Peter Schmidt

Die Kraft der positiven Gefühle


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haben Sie das Gefühl, dass das Betrachten negativer Gefühle trotz Ihrer entspannten Einstellung nun seinerseits zum emotionalen Stress geworden ist?

      Dann ist es sehr erleichternd – gewissermaßen als Kontrapunkt und Ausgleich –, mit zehn Minuten Wortklangmeditation in extrem sanfter und leichter Weise abzuschließen. Lesen sie in Kapitel 9, „Entspannung als Grundlage mentaler Techniken“ nach, wie diese Technik angewendet wird. Fahren Sie danach mit den beiden Ausklangphasen fort.

       Kurzform:

      Bequem sitzend oder liegend mit geschlossenen Augen etwa eine halbe Minute lang alle Wahrnehmungen zulassen.

      Erster Durchgang: die Aufmerksamkeit etappenweise durch den Körper – z.B. Fuß, Wade, Hüfte usw. – wandern lassen. Welche Körpergefühle und Empfindungen stellen sich ganz ohne Zutun ein? Wahrnehmungen, die sich von allein zeigen, in neutrale Haltung registrieren.

      Zweiter Durchgang: die Aufmerksamkeit wieder etappenweise durch den Körper wandern lassen. Diesmal nach negativen Gefühlen suchen. Neutral betrachtend zulassen. Stärkstes negatives Gefühl lokalisieren. Vielleicht im Kopf? In der Brust? Im Solarplexus?

      Eine Zeit lang, zwei Minuten oder länger, dieses stärkste Gefühl, ohne es zu interpretieren oder zu bewerten, neutral betrachtend, ohne Anstrengung oder Erwartungshaltung „ausfühlen“. Versuchsweise: Körper einige Zeit in seiner Negativität insgesamt fühlen, je nachdem auch als Stimmung.

      Ausklangphase I: etwa zwei Minuten ruhiges Dasitzen mit geschlossenen Augen.

      Ausklangphase II: ruhiges Dasitzen mit geöffneten Augen.

      Optional, falls die Desensibilisierung sehr belastend war: etwa zehn Minuten Wortklangmeditation; dann wie Punkt 7. bis 8.

      Anmerkung: Wenn Sie momentan an starken Schmerzen physischer Art leiden, z.B. durch Verletzung, Infektion, Vergiftung, kann es unmöglich sein, diese Übung wie auch andere Mentaltechniken gleich welcher Art wirksam durchzuführen.

      Dann hindern Sie solche Schmerzen an der Betrachtung negativer Gefühle (z.B. auch andersgearteter Schmerzen), die seelisch, durch Verspannung, Fehlhaltungen, negative Lernmuster, traumatische Erfahrungen und andere, unbekannte psychosomatische oder auch physische Ursachen bedingt sind.

      In vielen Fällen hilft hier jedoch die extrem sanfte Wortklangmeditation vorzuschalten, wie sie in Kapitel 9, „Entspannung als Grundlage mentaler Techniken“ geübt wird. Dies gilt jedoch nicht für alle physischen Schmerzen.

      Bei Katergefühlen und Überanstrengung von Muskeln zum Beispiel erweist sich die Körper-Desensibilisierung ebenfalls als in hohem Maße wirksam. Finden Sie selbst heraus, wann die Desensibilisierung wirkt. Ziehen Sie sich nicht aus Bequemlichkeit oder Empfindlichkeit auf den Standpunkt zurück, Sie fühlten sich zu schlecht!

       Wirkung

      In der Regel werden sich negative Symptome durch diese neutral betrachtende, zulassende Haltung verringern. Sie bauen damit innere Spannungen ab.

      Oft spüren Sie die wohltuende Wirkung erst nach der Sitzung. Desensibilisierung wirkt, weil sie unsere negativen Gefühle – hier unsere Körpergefühle – zum Gegenstand macht. Die sogenannte „Körperzentrierte Therapie“ – den Körper wieder bewusster zu fühlen – ist nach gegenwärtigem Wissensstand eines der effektivsten therapeutischen Verfahren. In der Körper-Desensibilisierung profitieren Sie von dieser Einsicht auch im Alltag. Wenn Sie diese Übung über einen längeren Zeitraum jeden Tag wiederholen, desensibilisieren Sie sich:

      Sie werden weniger nervös, weniger ängstlich, weniger wehleidig. Sie sind weniger anhaftend, weniger auf (nicht zu verwirklichende) Perfektion ausgerichtet. Sie gewinnen schneller Ihre gewohnte Ruhe wieder. Sie kontrollieren auch leichter Ihre emotionalen Impulse. Impulskontrolle ist ein Hauptanliegen der Psychologie der Emotionalen Intelligenz. Viele Fehler, vor allem im zwischenmenschlichen Bereich, sind durch impulsives Verhalten bedingt.

