jetzt Dinge-Erfinden beibringen könnte, da sah ich den weißen Nebel direkt neben mir auftauchen. Zuerst ganz zart und dann immer dichter. Wie ein riesiger Wattebausch sah er jetzt aus.
„Dein Transportnebel“, sagte Roccho. „Beeil dich!“
„Du wolltest mir Dinge-Erfinden beibringen.“
„Das nächste Mal, Loona. Versprochen. Der Nebel wartet nicht lange.“
Dann drückte mir Roccho noch stolz seine Visitenkarte in die Hand. „So etwas habt ihr Menschen doch auch?“
Ich hatte natürlich keine, aber Mama und Papa.
„Wenn du das nächste Mal in Goraschan bist, reden wir über Dinge-Erfinden.“
Ich drückte mich aus dem wackelnden Strohhalmstuhl hoch und trat in den Nebel.
„Tschüss, Roccho, bis bald.“
Verträumt murmelte er nur „Taschenrechner“.
Als sich der Nebel wieder lichtete, war ich zu Hause in meinem Zimmer. Keine Ahnung, wie das mit dem Transportnebel funktionierte. Ich ging hinüber zu Tim. Der regte sich furchtbar auf, weil ich beim Monopolyspielen einfach verschwunden war. Und natürlich glaubte er mir die Geschichte mit dem lila Nebel wieder nicht.
KAPITEL DREI
Ich musste Schuhe putzen. Mama hatte es mir aufgebrummt: zwölf Paar, unter denen auch die Büroschuhe von Mama und Papa waren. Ich fand es total ungerecht, dass ich ihre Schuhe putzen musste. Papa hatte fast einen Anfall bekommen und gemeint, ich solle auch meinen Anteil zum Familienleben beitragen. Manchmal waren Eltern echt bescheuert!
Ich hatte gerade das erste Paar fertig geputzt: Dreck abschrubben, eincremen und dann noch polieren. Das war Zwangsarbeit! Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bestimmt fünf Minuten pro Paar. Eltern konnten richtige Sklaventreiber sein.
Da sah ich Papas Akkuschrauber im Regal über den Schuhputzbürsten liegen. Ich nahm ihn in die Hand. Ich wusste, wie der funktioniert. Wenn ich da eine Bürste einspannen würde, ginge das Schuheputzen und Polieren viel schneller. Ich wäre wahrscheinlich in zehn Minuten mit allen Schuhen fertig und rechnete: 12 Paar Schuhe x 5 Minuten = 10 Minuten.
Plötzlich war da wieder dieser Duft von Vanille und Himbeermarmelade. Und dann sah ich ihn ganz hinten in der Ecke aus dem Fußboden quellen: den lila Nebel. Ohne zu zögern sprang ich hinein. Ich hatte Papas Akkuschrauber noch in der Hand.
Dinge-Erfinden. Jetzt würde ich Dinge-Erfinden lernen, schoss es mir durch den Kopf, als der wattedicke Nebel mich umhüllte.
Doch als sich der Nebel wieder verzogen hatte, stand ich in einem düsteren Gang. Ich konnte kaum etwas erkennen. Es roch moderig. Links und rechts fühlte ich feuchte Steinblöcke. Der Gang war nicht breiter als einen Meter und ich musste mich bücken, um nicht mit dem Kopf oben anzustoßen. Nur ganz langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit. Dort hinten, am Ende des Gangs, sah ich einen Lichtschein, ganz schwach. Es war einfach zu dunkel, um mehr zu erkennen. Hinter jedem Mauervorsprung konnte ein Monster auf mich lauern. Schritt für Schritt tastete ich mich voran. War da ein Geräusch oder klopfte nur mein Herz so laut? Und wenn sich eine Giftspinne von der Decke herabfallen ließ? Diesen düsteren Teil Makah-Uhbiens wollte ich nicht kennenlernen. Vielleicht wäre es besser, hier auf den weißen Transportnebel zu warten. Bisher war er jedes Mal gekommen. Mein Herz pochte. Ich ging trotzdem weiter.
Das Licht kam von einem Loch am Ende des Gangs. Die Ränder waren roh und zackig, wie von einem Monster hineingebissen. Zitternd schlich ich näher. Ich drückte mich an die Wand. Mein T-Shirt wurde ganz nass. Das fühlte sich eklig an. Wenn sich etwas in den Ritzen versteckt hatte? Mit meiner rechten Hand tastete ich nach dem Rand, wo das Loch grob in die Wand gebrochen war. Ich zog mich noch einen Schritt näher und spähte hindurch. Es war so eng, dass sich die Steine wie riesige Zähne in meinen Körper bohrten. Jetzt blickte ich von oben in einen hohen Raum hinunter. Ängstlich beugte ich mich noch weiter vor. Tief unten auf dem Boden standen lauter erfundene Dinge. Ich sah eine winkende Stehlampe und einen Schirmständer, der selbstständig Schirme auf- und zuklappte, und ein schaukelndes Bett, das aussah wie ein Ruderboot. Eine herzförmige Schaufel fuhr schabend über den Steinboden. Die Dinge glitzerten in Farben, die ich noch nie zuvor gesehen hatte.
