Sylvia Obergfell

Die Erbsenkönigin


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Erbsensortieren und Erbsenwettlauf ihre Kräfte messen, die Erwachsenen bewiesen ihr gutes Auge beim Erbsenschätzen. Die Sonne verschwand gerade als glutroter Ball am Horizont, als die Königin den Hof betrat. Ihre Lieblingsfarbe war natürlich erbsengrün und so trug sie ein langes Kleid in dieser Farbe, freute sich aber auch über den Anblick der vielen buntgekleideten Menschen. Ihre Fingernägel waren erbsengrün lackiert, sie trug einen erbsengrünen Lippenstift und ein erbsengrünes Haarband im dunklen Haar. Sie lächelte, denn wenn es ihrem Volk gut ging, erfreute sie das. Sie verkaufte ihre Erbsenmöbel, Erbsenwäsche und auch einige ihrer Rezeptbücher in alle Welt, dadurch hatte sie immer genügend Geld und ihre Untertanen mussten nie Not leiden. Jetzt ging die Erbsenkönigin schnellen Schrittes zum Büffettisch, auf dem allerlei leckere Erbsengerichte auf sie warteten, dabei grüßte sie freundlich jeden, der ihr begegnete. Nachdem sie sich den Magen vollgeschlagen hatte, sah sie den Kindern beim Spielen zu und applaudierte begeistert jedem, auch wenn ein anderer besser gewesen war. Schließlich setzte sie sich mit einem Glas Erbsensaft zu den Erwachsenen und plauderte über dies und das. Auf einmal wurde am Eingang des Hofes Gemurmel laut, die Leute, die dort standen, traten respektvoll zur Seite und machten Platz für drei seltsame Herren. Der erste war sehr groß und dürr, trug einen schwarzen Anzug, einen hohen Zylinderhut und eine kleine, runde Brille. Der zweite war klein, hatte einen dicken Bauch, nur noch wenige Haare auf dem Kopf und trug ebenfalls einen schwarzen Anzug. Der dritte war ein gut gebauter Mann mittlerer Größe, der einen lustig gezwirbelten Schnauzbart trug und mit feinen dunkelblauen Hosen und einem gelben Hemd bekleidet war. Es waren die drei schlausten Männer des Landes. Sie waren hoch angesehen bei den Leuten und was sie sagten wurde ernst genommen, aber in letzter Zeit hatten sie ein wenig von ihrer ersten Position im Lande verloren, denn seit es die Erbsenkönigin gab, spielten sie plötzlich nur noch die zweite Geige. Natürlich waren die Drei darüber sehr verärgert. Sie hatten sich lange überlegt, wie sie die Erbsenkönigin aus dem Weg räumen konnten. Jetzt kamen sie langsam näher, traten auf die Königin zu und grüßten sie.

      „Wir haben leider eine unerfreuliche Mitteilung zu machen“, begann der Erste mit ernster Stimme, so laut, dass jeder es hören konnte.

      Die Menschen unterbrachen ihr Tun und lauschten aufmerksam. Der Zweite der drei schlauen Herren räusperte sich kurz, dann begann er zu sprechen.

      „Wir haben Grund zu der Annahme, dass unsere liebe Königin ihren Verstand verloren hat, deshalb sehen wir uns gezwungen ihr, bis die ganze Sache aufgeklärt ist, die Regierungsvollmacht zu entziehen.“

      Gemurmel wurde rund um die drei Herren und die Königin laut.

      „Keine Sorge“, beruhigte der dritte Herr das Volk, „solange werden wir alle Regierungsgeschäfte übernehmen.“

      Plötzlich schrie alles aufgeregt durcheinander.

      „Das könnt ihr nicht machen!“

      „Wir lieben die Königin!“

      „Sie ist nicht verrückt!“

      Die Erbsenkönigin jedoch blieb gelassen, denn sie war ein gutmütiger Mensch und konnte sich nicht vorstellen, dass ihr jemand etwas Böses wollte.

      „Meine Herren“, sprach sie deshalb, „Sie können sich gerne überall im Schloss umsehen und Sie sind zum Fest eingeladen, dann werden Sie sehen, dass die Leute hier glücklich sind.“

      Doch die Drei hatten ihren Entschluss schon lange gefasst.

      „Wir haben die letzten Wochen schon genug gesehen!“ behauptete der Erste. „Immerhin ist es unsere Aufgabe, das Volk zu beschützen!“ erklärte der Zweite. Dem aufgeregten Rufen folgte nun ein betroffenes Schweigen. Alle blickten sich ratlos an, denn alle mochten die Königin, aber sie vertrauten auch den drei Herren, immerhin waren sie die schlausten Köpfe des Landes.

      „Es ist besser, wenn ihr alle erst einmal nach Hause geht“, meinte der dritte Herr, „Dann können wir alleine mit der Königin sprechen.“

      Schweigend machten sich die Menschen auf den Heimweg, kein fröhliches Geplauder und kein Kinderlachen war mehr zu hören, schließlich blieben nur noch die drei Herren, die Königin, ihr Koch und ihre Haushälterin zurück.

