Sebastian Görlitzer

Verborgenes Familiengeheimnis


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sie wegschaute, mit einem siegessicheren Lächeln auf seinem Platz.

      Und doch war er, wie Jenny sich um Mark kümmerte, geradezu eifersüchtig. Sie war verwirrt. Würde John wirklich aus Eifersucht so weit gehen? Egal ob er oder die anderen Mitschüler Mark akzeptierten oder nicht und egal was das für ein Gefecht zwischen ihnen war, aber das ging eindeutig zu weit. Sie beschloss nach dem Unterricht mit ihm zu reden.

      Im Moment war es wichtiger, dass Mark ärztliche Hilfe bekam. Herr Stern, der Sportlehrer, brachte gerade einen kalten, feuchten Lappen, den er Mark auf die Stirn legte und ein Handtuch, das er ihm unter den Kopf schob. Jenny wechselte regelmäßig das feuchte Tuch und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. Es dauerte eine halbe Stunde bis der Krankenwagen eintraf.

      Zwei Sanitäter in Begleitung des Notarztes, welcher eine schwarze Arzttasche mit sich schleppte, eilten gerade in die Turnhalle. Nach kurzer Erklärung was passiert war, untersuchte der Notarzt den Verletzten, der noch immer regungslos auf dem Boden lag. In ruhigem Ton meinte der Arzt anschließend:

      „Er muss ins Krankenhaus, um dort weiterbehandelt zu werden..“

      Sofort holten die Sanitäter eine Trage für den Transport des Patienten, welcher in diesem Moment wieder zu sich kam. Er versuchte sich aufrecht hinzusetzen und als er halb benommen Jenny vor sich erkannte, war ihm seine Situation sofort unangenehm. Das durfte nicht wahr sein. Sie, in die er heimlich verliebt war, saß vor ihm und er fühlte sich schwach und matt. In welchen schlechten Film ist er da nur geraten, dachte er. Er war bemüht die Kraft in seinen Beinen zu spüren und als er endlich stand, versuchte er vorsichtig ein paar Schritte zu gehen. Doch er torkelte nur unvorsichtig herum.

      „Es geht schon, mir ist nur etwas schwindlig.“, entschuldigte er sich. Aber als er merkte, wie ihm die Beine nachgaben, bat ihn Jenny, sich doch wieder hinzusetzen. Also gab er auf und setzte sich, wie ein braver Junge wieder hin. Auf direktem Weg wurde Mark ins nahe gelegene Krankenhaus gebracht, wo sich die Ärzte weiter um ihn kümmerten. Aufgrund einer leichten Gehirnerschütterung, so die Diagnose der Ärzte, musste er ein paar Tage im Krankenhaus bleiben.

      Kapitel 2

      Die Tage im Krankenhaus erschienen ihm wie in Zeitlupe zu vergehen. Es wurde ihm zunehmend langweilig. Mark lief bereits ohne fremde Hilfe, ein paar Meter auf dem Krankenhaus Korridor hin und her. Dabei hielt er sich gelegentlich, wenn ihm schwindlig wurde, an dem Geländer neben sich fest. Seit drei Tagen war er auf Station und dabei kam es ihm wie eine gefühlte Ewigkeit vor. Er bekam Suppe und sollte tagsüber ausreichend trinken. Auf dem Weg der Genesung, auf dem er sich befand, hoffte er, bald nach Hause zu dürfen. Das entschieden allerdings die Ärzte zu gegebener Zeit. Er dachte oft an den Unfall und verdrängte die Gedanken daran, die Schule wechseln zu wollen. Das hatte auch seinen Grund, nämlich um Jenny weiterhin sehen zu können. Seine Gedanken kreisten ständig nur um sie. Unglaublich wie sie sich aufopfernd um ihn gekümmert hatte. Das war ihre Art, da durfte er auch nichts hinein interpretieren. Sie war mit John zusammen und das würde sich auch nicht ändern. Als das Mittagessen ausgegeben wurde, war es an der Zeit in sein Zimmer zurück zu gehen. Die Krankenschwester setzte das Tablett mit seinem Essen auf dem Tisch ab und mit einem „Guten Appetit!“ war sie auch schon wieder verschwunden. Er nahm die tropfende Haube ab. Darunter befand sich sein Essen. Heute gab es für ihn Vanillepudding mit Zwieback. Immerhin ein winziger Fortschritt, denn am Vortag gab es Haferschleim und den mochte er gar nicht. Seine Tante wusste so etwas und kam auch nicht auf die Idee, ihm welchen zu kochen. Aber in diesem Haus galten andere Regeln. Für so vieles war er seiner Tante dankbar. Sie ging Zuhause auf viele seiner Wünsche ein und war nur auf seine Selbstständigkeit bedacht. Was für Mark bedeutete, sein Bett selbst zu machen, sein Zimmer selbst aufzuräumen und an seine Hausaufgaben zu denken, die dann von seiner Tante auf ihre Richtigkeit überprüft wurden. Sie erzählte ihm oft, dass sie bei ihrer jüngeren Schwester, seiner Mutter, immer darauf achtete, dass sie ihre Sachen in Ordnung hielt. „Nur so lernt man mit der gegebenen Selbstständigkeit umzugehen“, ermahnte sie dann immer. Wenn seine Tante von seiner Mutter sprach und das kam oft vor, meinte er geheimnisvolles in ihren Worten zu vernehmen. Er war sich sicher, jede Familie hatte seine Geheimnisse. Mochten sie auch manchmal noch so klein und harmlos sein. Alles hatte seine Zeit und seinen Grund. An diesem Tag sollte Mark Besuch bekommen. Jemand klopfte am Nachmittag an die Tür. Mark lag mit einem Buch auf dem Bett und las. Er mochte die Mittagsruhe nicht und war froh, als die Zeit endlich vorüber war.

