Wolfgang Bendick

Grün ist das Leben


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Auf jeden Fall geht man nicht zu einem Bio-Bauern einfach so zum Helfen! Es ist eher so, als würde man in einen Orden eintreten, oder in einen Aschram. Es geht weniger um die hilfreichen Handgriffe, sondern um die Einstellung, in der man sie macht. Und außerdem machten alle alles falsch, und eigentlich müssten die Helfer noch dafür bezahlen, dass sie helfen dürfen, da sie doch dem Bauern seine wertvolle Zeit nähmen und zudem in ihrem Unwissen Material und Pflanzen beschädigten…

      Wir liefen durch die Obstwiesen, die weitgehend brachliegenden Felder (nur ein paar Reihen Lauch und Rosenkohl spitzten aus dem schneebedeckten Boden), durch den Beerengarten, während der Bauer mit fast theatralischen Gesten versuchte, uns die Grundzüge der einzig wahren Anbauweise zu vermitteln: Die Natur gäbe nicht einfach so. Das sei kein automatischer Mechanismus. Das Säen, Pflegen und Ernten sei etwas Ganzheitliches. Das sei ein Zusammenspiel von Weltall, Erde und Mensch. Man müsse Teil davon sein, oder zumindest, was uns beträfe, es noch werden!

      Irgendwie war der Gedankengang schon faszinierend! Auf diese Weise hatten wir etwas so Einfaches wie Säen, Ernten und Essen noch nie betrachtet! Ich dachte an meine Kindheit, wo alle wichtigen Gesten des bäuerlichen Alltags von Gebeten oder Segnungen begleitet waren. Ich sagte das dem Bauern. Der stutzte einen Moment. „Da ist schon auch etwas dran. Man muss sich bewusst sein, dass es universelle Kräfte sind, früher hätte man gesagt göttliche, die da wirken, dass wir Menschen und das ganze Weltall eine Art Einheit bilden, wo alles alles beeinflusst. Und das kann auf zweierlei Weise geschehen, zum Positiven als auch zum Negativen, zum Heil oder zum Unheil, zur Gesundheit oder zur Krankheit des Wesens, ob es nun ein Mensch oder eine Pflanze ist.“

      Doch all das waren vorerst nur Worte in den Wind gesprochen, denn der Bauer machte uns klar, dass es jetzt im Winter keine Arbeit gäbe, und nur eine warme Unterkunft zur Verfügung zu stellen, die wir dann wieder verließen, sobald die schöne Jahreszeit käme, dazu sei er nicht da! „Arbeit gibt es doch auch im Winter“, warfen wir ein, „Holz machen, Reparaturen, aufräumen!“ „Ja könnt ihr das überhaupt? Ihr jungen Leute heutzutage glaubt alles zu wissen, alles zu können und habt doch jeder zwei linke Hände… wenn man bedenkt, wer hier alles schon versucht hat, zu arbeiten…!“. Wir kamen in den engen, dämmerigen Kuhstall. Sechs Kühe fristeten hier ihr ganzheitliches Dasein. Es war warm und roch süßlich nach Heu, Mist und Milch. „Wir könnten jeden Tag misten, die Tiere striegeln…“. „Melken tu aber nur ich! Denn bei jemand anderem verlieren die Kühe gleich ihre Milch!“ Die Kühe machten lange Hälse. Sie streckten weit ihre Zunge hinaus, um uns zu abzulecken, und leckten sich anschließend ihr glänzendes Maul und die Nasenlöcher. „Kühe sehen nicht gut. Sie besitzen nur dreißig Prozent des Sichtvermögens eines Menschen. Auch sehen sie kein Rot. Ihr Blickwinkel ist 330 Grad, das heißt, fast rundum. Dafür aber ist ihr Geruchsinn sehr ausgeprägt“, erklärte der Bauer. „Den Duft, den sie an euch gefunden haben, bringen sie mit ihrer Zunge in ihre Nase und machen sich dann ein ‚Bild‘ vom Gerochenen. Sie scheinen euch zu mögen!“ War es das, was den Ausschlag gegeben hatte?

