Karis Ziegler

Im Mittelpunkt der Ringe


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überhaupt nicht zu - „ich stümpere doch nur so ein bisschen herum!“ Das solle sie ruhig mal ihre Sorge sein lassen, meinte Sabine, die sie schließlich dazu überreden konnte, es wenigstens zu versuchen, und am Ende entpuppte sich die Geschichte zu einem richtigen Glückstreffer: Nicht nur, dass es einen Heidenspaß machte, das Buch mit der Freundin zusammen zu konzipieren, ihre Phantasie und ihr Geschick auf ein Ziel gerichtet einzusetzen und schließlich ein rundes Ganzes als Ergebnis in der Hand zu halten; Sabine schaffte es auch, das Buch bei einem guten Verlag zu platzieren und erwies sich auch noch als geschickt im Aushandeln der Konditionen für sie beide. Das kleine Werk kam gut an, und sie machten noch eine Fortsetzung dazu, die sich ebenfalls gut verkaufte. Diese Aktion lag nun schon Jahre zurück. Die Freundinnen hatten sich inzwischen längst so ziemlich aus den Augen verloren, Sabine war zunächst in eine andere Stadt, dann ins Ausland gezogen, hin und wieder ging einmal ein Lebenszeichen in die eine oder andere Richtung, oder sie hörte durch gemeinsame Bekannte von ihr. Was aber blieb, war eine halbjährlich eintreffende Abrechnung des Verlags und eine hochwillkommene Einzahlung auf ihr Konto.

      Sie selbst war eigentlich immer zufrieden damit gewesen, wie sich ihre materiellen Umstände gefügt hatten. Sie hatte ihr Auskommen, ihre geliebte kleine Zwei-Zimmer-Wohnung in dem Altbauviertel mit Gärten und schönem altem Baumbestand, mit Glück erwischt in einer Zeit, in der die Mieten noch nicht in die Höhe geschossen waren; sie brauchte sich selten einen ihrer bescheidenen Wünsche zu versagen. Und vor allem: Sie hatte Zeit, ein Gut, das ihr kostbarer war als jedes schicke Kleid oder teure Paar Schuhe, das sie sich mit ihrem Einkommen nicht hätte leisten können.

      Max allerdings konnte sich nie richtig damit abfinden, dass sie so gar keine Anstrengungen für eine Karriere unternahm. Immer wieder hatte er sie auf interessante Stellenangebote hingewiesen, sie gedrängt, sich zu bewerben. Sie hatte sich die Anzeigen angesehen, versucht, sich vorzustellen, wie es wäre, einen solchen Job zu haben, gespürt, dass sie eigentlich keine Lust hatte, für gerade diese Arbeit ihr gewohntes Leben aufzugeben, und wenn sie sich nicht sowieso direkt gegen eine Bewerbung entschieden hatte, ließ sie meist die gesetzten Fristen verstreichen - bis sie irgendwann mit einigem Recht Max entgegenhalten konnte, wenn er wieder mal einen „Superjob“ gesehen hatte, jetzt sei sie ohnehin zu alt, um so ganz ohne einschlägige Erfahrungen überhaupt in Betracht zu kommen.

      Sicherlich war dies der Punkt, wo sie sich am fremdesten waren. Häufig wunderte sie sich sogar selbst im Stillen darüber, dass Max sie nicht schon längst abserviert hatte wegen einer der interessanten und attraktiven Frauen, ehrgeizig und erfolgreich, die er in seinem Berufsalltag ständig traf. Vorläufig aber schien es, als habe ihre Liebe, ungeachtet all der Entfremdungen, die Haltbarkeit der Gewohnheit und des unhinterfragten Zusammengehörigkeitsgefühls angenommen. Und wenn auch Max allzu gerne „etwas aus ihr gemacht“ hätte, sie sich also offensichtlich in bestimmter Hinsicht anders wünschte, so mochte schließlich doch eine gewisse Anhänglichkeit zu ihren Einstellungen und Vorlieben in irgendeinem, sogar ihm selbst verborgenen, Winkel seiner selbst überlebt haben. Das war zwar keine Garantie für alle Zeiten, wie sie aus vielen Beispielen im Freundeskreis wusste, aber bislang schien es auszureichen.

