Fritz Gerlinger

Der Narzissmus


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und negative Wirkungen die Selbstreflexion.

      Normalerweise gelangt der Mensch so zu einem relativ stabilen Selbstwert und einer realen Einschätzung seiner selbst. Stärken und Schwächen werden günstig ausgeglichen, das Selbstbild verändert sich auch mit zunehmender Reife. Abhängig ist der Prozess natürlich immer von dem, was wir erleben, wo und wie wir aufwachsen, welche Erfahrungen wir sammeln können und wie offen und ehrlich wir uns selbst gegenüberstehen. Der Einfluss anderer spielt dabei eine Rolle, bestimmt jedoch nicht komplett unser Verhalten. Wir lernen, Kritik zu akzeptieren, Kränkungen wegzustecken und die Begegnung mit anderen Menschen schätzen zu lernen. All das ist dem Narzissten nicht gegeben.

      Und wo die Eigenliebe früher verpönt war, ist sie heute Ausdruck moderner Sichtweisen. In der modernen Gesellschaft wird etwas Neues gefördert, das am Schluss dieses Buches noch genauer definiert werden soll. Narzissmus ist gesellschaftsfähig geworden. Ganze Generationen werden darauf getrimmt, das Ego wichtiger zu nehmen, als es ist.

      So wird der moderne Mensch z. B. mit Werbung konfrontiert, die auf Überheblichkeit und Egoismus setzt und diese Charakterschwächen fördert. „Eure Armut kotzt mich an!“ oder „Geiz ist geil!“ sind nur einige der Slogans, die bedenklich tiefer greifen und neue Generationen prägen. Sich selbst am nächsten zu sein, wird der Mensch aufgefordert, während auch die moralische Bestrafung für schlechte Taten durch Religionslosigkeit und Atheismus wegfällt. Für den Erfolg über Leichen zu gehen, schockiert heute keinen mehr. Und wie soll unter den akzeptierten Richtlinien der Ichbezogenheit und Selbstliebe dann noch der krankhafte Narzisst auffallen?

      Der Narzissmus an sich ist noch keine grundsätzlich schlechte Eigenschaft. Narzisstische Züge haben fast alle Menschen, auch wenn sie sich dessen nicht immer bewusst sind. Sind diese im ausgewogenen Verhältnis, fördern sie in gesunder Weise das Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Der Narzissmus dient entsprechend der Stabilisierung des Selbst.

      Wie bereits erwähnt ist die Selbstliebe als Grundbasis notwendig, um Nächstenliebe vermitteln zu können. Wer ein positives Selbstbild von sich hat, akzeptiert sich selbst, kann über sich selbst lachen und ist in der Lage, eine liebevolle Beziehung zu anderen Menschen aufzubauen. Die Eigenliebe ist dann positiv, wenn sie sich nach innen und außen richtet. Während das eine Extrem der Narzissmus und die Egozentrik sind, besteht das andere aus Unterwürfigkeit und Selbstaufgabe. Mehr oder weniger tendieren Menschen daher immer in die eine oder andere Richtung, ohne ins Extreme zu verfallen. Eine stabile Psyche erlaubt das Übernehmen der Verantwortung für sich selbst und für andere. Die innere Liebe wird nach außen abgegeben, die Aufmerksamkeit für sich selbst reicht über das eigene Ich hinaus.

      Gesunde narzisstische Wesensmerkmale zeichnen sich durch eine Stabilität und Kontinuität des Selbsterlebens aus. Die inneren Stärken werden in gesunder Selbstdarstellung genutzt, um sich zu präsentieren. Das fördert auch die Stressbewältigung, die Erfolgsaussicht im Beruf oder den Umgang mit anderen Menschen. Auch hier besteht die Gefahr, sich über andere Meinungen zu stark zu definieren oder von deren Anerkennung abhängig zu werden.

      In der Regel wird der gesunde Narzissmus aber nicht zum eigentlichen Problem, sondern erlaubt auch die Empathie für andere und die Akzeptanz von Kritik. Geben und Nehmen bereiten keine Schwierigkeiten oder sind nur eine Zeitlang im Ungleichgewicht. Jeder hat das Recht, stolz auf seine Erfolge zu sein, ohne dass das Selbstwertgefühl ausschließlich davon abhängig ist. Bleiben die Erfolgserlebnisse aus, kommt es auch beim Durchschnittsmenschen zu kleineren Krisen und zu einem innerlichen Rückzug.

