Christine Rey

Geile Zeit


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bis zu den Spit­zen, im­mer in die­se Rich­tung. Er wuss­te, wie sehr ich das mag. Jay­den kau­te, roch nach Wrigley's Spe­ar­mint und wenn ich dicht an ihn rück­te, konn­te ich sei­nen Herz­schlag und das He­ben und Sen­ken des Brust­korbs spü­ren. Ich lieb­te das. Gab mir das Ge­fühl, sei­ne Le­ben­dig­keit wür­de auch für mich rei­chen.

      Als ich mich be­ru­higt hat­te, sag­te er: »Ich ver­steh's nicht, wie man 'nem Kind so­was sa­gen kann. Nee, ich krieg das wirk­lich nicht in mein Hirn.«

      »Die woll­ten, dass ich mir kei­ne falschen Hoff­nun­gen ma­che.«

      »Bulls­hit – du warst da viel zu jung. Scheiß­weiß­kit­tel. Schau dich an. Wann hast 'n das letz­te Mal durch­ge­schla­fen, hm?«

      Ich zuck­te mit den Schul­tern.

      »Und? Kön­nen die in die Zu­kunft gu­cken? Wis­sen die, was in zehn, zwan­zig Jah­ren is'? Wis­sen­schaft­ler pen­nen doch nicht. Me­di­ka­men­te wer­den bes­ser …«

      Er hat­te sich in Fahrt ge­re­det. Jetzt senk­te er die Stim­me und sag­te: »Vi­el­leicht kann man's ei­nes Ta­ges so­gar hei­len.«

      Ich lach­te auf.

      Viel hat­ten wir nicht ge­wusst, über mei­ne Krank­heit. Groß er­forscht war die noch nicht. Ir­gend­was mit den Ge­nen. Hus­ten und Se­kret in der Lun­ge. Und dass die Kin­der kei­ne ho­he Le­bens­er­war­tung hät­ten. Wie ich es ge­hasst ha­be, wenn mei­ne El­tern da­mit hau­sie­ren gin­gen, Auf­klä­rung be­trie­ben. Selbst vor mei­ner Leh­re­rin mach­ten sie nicht halt. Ich mal­te mir da­mals aus, wie das Ge­re­de sei­ne Krei­se zog. Erst in mei­ner Klas­se, dann in der Schu­le, bis am En­de das gan­ze Dorf Be­scheid wuss­te. Ich fühl­te mich ge­brand­markt wie ein Rind auf der Kil­lin­ger-Ranch. Dach­te, al­le wür­den tu­scheln, sa­gen: »He, da kommt die, die nicht lan­ge le­ben wird.«

      »Kann ich mir nicht vor­stel­len, dass die mal was er­fin­den und al­les wird gut«, ant­wor­te­te ich ihm.

      »Du musst's end­lich zu­las­sen, so zu den­ken«, sag­te Jay­den. »Was machst 'n in vier Jah­ren? Nimmst 'n Strick und hängst dich auf?«

      »Al­so echt, Ki…«

      Jay­den dreh­te mich zu sich und leg­te die Hand auf mei­nen Mund. »Ich will dich nicht är­gern. Ich wünsch mir nur, dass du dei­ne Ein­stel­lung über­denkst. Wirst du das für mich tun?«

      Er lä­chel­te mich an. Ich sah sei­ne Grüb­chen, hob den Kopf und küss­te sie. Kei­ne Ah­nung, ob ich das konn­te, worum er mich bat. Wo ich bis eben nicht mal wuss­te, dass mei­ne Angst, bald ster­ben zu müs­sen, nur ei­ne Ein­stel­lung von mir war.

      Ich zuck­te die Schul­tern, und Jay­den piks­te mich. Drück­te den Fin­ger in die Stel­le über mei­ner Hüf­te, wo­bei ich im­mer die Be­herr­schung ver­lor, wenn er das tat.

      »Wirst du das für mich tu-un?«

      Ich glucks­te und schüt­tel­te den Kopf.

      »Wirst … du … das … für … mich … tun?«

      Mit je­dem Wort ein Stich. Ich kreisch­te, Jay­den lach­te. An sei­nen Lip­pen hin­gen Spei­chel­fä­den, und ich spür­te Spu­cke im Ge­sicht.

      »Sag schon, sag schon, sag schon, sag schon!«

      Er feu­er­te ei­ne Sal­ve Pik­ser auf mich ab; ich stram­pel­te mit den Bei­nen, schrie, lach­te, bäum­te mich auf – und dann pas­sier­te, was ich mehr has­se als ei­ne Kur im Schwarz­wald: Ich muss­te hus­ten. Laut, lang und hef­tig. Mit Ste­chen im Brust­korb und Ka­no­nen­don­ner im Schä­del. Um bes­ser Luft zu be­kom­men, setz­te ich mich auf. Die­ser Hus­ten war an­stren­gen­der als ei­ne Zehn-Punk­te-Kür am Stu­fen­bar­ren, und ei­nes Ta­ges wird er mich in der Mit­te ent­zwei­rei­ßen – so viel ist si­cher.