Und zwischen all den Dingen stand ein Makah-Uhba mit postgelben Haaren. In der Hand hielt er einen Pinsel und jagte der Schaufel hinterher. Sie versuchte zu entkommen, wollte sich verstecken. Doch der Makah-Uhba hatte sie schon in die Ecke getrieben und klatsche den Pinsel mit schwarzer Farbe auf das zartrosa und golden glitzernde Metall. Das hektische Schaben der Schaufel über den Boden hörte sich jetzt wie ein Wimmern an.
„Monstärker“, rief ich leise herab. Was, wenn er es wieder nicht war? Aber der gelbe Zottelkopf, die gestreifte Pumphose und das T-Shirt mit den Schriftzeichen, das musste Monstärker sein.
Er drehte sich um, blickte verwundert hinter sich.
„Hier oben! Monstärker, ich bin hier oben.“
Jetzt hatte er mich entdeckt. Er sah traurig aus. Seine Augen schimmerten matt.
„Was willst du?“, fragte er müde.
„Kannst du zu mir hochkommen?“ Das war eine idiotische Frage. Er stand bestimmt zwanzig Meter unter mir und da war weder eine Leiter noch eine Treppe. Wortlos stopfte Monstärker den Pinsel zurück in einen Eimer mit pechschwarzem Lack. Er ging zu einem Sessel, der zwischen all den anderen erfundenen Dingen stand, setzte sich und klappte die Armlehne auf. Darunter kam ein Bedienpanel mit Joystick, Touchscreen und ein paar Knöpfen zum Vorschein. Monstärker legte einen Schalter um und aus der Rückenlehne des Sessels fuhr ein Propeller hoch. Mit einem leisen Surren begann sich der Propeller zu drehen und dann hob der Sessel mit Monstärker ab. Er schraubte sich immer höher, bis er direkt vor mir unter der Decke schwebte.
„Komm rüber, Loona!“, murmelte Monstärker.
Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen – hier oben in dem düsteren Gang wollte ich auf keinen Fall bleiben – und sprang zu Monstärker auf den Propellersessel. Das Ding schwankte total. Nervös glich Monstärker das Schaukeln mit dem Joystick aus. „Pass doch auf!“
„Tschuldigung“, murmelte ich kleinlaut. Irgendwie hatte ich mir unser Wiedersehen anders vorgestellt.
In Spiralen dirigierte Monstärker den Propellersessel hinab und wir landeten mit einem Rumpeln auf dem Boden. Sein Gesicht war wie versteinert und er sprach kein Wort. Er schien sich überhaupt nicht zu freuen.
Der Raum war hoch, aber nicht groß, vielleicht zehn Schritte in jede Richtung. Die Wände bestanden aus grob behauenen Felsbrocken. Wasser tropfte von Moosflechten. Es gab kein einziges Fenster, nur eine niedrige Eisentür mit einem rostigen Ring in der Mitte.
Monstärker stand auf und zog den Pinsel aus dem Farbeimer. Traurig blickte er den Lacktropfen nach, die sich vom Pinsel lösten und zurück in den Eimer fielen.
„Was ist los mit dir? Wo sind wir?“
Monstärker seufzte.
„Sag schon!“ Ich hatte ein ziemlich mieses Gefühl.
Monstärker seufzte noch einmal: „Das ist der Kerker der RUE-Schule.“
„Wir sind hier eingesperrt?“, fragte ich entsetzt.
Monstärker machte eine lange Pause. Ich wollte ihn nicht drängen.
„Du wärst besser nicht hierhergekommen, Loona.“
„Ich kann mir nicht aussuchen, wohin mich der lila Nebel bringt.“
Mit dem Pinsel in der Hand ließ sich Monstärker wieder auf den Propellersessel sinken. „Präsident Göhrkin hat die Akademie für junge Fantasten geschlossen. Das war meine Schule. Ich bin gerne dort hingegangen. Aber Göhrkin hat befohlen, Rechnen zu lernen und keine Kraft mehr fürs Dinge-Erfinden zu verschwenden.“
„Ist