      Wenn nun Max an ihr immer wieder starke Seiten zu beobachten meinte - ob sie ihm mit dem Abfassen irgendeines Textes ausgeholfen hatte, ob er bei seinen seltenen Besuchen in ihrer Wohnung gelungene neue Skizzen und Bilder entdeckte oder aber sie in einer Diskussionsrunde nach langem schweigendem Zuhören mit eher scheuer Stimme einen bisher unbeachteten Aspekt zu bedenken geben hörte – Stärken, die ihn schier zur Verzweiflung brachten, weil er sie für ungenutzt, also verschwendet, hielt; so war sie sich heimlich dessen bewusst, dass sie sich mit der Verteidigung ihres Freiraums eigentlich auf verlorenem Posten befand. Hatte doch auch sie nicht vorgehabt, einen Minimalaufwand zur Lebenserhaltung zu betreiben, um den Rest der Zeit verbummeln zu können. Auch sie wollte ja etwas machen, nicht so sehr aus sich selbst wie vielmehr aus ihrem Leben. Bloß, es war so furchtbar schwer herauszufinden, wie das aussehen sollte. Sie wusste lediglich, wenn sie sich auf die Beanspruchungen eines „ausgewachsenen“ Berufes einließe, bliebe ihr keine Zeit mehr, das je noch zu ergründen. Und doch war in all den Jahren nichts weiter herausgekommen, als dass sie ihre kostbare Muße verzettelt hatte zwischen wirklichen oder vermeintlichen Verpflichtungen anderen – ihrem Arbeitgeber, Max, ihrer Familie – gegenüber, auf der anderen Seite halbherzigen Experimenten mit ihrer Zeichenkunst (von der sie inzwischen aber sicher war, dass ihr Talent weder unter dem Gesichtspunkt der Markttauglichkeit noch unter dem ihrer eigenen Ausdrucksbedürfnisse genügte, um ihre Berufung daraus zu machen), und mit verschiedenen anderen Ideen, die sie nach und nach alle wieder auf sich hatte beruhen lassen. So hatte schon einige Male nicht viel gefehlt und sie hätte sich von Max’ Argumenten überreden lassen. Da war das Gefühl, ihre Sturheit auch vor sich selbst fast nicht mehr rechtfertigen zu können; fast ein schlechtes Gewissen (wem gegenüber eigentlich: sich selbst, den Eltern, „der Gesellschaft“?), sich immer noch jedem Sich-Dreinschicken zu verweigern, nachdem sie offenkundig doch so wenig mit ihrer dem Werte-Mainstream abgetrotzten Freiheit anfangen konnte. Da war aber auch eine gewisse Ermüdung, ein Wunsch, die Anspannung der Kräfte, die notwendig war zu dieser Verweigerung und dieser Verteidigung, schießen zu lassen, die ewige innere Haltung des Suchens, des Zweifelns, der Selbstrechtfertigung aufgeben zu dürfen und sich einfach einzugliedern.

      So weit, diese Regungen zu formulieren und zuzugeben, war sie allerdings bislang noch nicht gegangen. Jedes Mal noch waren dann doch Visionen aufgetaucht, die sie davon abhielten, Erinnerungen an Momente, wie sie ihr von Zeit zu Zeit geschenkt wurden: Da sah sie sich in ihrem Arbeitszimmer, vor ihrer ans Fenster gerückten Staffelei, hin und wieder die Augen ausruhend mit einem Blick nach draußen auf ein Stück Himmel, ein Stück Gartengrün, ein Stück Hausfassade mit Balkonblumen und wehender Gardine, ansonsten völlig selbstvergessen auf den Vorgang des Gestaltens konzentriert; oder am Schreibtisch, um den angemessenen Ausdruck einer Erfahrung, eines Erlebnisses oder eines Gedankens bemüht; oder auch nur grübelnd und sinnierend in Anschauung versunken und plötzlich überzeugt, einen Fund gemacht zu haben, der ihr golden entgegenzuschimmern und würdig schien, geborgen zu werden: und sie erinnerte sich des dabei empfundenen tiefen Glücksgefühls, ganz bei sich und ganz nah am Leben zu sein.

      Das Angebot

      Und nun das!

      Eines Tages, vor fast zwei Wochen, hatte Max noch spät am Abend angerufen. Ob sie noch auf sei? Er habe ihr etwas Wichtiges zu sagen, ob er noch vorbeikommen könne?

      Er kam eilig die Treppe herauf, noch ausgehfein gekleidet - ach ja, sie hätte ja eigentlich mitgehen sollen, sich aber mit einer nicht ganz erfundenen, nur ein bisschen übertriebenen Unpässlichkeit herausgeredet.

      „Diesmal kannst du wirklich nicht nein sagen, Lisa, pass auf, das ist eine einmalige Gelegenheit!“, legte er, noch außer Atem, gleich im Flur los.

      „Aber was ist denn eigentlich passiert? Nun setz dich doch erst mal, leg ab, willst du was trinken?“

      Nur um ein Glas Wasser bat er, er habe heute Abend schon Wein getrunken. Und dann fing er an, ungebremst und begeistert zu erzählen: Es habe doch gerade der Empfang zur Eröffnung der Kulturwochen stattgefunden, bei dem alle aus der Firma dagewesen seien, auch die obersten Chargen, und im Gespräch mit dem Chef der PR-Abteilung habe er erfahren, dass einer der wichtigen Mitarbeiter dort sehr kurzfristig gehen würde, sie also so schnell wie möglich einen Ersatz bräuchten und in der Abteilung gerade niemand sei, der sich zum Nachrücken eignen würde, und da habe er ganz spontan - sie vorgeschlagen!

      "Und, was sagst du nun?!“ Er warf sich leger gegen die Stuhllehne zurück und schaute sie triumphierend und erwartungsvoll lächelnd an.

      „Wie bitte? Sag das noch mal!“

      „Ich habe dich vorgeschlagen. Nein, wirklich, guck doch nicht so entsetzt!“ Er hatte sich wieder auf seinem Stuhl vorgebeugt und sprach, die Ellenbogen auf den Knien, seine Worte mit knappen, angespannten Bewegungen beider Hände unterstreichend, eindringlich weiter. Das sei wirklich die Chance. Alles, was dafür gebraucht würde, könne sie gut: Ideen generieren, Vorschläge skizzieren und abstimmen, die Prozesse koordinieren und die Umsetzung begleiten. Die Stelle wäre total vielseitig und entwicklungsfähig noch dazu, wenn sie nur wach