      „Was geschieht nun?“ wollte die Königin wissen, die ein wenig verärgert war, dass ihr schönes Fest so abrupt beendet wurde. Die drei schlauen Herren lächelten milde.

      „Ihr müsst vorerst das Schloss verlassen. Ihr dürft erst wieder zurückkehren, wenn Ihr beweisen könnt, dass euer Verstand normal funktioniert“, erläuterte der Erste.

      „So eine Frechheit“, rief der Koch aufgebracht und seine hohe weiße Kochmütze begann vor Aufregung zu zittern.

      „Die Königin hat noch nie etwas getan, was ihrem Volk geschadet hätte!“ warf die Haushälterin ein, deren runde Backen rot zu glühen begannen, aber die drei Herren ließen sich nicht beirren. Doch noch wollte die Königin nicht klein beigeben.

      „Und könnt Ihr schlauen Herren mir auch sagen, wie ich beweisen soll, dass mein Verstand normal funktioniert?“ fragte sie, denn sie wollte die Drei in eine Falle locken, aber diese waren um eine Antwort nicht verlegen.

      „Aber natürlich Königin“, antwortete der zweite Herr mit zuckersüßer Stimme, „Morgen früh wird einer der besten Ärzte des Landes dieses Schloss aufsuchen und Euch einigen kleinen Tests unterziehen. Das Einzige, was Ihr zu tun braucht ist, diese Tests zu bestehen, damit Euch der Arzt bescheinigen kann, dass Ihr nicht verrückt seid.“

      „So ein Blödsinn!“ schimpfte die Haushälterin, die Ärzte noch nie leiden konnte, denn diese überbrachten meist nur schlechte Nachrichten, aber die drei schlauen Herren bestanden auf diese Untersuchung.

      Ein hinterhältiger Arzt und eine schwere Prüfung

      In dieser Nacht konnte die Königin nicht einschlafen, dabei schlummerte sie sonst immer wie ein Murmeltier. Zu viele Gedanken schossen ihr im Kopf herum. Die ganze Zeit versuchte sie sich auszumalen, was morgen wohl auf sie zukommen würde, aber so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte es nicht.

      „Da steckt bestimmt irgendeine Gaunerei dahinter!“ hatte der Koch gemutmaßt, als sie sich heute Abend verabschiedet hatten und wahrscheinlich hatte er Recht.

      Die Erbsenkönigin erhob sich und tappte nervös in ihrem Zimmer im Erbsenturm umher. Sie betrachtete ihre neu entworfene weiße Bettwäsche mit hunderten kleinen Erbsen darauf, sie lies ihren Blick an der Wand entlang wandern, an der viele schön gerahmte Fotos von Erbsen, Erbsenfeldern und ihr selbst hingen. War sie verrückt? Sie trat zum Spiegel und betrachtete ihr Gesicht. Ihr dunkelbraunes halblanges Haar umrahmte den runden Kopf, ihre Backen hatten eine gesunde rötliche Farbe und die haselnussbraunen Augen strahlten Ruhe und Zufriedenheit aus. Sie war immer eine glückliche Frau gewesen. Nie hatte sie ihre Erbsenbesessenheit als etwas Schlimmes erlebt, im Gegenteil, ihre kleine Macke hatte ihr Leben bereichert.

      „Ich werde mir von niemandem sagen lassen, was ich zu tun habe!“ sprach sie also zu ihrem Spiegelbild und nahm sich fest vor, am nächsten Tag alle Prüfungen zu bestehen. Doch schon früh am nächsten Morgen wurde die Erbsenkönigin durch eine völlig außer Atem geratene Haushälterin geweckt, die mit lautem Getöse ins Zimmer gestürmt kam und aufgeregt rief:

      „Königin, Königin kommt schnell! Jemand versucht eure Erbsenfelder zu zerstören.“

      Das Gesicht der Haushälterin, das ähnlich dem der Königin sehr rund war, glühte vor Aufregung, ihre erbsengrün-weiß gestreifte Schürze war wohl in aller Eile gebunden worden, denn sie hing reichlich schief. Die Königin blinzelte verschlafen, doch dann wurde ihr bewusst, was die Haushälterin soeben gesagt hatte. Mit einem großen Satz sprang sie aus dem Bett, zog sich schnell ihr Kleid von gestern Abend über und hetzte die Treppe hinunter, die Haushälterin immer dicht auf den Fersen. Sie verließen das Schloss und gingen schnellen Schrittes hinüber zu den Erbsenfeldern, die friedlich im ersten Morgenrot dazuliegen schienen. Ein paar Arbeiter waren schon auf den Beinen und sahen fassungslos dabei zu, was sich auf ihrem Feld abspielte. Ein großer, hagerer Mann mit kurzen grauen Haaren, Hakennase