      Zugleich erzeugt die neutral zulassende Haltung des Negativen starke Entspannung. Sie entspannen sich leichter.

      Körper-Desensibilisierung ist auch ein Mittel für Fitness. Wenn Sie regelmäßig üben, ist Ihre Muskulatur weniger angespannt und verkrampft und insgesamt beweglicher. Sie haben mehr Kraft, weil latente Anspannung ermüdet. Körper-Desensibilisierung ersetzt zwar nicht körperliche Bewegung, verschafft Ihnen aber größeres Wohlbehagen und mehr Flexibilität.

      Die Technik vermeidet darüber hinaus sehr wirksam, dass sich Stress addiert: Stress wird vor allem auch dadurch zum Stress, dass Sie ihn zu fliehen trachten. Stress setzt Ihnen noch mehr zu, wenn Sie sich in einer hilflosen Lage sehen.

      Ausweglosigkeit ist ein starker Stressverstärker und löst im Extremfall Panik aus. Die zulassende, desensibilisierende Haltung hebt dagegen einen entscheidenden Teil seiner negativen Wirkung auf, neutralisiert den Stress, denn negative Gefühle sind ein wesentlicher Faktor von Stress. Sie sind dem Stress nicht mehr hilflos ausgeliefert.

      Das bedeutet keineswegs, Stress generell gutzuheißen. Zulassen ist nicht gleich positiv bewerten. Wenn negativer Stress beseitigt werden kann, werden Sie auch nach Erlernen der Technik aktiv. Lassen sich äußere Stressursachen jedoch nicht beseitigen, dann kann Ihnen diese Technik helfen, Stresswirkungen zu vermindern. Ihre Fähigkeit, Störungen und Stress auszuhalten, wächst.

      Taucht demnächst ein negatives Gefühl auf, so vermögen Sie ihre Aufmerksamkeit leichter auf den Gefühlsaspekt zu lenken und sich auch im Stress zu entspannen. Sie üben spontan den „desensibilisierenden Blick“ und können ihn je nach Bedarf in Alltagssituationen einsetzen.

      Damit ist gemeint, sich innerhalb der Alltagsaktivitäten blitzschnell von Gefühlen abzukoppeln, ohne dies in Mentalübungen vorwegzunehmen wie bei der Problem-Desensibilisierung. Sie gewinnen so inneren Spielraum in Konfliktsituationen.

      Sie haben mehr Freiheit, und es eröffnen sich Handlungsmöglichkeiten, die Ihnen sonst vielleicht durch Ihr unbewusstes Reagieren auf hinderliche negative Gefühle verwehrt gewesen wären.

      Desensibilisierung ist darüber hinaus ein ausgezeichnetes Instrument zum Krisenmanagement!

      Wohl keine mentale Technik ist so effektiv, um in einer Lebenskrise (Trauer, Krankheit, Kündigung, Trennung – vgl. dazu auch Kapitel 3, „Problem-Desensibilisierung“), wieder die Kontrolle und ein ausgeglicheneres Gefühlsbild zu erlangen. Unter starkem Stress werden Sie oft nur schwer durch rationale Argumente oder Beschwichtigungen innere Freiheit gewinnen wie bei kognitiven mentalen Strategien.

      Aber auch akute schwere Stress und Paniksituationen lassen sich mit der Technik der Desensibilisierung leichter bewältigen. Sie können damit rechnen, dass emotional extrem belastende Erfahrungen, z.B. ein Schock, dann weniger starke traumatische Folgen haben.

      Desensibilisierung in schwersten Krisensituationen ist zwar nicht immer ein angenehmer und leichter Weg, weil Sie sich in neutraler, zulassender Haltung auch starken negativen Gefühlen zuwenden müssen. Es verschafft ihnen aber nach der Übung mehr Handlungsspielraum und größere Sicherheit. Sie lernen stufenweise, sich für den Ernstfall zu wappnen („Stressimpfung“).

      Bei körperlichen Problemen zeigt sich oft eine deutliche Abnahme von Spannungen und Schmerzen, wenn diese Symptome auf inneren Fehlhaltungen und Konflikten beruhen.

      Körper-Desensibilisierung eignet sich auch ausgezeichnet, wenn Sie sich zerschlagen oder körperlich schlecht fühlen – z.B. durch Schlafentzug, Jetlag oder „Kater“ –, um innerhalb einer knappen halben Stunde einen großen Teil Ihrer Kraft zurückzuerlangen.

      Lesen Sie in Kapitel 15, „Körper-Desensibilisierung B“, nach, warum diese Technik so positive Effekte hat, wie sie eingesetzt wird und welche Feinheiten ihre Wirkung verstärken.

      INFO 2

       Desensibilisierung