      Jay­den rutsch­te hin­ter mich, leg­te die Hän­de auf mei­nen Rücken. Fühl­te. Mal oben, mal un­ten, mal an den Sei­ten. Ein­mal klopf­te er ein biss­chen. Mit der hoh­len Hand, so tat es am we­nigs­ten weh.

      Als es vor­bei war, hät­te ich auf der Stel­le in einen Tief­schlaf fal­len kön­nen, und ich lehn­te mich ge­gen Jay­den. Mein Bauch schmerz­te, die Lun­ge fühl­te sich an, als ob sie je­den Mo­ment plat­zen wür­de; ich rang nach Luft.

      »Das wollt ich nicht«, sag­te Jay­den und nahm mich in den Arm.

      »Nie­mals Jay­di … wird mich … der Scheiß­hus­ten … da­von ab­hal­ten, … mit dir zu la­chen«, stieß ich her­vor.

      »Gut so. Du musst das echt än­dern, sonst gehst du dran ka­putt.«

      Jay­den zog ein Kis­sen vom Bett und ließ sich mit mir auf den Fuß­bo­den fal­len. Er mur­mel­te was von ei­ner or­di­nären La­che, die ich hät­te.

      Ich mach­te es mir auf ihm be­quem. Spür­te sei­ne Hand, die mir durchs Haar fuhr, hör­te auf das Rau­schen in mei­nen Ohren und blies beim Au­sat­men die Luft durch die Lip­pen, bis sich al­les in mir ent­spann­te. Dann schloss ich die Au­gen und dach­te nach.

      Lang­sam wur­de mir klar, wie sehr ich mich ge­täuscht hat­te. Wie konn­te ich mich bloß so ir­ren? So Ver­ren­nen? An­neh­men, Jay­den wür­de et­was ver­drän­gen? Er setz­te sich mit mei­ner Krank­heit aus­ein­an­der und mach­te sich sei­ne Ge­dan­ken. Sie wa­ren nur an­ders als mei­ne. Viel hoff­nungs­vol­ler.

      »Ach Jay­di, was mach ich nur oh­ne dich?«

      »Du kriegst das hin. Hun­dert­pro.« Jay­den lä­chel­te mich an. »Geht's wie­der?« Ich nick­te, und er gab mir einen Klaps auf den Po. »Wir soll­ten mal los«, sag­te er, doch als ich auf­ste­hen woll­te, hielt er mich fest. »So viel Zeit muss sein …«

      Und dann knutsch­ten wir noch ei­ne Wei­le.

      Track 2

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      Lau­tes Ge­läch­ter und das Knal­len von Au­totü­ren rei­ßen mich aus mei­nen Ge­dan­ken. Zwei Frau­en um­ar­men sich, lau­fen über den Park­platz, und ich über­le­ge, wie sie aus­ge­se­hen ha­ben, als wir ge­mein­sam zur Schu­le gin­gen.

      Mein Blick schwirrt um­her. Streift den Rück­spie­gel. Ei­ne som­mer­spros­si­ge Frau starrt mich mit ver­heul­ten Au­gen an. Ich seuf­ze und be­fin­ge­re mein Ge­sicht. Drücke in die Wan­gen, bis ich den Kno­chen spü­re. Das wird hier bald auf­ge­hen wie ein He­fe­teig. Hat mich je­doch nicht da­von ab­ge­hal­ten, ei­ne Wo­chen­do­sis Pred­nison ein­zu­neh­men. Si­cher ist si­cher. Denn heu­te ma­che ich Ur­laub. Ur­laub von der Krank­heit. Heu­te Abend will ich le­ben. Will wie­der mal ei­ne jun­ge Frau und kei­ne Kran­ke sein. Da ist mir je­des Mit­tel recht. Um Spät­fol­gen ma­che ich mir we­nig Sor­gen. Es hat al­les sei­ne Vor­tei­le – so­gar das Ster­ben.

      Mit den Fin­gern tromm­le ich ge­gen das Lenk­rad, die Fü­ße zap­peln. Ich stel­le mir vor, das Gas­pe­dal wä­re das Fuß­teil der Bass Drum: bumm, bumm, bumm. Mei­ne Me­di­ka­men­te ma­chen mich zu ei­nem Ner­ven­bün­del, im­mer bin ich hib­be­lig.

      Jay­den. Mei­ne Hän­de zit­tern. Der Mund ist tro­cken. Es soll hel­fen, mit den Zäh­nen über die Zun­ge zu scha­ben. Al­so krat­ze und krat­ze ich, bis es weh tut, und samm­le Spu­cke. Schlu­cke sie run­ter und las­se mich in den Sitz zu­rück­fal­len; ich weiß nicht, wo­her ich den Mut neh­men soll aus­zu­stei­gen. Ob ich stark ge­nug sein wer­de, ihn wie­der­zu­se­hen? Ich will