George Tabori

Goldberg-Variationen


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haben, schon. Also lies.

      GOLDBERG liest »Er schied das Licht von der Finsternis. Er nannte das Licht Nacht und die Finsternis Tag.«

      MR. JAY Quatsch. »Er nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.«

      GOLDBERG »Und er machte die beiden großen Lichter: das größere Licht zur Herrschaft über den Tag und das kleinere Licht zur Herrschaft über die Nacht, dazu auch die Sterne.«

       Nach und nach wird eine Bühnenhälfte hell, nun erscheint die Sonne über der dunklen Hälfte, der Mond über der hellen.

      »Es wurde Abend, und dann wurde es Morgen.«

      Blackout mit funkelnden Sternen

      MR. JAY drohend Stimmt was nicht, Goldberg? Du wirst mir doch wohl keinen Ärger machen?

       Licht und Ton geraten außer Kontrolle. Wachsende Kakophonie.

      MR. JAY »Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang!«

      GOLDBERG Verdammen Sie niemanden, in dessen Lage Sie nicht gewesen sind, Sir.

       Stille. Bach-Musik. Das Licht stimmt: Die Bühne ist in Helligkeit und Dunkel geteilt, Sonne und Mond sind an der richtigen Stelle.

      Freude erfüllt das Herz, wenn der Schmerz vergeht.

      MR. JAY Das ist mein Text, Goldberg.

      GOLDBERG Mit freundlicher Genehmigung des Allmächtigen, Sir.

      MR. JAY Es gibt sieben Dinge, an die man sich zu halten hat, Goldberg. 1.: Der Weise redet nicht vor dem, der ihn an Weisheit übertrifft; 2.: Er verrät seine Nächsten nicht; 3.: Er antwortet nicht vorschnell; und 4.: Halt’s Maul!

       ZWEITE SZENE

       Raamah und Masch, beide in Beduinenkostümen, jagen einander keulenschwingend über die Bühne und wieder hinaus.

      MR. JAY Was war das?

      GOLDBERG Die Herren Raamah und Masch haben, Profis, die sie sind, den ganzen Morgen die erste Mordszene probiert.

       Raamah und Masch erscheinen wie zuvor.

      MR. JAY Noch nicht.

       Raamah und Masch bremsen ab, Masch rutscht aus.

      MR. JAY Herr Romah, der »Erste Mord« ist erst für zehn Uhr fünfundvierzig angesetzt.

      RAAMAH Jetzt ist es elf Uhr dreißig.

      MR. JAY Wie die Zeit vergeht.

      RAAMAH zu Goldberg Sagen Sie Monsieur de Sade, sein Prügelknabe zieht sich in sein Zelt zurück und ist nur noch über die Gewerkschaft zu sprechen.

      MR. JAY Sie werden mir doch keinen Ärger machen, Herr Rimah?

      RAAMAH Raamah! Mein Name ist Raamah.

      MR. JAY Den Namen müssen Sie sich erst noch verdienen.

      RAAMAH Den Ärger haben Sie bereits, Jay, im wildesten pharisäischen Sinn des Wortes.

      MR. JAY Geduld ist die Mutter der Weisheit.

      RAAMAH Ich bin geduldig seit Tagesanbruch.

      MR. JAY Wir hatten ein paar technische Pannen mit dem klimakterischen Computer, Rumah.

      RAAMAH Der Mensch ist das Theater, nicht die Technik. zu Goldberg Mit diesem Monomanen arbeite ich nie wieder. Bis ich ihn brauche.

      MR. JAY Kennen Sie die Regelungen über Probenverweigerung, Reimah?

      RAAMAH Wer verweigert hier was? Masch, Japhet und ich haben die ganze Nacht probiert, bis uns war, als hätte uns ein Wirbelsturm weggefegt. Wir versuchen, diese Produktion davor zu bewahren, der apokalyptische Flop des Jahrhunderts zu werden. Sie sind es, der uns daran hindert, sie zu zeigen, der sich in seiner Eitelkeit weigert, die Tatsache zu akzeptieren, dass Schauspieler keine Dorfdeppen sind. Ihr ganzes Probensystem ist eine Weigerung, überhaupt zu probieren, außer dass Sie gelegentlich bellen »Noch mal von vorn, Jungs, aber mit Gefühl«. Noch mal – was?

      MR. JAY Noch mal von Anfang an!

      RAAMAH Von allen Aufgaben im Theater ist nichts schwieriger, weil weniger glaubwürdig, als das Sterben, besonders wenn es durch eine Steinzeitkeule zu geschehen hat. Heute Nacht muss mich endlich die Muse geküsst haben. Ich hatte eine Lösung, elegant genug, um dem dümmsten Regisseur zu gefallen, und was tun Sie? Nichts tun Sie! Hocken auf Ihrer vergrößerten Prostata und werden ihr immer ähnlicher.

      MR. JAY Na, dann zeigen Sie mal.

      RAAMAH Zu spät.

      MASCH Der Zug ist abgefahren.

      RAAMAH Besetzen Sie mich um.

      MASCH Verklagen Sie mich.

      MR. JAY Mes enfants du paradis, was soll ich tun? Auf die Knie fallen?

      RAAMAH Ja.

      MR. JAY auf Knien Demütig sei der Mensch, denn was erwartet uns Sterbliche außer Würmern?

      MASCH Sagen Sie schön bitte.

      MR. JAY Schön bitte.

      RAAMAH Also. Noch einmal von vorn, aber no more Mr. Nice Guy.

       Japhet bringt zwei Stühle.

      MASCH Ich Abel. Er Kain. zu Mr. Jay Sie mögen Abel. Kain mögen Sie nicht. Deshalb wird Er wütend. Ramaah spielt Wut. Warum ergrimmst du? Und warum verstellt sich deine Gebärde? Die Sünde ruhet vor der Tür.

      RAAMAH He, Abel, wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang über die Felder?

      MASCH Gute Idee.

       Sie gehen ein wenig vor sich hin.

      Jetzt holt er mit der Keule aus, verfehlt und zertrümmert den Stuhl, um die Realität der Keule deutlich zu machen.

       Raamah zertrümmert den Stuhl.

      MR. JAY So weit, so gut.

      MASCH Jetzt zündet er eine Rauchbombe, aber aus feuerpolizeilichen Gründen spielt Kollege Japhet den Rauch.

      RAAMAH Jetzt bringt er, verborgen vom aufsteigenden Rauch, ein Opfer dar.

      MASCH Jetzt holt er, verborgen hinter der Rauchwand, noch einmal aus, zerschmettert ein weiteres Möbel, und alle glauben, er habe mich erschlagen.

      MR. JAY Nicht übel.

       Raamah holt hinter der »Rauchwand« aus, ein fürchterliches Krachen, dann Stille.

      MR. JAY »Wo ist dein Bruder Abel?«

      RAAMAH »Ich weiß es nicht. Soll ich meines Bruders