:

      „Charlotte, wir haben ja alles besprochen, Kinder, bitte seid folgsam.“

      Ich wünschte, mein Vater könnte in diesem Augenblick anwesend sein, ich glaube, er hätte sich für mich gefreut und wäre vielleicht auch ein wenig stolz auf mich gewesen. Ist das wirklich so, dachte ich, dass die Söhne nichts mehr ersehnen, als dass ihre Väter stolz auf sie sein können? Vielleicht auch nur deshalb, weil der elterliche Wunsch besteht, dass sich all das Bemühen einer guten Erziehung, alle Worte und Schelten, alle Gebote, Hoffnungen und Wünsche am Ende in einem guten Fortgang vereinigen mögen. Die beiden Pferde, die unserer Kutsche vorgespannt waren, wurden ein wenig unruhig und nach einer kurzen, aber herzlichen Umarmung meiner Geschwister stiegen meine Mutter und ich in die Kutsche ein, die sich ruckelnd, ausgelöst durch Harris Peitschenknall, in Bewegung setzte. Harris war ein kleiner, kräftiger Mann mit buschigen Augenbrauen, der erfahrenste Arbeiter auf unserer Farm und er war der gutmütigste Kerl, den ich kannte. Ein massiger Schädel thronte auf seinem kräftigen Körper und seine wuchtigen Oberarme konnten alles stemmen und heben, was man sich vorstellen kann. Am liebsten wäre mir gewesen, ich hätte bei Harris vorne auf dem Kutschbock sitzen können. Meine Mutter Sophie, besorgt wie Sie nun einmal war, verbot dies jedoch mit der Begründung, es wäre noch viel zu kalt am Morgen und wir wollten ja nicht gleich die Schwindsucht heraufbeschwören. Im Laufe des Tages, je nach Witterung, so versprach sie, würde sie erneut entscheiden. Unser Weg führte zunächst nach Carlisle über Penrith an Kendal vorbei, weiter nach Lancaster, wo wir am frühen Nachmittag eintrafen. Wir fuhren über die Skerton Bridge bis zum St. George Quai und hielten am Gasthof Wagon & Hourses. Harris wollte hier zunächst die Pferde wechseln, denn er hatte in diesem Hause wohl einen Vetter und wir konnten, außer einer Mahlzeit einzunehmen, uns etwas die Beine vertreten. Der bekannteste Sohn dieser Stadt war ohne Frage Henry Cort, es war eine Revolution dieses Puddelverfahren zur Herstellung von Stahl und ich dachte mir, der herannahende technische Fortschritt, dem ich durchaus aufgeschlossen gegenüberstand und auf den ich sowieso gespannt war, hatte auch etwas Beängstigendes. Würde man all diese Maschinen, die so viele Vorteile brächten, auch beherrschen können? Andererseits war dieser Fortschritt nicht mehr aufzuhalten, denn wenn alles in diesem rasanten Tempo so weitergeht, könnte man irgendwann mit der Eisenbahn von Edinburgh nach London fahren. Dann würden all diese Reisestrapazen mit der Droschke wegfallen. Im Augenblick jedoch steckte die Dampftechnik noch in den Kinderschuhen. Nach einer Weile fuhr Harris mit der neu bespannten Kutsche vor und da ich meine Mutter die Fahrt über immer wieder bedrängt hatte, erteilte sie mir endlich die Erlaubnis, vorne auf dem Kutschbock, unter Einhaltung aller möglicher Schutzmaßnahmen - in Decken gehüllt, doch noch eine Stunde auf dem Bock neben Harris Platz zunehmen. Bis nach Preston hatten wir noch fünfundzwanzig Meilen vor uns, unsere Ankunft im Bartl Hall Hotel war bereits durch eine Nachricht bekanntgemacht worden. Wir erreichten unseren Zielort bei Einbruch der Dämmerung und zu meinem Erstaunen durfte ich doch bis hierher neben Harris sitzen bleiben, ich vermute, meine Mutter war inzwischen eingenickt oder einfach nur zu müde, um ihre angekündigte Maßgabe durchzusetzen.

       Dritte Szene - Beziehungen

      Das Hotel, früher ein Herrenhaus, war von seinem neuen Besitzer John Troughton, einem Gerichtsvollzieher,