      Nach kurzem Zögern, schaute Jenny ins Zimmer, man konnte glauben, sie versicherte sich, dass sie auch an der richtigen Tür klopfte. Als sie Mark erblickte, betrat sie das Zimmer vorsichtig. Seinem Gesichtsausdruck konnte man die reinste Verblüffung entnehmen.

      „Na, Du, wie geht es dir?“, begrüßte sie Mark.

      „Danke, mir geht es schon viel besser. Schön dich zu sehen“, begrüßte er Jenny.

      „Es tut mir so leid, was John getan hat. Ich hab mit ihm gesprochen und er hat es zugegeben, dass er es war, der den Ball bewusst in deine Richtung geschmeddert hat“, entschuldigte sie sich für ihren Freund.

      „Du musst dich nicht entschuldigen. Es war nicht deine Schuld.“ Er war dabei sehr bemüht, ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen. Er war froh, dass sie da war. Was für ihn nicht selbstverständlich war. Jenny kramte suchend in ihrem Rucksack. Sie kam direkt von der Schule in die Klinik. Als sie endlich gefunden hatte, wonach sie suchte, legte sie liebevoll einen Stapel neu erworbener Actioncomics und frische Wäsche auf sein Bett.

      „Die Hefte hab ich heute Morgen vor der Schule für dich gekauft und die saubere Kleidung hat mir deine Tante mitgegeben.“ Er bedankte sich bei ihr und ließ es sich nicht nehmen, sie zu fragen, woher sie wusste, dass er gern Comics las. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen, meinte sie gelassen:

      „Ich hab mit deiner Tante gesprochen, sie hat es mir verraten.“ Jenny war für ihr Alter sehr reif. Jede einzelne ihrer unzähligen Freundschaften und dazu gehörten auch Brieffreundschaften waren ihr wichtig und charakterlich war sie das ganze Gegenteil von John.

      „Wollen wir spazieren gehen? Es ist heute herrliches Wetter“, fragte sie Mark.

      „Sehr gern. Ich wäre nachher allein gegangen. Zu zweit ist es aber schöner.“

      Mit einer flinken Bewegung sprang er vom Bett und zog sich die Schuhe an.

      „Weiß eigentlich John, dass du hier bist?“

      „Nein und ganz ehrlich, ich muss es ihm auch nicht sagen. Wir sind zwar zusammen, aber er hat nicht das Recht über mich zu bestimmen.“ Obwohl er dies zu gern tat, ließ Jenny sich darauf gar nicht erst ein. Als sie über John sprach, klang ihre Stimme hart. Jenny war scheinbar sehr sauer auf ihn. Mark ahnte, dass sie und John wohl einen heftigen Streit hatten.

      An eine Trennung schien sie allerdings nicht zu denken. Selbst wenn sich eine innere Stimme in ihm noch so oft versuchte zu äußern und er es sich insgeheim noch so sehr wünschte, ging es ihn nichts an. Irgendetwas musste John an sich haben, was kein anderer Junge ihr bieten konnte.

      Für ihn war Jenny eine sehr gute Freundin, die oft zu ihm stand, wenn er wieder einmal Alleinkämpfer gegen seine Mitschüler war. Dafür machte sich auch Jenny nicht nur Freunde. Im Gegenteil sie geriet deswegen regelmäßig an John und auch wenn sie sich stritten, dann nur, um sich kurze Zeit später wieder zu versöhnen. So war es immer. Er nahm ihre Antwort zur Kenntnis und band seinen zweiten Schnürsenkel zu.

      „Ich wäre dann soweit“, sagte er. Die Schuhe waren angezogen und es konnte losgehen. Jenny gelangte zu ihrer gewohnt fröhlichen Art zurück und Mark lief als Erster zur Tür, öffnete sie und ließ Jenny wortlos und gewohnt höflich das Zimmer verlassen. Er folgte ihr und schloss hinter sich die Türe. An der frischen Luft angekommen, atmete er eine tiefe Brise des milden Frühlings ein und Jenny wandte sich währenddessen den verschiedenen Blumen des Krankenhausgeländes zu. Besonders von den Rosen war sie angetan.

      „Rosen sind meine Lieblingsblumen und hier stehen fast so viele, wie bei uns im Garten“, meinte sie, als sie ihre Nase an eine der weißen Blüten hielt. Die Gärtner schienen was von ihrer Arbeit zu verstehen. Nirgends konnte man so viele