      Da jedoch der Mensch selten lange alleine sein möchte, überwindet er die Phase und wird mit neuer Energie auch neue Erfolge verbuchen können. Das Echo ist immer wichtig, um zu erkennen, ob man auf dem richtigen Weg ist. Vielen Künstlern der Vergangenheit blieb diese Hilfe verwehrt und trotzdem machten sie weiter. Hätten sie gewusst, dass ihre Werke, ob in Kunst, Literatur, Musik oder anderen Bereichen, nach ihrem Tod bekannt werden würden, wären wohl auch die Krisen seltener gewesen oder hätte so mancher Suizid nicht stattgefunden. Hier hat der gesunde Narzissmus sein Werk getan. Er hat eine Selbstüberzeugung ermöglicht, weiterzumachen, ohne zu wissen, wohin das Ganze führt. Die fehlende Anerkennung blieb als hilfreiches Echo zwar aus, eine Ahnung drängte jedoch zum Schöpfungsakt. Und genau das hat der heutigen Welt große Werke beschert. Narzissmus hat viele Gesichter, und manche als Selbstspiegelung dienen auch als Trost und Förderung der Kreativität.

      Im geeigneten Maß ist Narzissmus daher nicht schädlich oder krankhaft. Ein Mensch sollte in der Lage sein, sich selbst in positiver Weise zu betrachten und wertzuschätzen, sich zu achten und so die Voraussetzungen zu schaffen, eine stabile Persönlichkeit aufzubauen, die dann auch ein erfülltes Leben nach sich zieht. Das macht auch Rückschläge, Kritik oder Niederlagen verdaubar.

      Leicht narzisstische Verhaltensweisen erzielen eine harmonische Ausstrahlung, die ausgeglichen und nicht übertrieben wirkt. Gefestigte Überzeugungen gehören genauso dazu wie die Toleranz und das Verständnis für andere. Der Stolz auf die eigenen Leistungen ist in dieser Selbstwertschätzung natürlich inbegriffen. Das Streben nach Anerkennung und Selbstverwirklichung ist nicht negativ behaftet. Das ändert sich erst, wenn die Bedürfnisse und Wünsche vorwiegend auf sich selbst ausgerichtet sind und auf andere keinerlei Rücksicht genommen wird.

      Kennzeichen für den modernen Narzissmus

      Bis zum krankhaften Narzissmus ist es von dieser Art Narzissmus jedoch immer noch ein weiter Weg. Wer ständig die Bestätigung durch andere benötigt, hat meistens ein schwaches Selbstwertgefühl. Drückt sich dieses jedoch durch den ständigen Zwang aus, im Mittelpunkt stehen zu müssen, um sich aufzuwerten, beginnt die erste Phase der pathologischen Ausrichtung.

      Das narzisstische Verhalten ist immer durch das Gefühl einer unantastbaren Größe und Einzigartigkeit gekennzeichnet, die auch mit Überheblichkeit und Hochnäsigkeit einhergeht. Die kaltherzige Art ist mit einer anmaßenden Verurteilung anderer Menschen verbunden. Die eigenen Interessen sind die einzigen, die für den Narzissten zählen.

      Der Psychiater Reinhard Haller hat in seinem Buch „Die Narzissmusfalle“ die vier E-Kennzeichen sehr genau definiert. Diese sind:

      •E wie die Egozentrik

      •E wie die übersteigerte Empfindlichkeit

      •E wie die mangelnde bis fehlende Empathie

      •und E wie die Entwertung (von anderen Menschen).

      • Der egozentrische Mensch hat keinen Nerv für die Gefühle anderer Menschen. Alles, was er wahrnimmt, ist er selbst, wobei auch seine eigene Ansicht der Maßstab für alles ist. Dazu bezieht er alles, was geschieht, auf sich selbst, ob es nun tatsächlich objektiv im Zusammenhang mit ihm steht oder nicht.

      Die Welt ist entweder für ihn oder gegen ihn. Diese Tendenz gerät zum Narzissmus, wenn die Egozentrik so weit führt, dass keinerlei Zweifel an der eigenen Meinung aufkommt. Die Urteile und Gedanken werden nie in Frage gestellt. Ein Irren ist unmöglich. Daher entschuldigen sich narzisstische Menschen auch nie und geben grundsätzlich anderen die Schuld. Eine andere Meinung wird nie toleriert und als Angriff auf die eigene verstanden.

      • Die übersteigerte Empfindlichkeit und Sensibilität sind bei Narzissten schnell sichtbar, da sie diese wie eine Waffe nutzen und sich nicht scheuen, unsachlich und grob Kritik an anderen zu üben. Selbst können sie Kritik nicht einstecken und reagieren dann bösartig und beleidigt, auch wenn diese wohlwollend oder konstruktiv erfolgt. Sie wird als Angriff verstanden, als ungerechtfertigt und unsinnig. Das angekratzte Selbst wehrt sich dann durch Hass und Zorn.

      Die Feindseligkeit hält dabei auch lange an. Ein Narzisst ist durch die Empfindlichkeit immer nachtragend und rächt sich entsprechend durch Abwertung und langlebige Feindschaft. Hervorgerufen wird das durch die ihm innewohnende Angst vor Geringschätzung und Missachtung. Die eigene bösartig geübte Kritik ist ein Schutzschild und eine Abwehrhaltung.

      • Die mangelnde oder komplett fehlende Empathie drückt sich beim Narzissten dadurch aus, dass er absolut nicht in