      Jedenfalls kamen wir überein, dass wir auf dem Hof bleiben könnten. Bis zum Herbst. Wenn dann weniger Arbeit wäre, müssten wir aber gehen! Den nächsten Winter könnten wir jedenfalls nicht bleiben! Man nähme uns aus reiner Nächstenliebe, denn effektive Arbeit zu leisten, wären wir erst in ein paar Jahren imstande. Auch bekämen wir nur die vier Wände zur Verfügung gestellt! Holz und Essen müssten wir selber besorgen, wir bekämen keinen Lohn, würden nicht versichert, müssten aber im Winter mindestens einen halben Tag, und wenn dann die Arbeit losginge, einen ganzen Tag arbeiten! Ein Tag in der Woche sei frei. Wir sagten zu, aber unter der Bedingung, dass einer von uns unter diesen Umständen später auswärts Arbeit suchen müsste, denn etwas Geld bräuchten wir doch noch. „Ihr wisst gar nichts von eurem Glück, denn im Schwarzwald gibt es einen Bauern, der sich 800 Mark im Monat zahlen lässt dafür, dass man dort arbeiten kann! Da geht es morgens um 5 Uhr raus und bis zum Sonnenuntergang, und alles wird von Hand gemacht und mit Pferden...“ Und dieser Landwirt, „der Rödelberger“, war ab jetzt der große ‚Buhmann‘, wenn wir mal mit unserem Los bei unserem Bauern nicht zufrieden waren.

      Unser Zimmer lag über der Küche der Bauernfamilie, unterm Dach des Hauses. Das Klo war im Flur, das Bad unten. Dieses konnten wir einmal pro Woche benutzen und es musste vorher eingeheizt werden. Ein alter Küchenherd war das Hauptmöbel unseres Raumes. Am ersten Abend durften wir ein paar Holzscheite des Bauern nehmen, dann mussten wir das Brennholz selber im Wald suchen. Als später das Feuer im Herd knisterte und die Flammen durch die schlecht schließenden Ringe der Platte hindurch unter der Zimmerdecke ihren Reigen tanzten, lagen wir auf der Matratze und waren glücklich. Man hatte uns genommen! Vom Stall dringen leise die Geräusche der Kühe zu uns herauf, ein Parfüm von Äpfeln liegt in der Luft, vermischt mit dem erdigen Geruch von Kartoffeln und dem Modergeruch aus dem Kellergewölbe, wo die Gemüse für den Hofverkauf ausliegen. Die Bäuerin hatte uns ein paar angewelkte Porree-stängel zugeschoben, aus den wir eine Suppe kochen konnten. „Das soll aber eine Ausnahme bleiben, denn die Gemüse sind zum Verkauf bestimmt!“, grummelte der Bauer. Später aßen wir dann unsere Suppe und genossen die vier ‚eigenen‘ Wände. War dies unser erster Schritt zu einem eigenen Höfle?

      Am nächsten Morgen ging es dann los. Man zeigte uns den Keller, die Schuppen, den Schweinestall. Doris sollte der Frau zur Hand gehen, ich folgte dem Bauern durch die restlichen Gebäude, wobei er mir alles zeigte und zugleich schon erklärte, was in Zukunft alles zu tun sei, falls er mal nicht da sei oder ich eine freie Minute hätte. Denn ohne Arbeit ginge es mal nicht auf so einem Hof! Und ich könnte mir gar nicht vorstellen, wie wenig in der Landwirtschaft verdient werde! „Das Beste wäre, gar nicht zu arbeiten, denn das würde wenigstens die Unkosten ersparen!“ „Aber man hat doch immer genügend zu essen, und das ist doch schon etwas!“, warf ich ein. Daraufhin bekam ich erst einmal eine lange Predigt über die Ausgaben für Versicherungen, Strom, Wasser und Maschinenreparaturen, Ernteausfälle und die schlechte Marktlage. Das kam mir zwar mehr als Ausrede vor, um uns keinen Lohn zahlen zu müssen, ließ es aber ohne Kommentar. Überall häuften sich Geräte und Dinge, die darauf warteten, repariert oder aufgeräumt zu werden, oder gleich weggeworfen oder verbrannt. Dafür, dass es die arbeitsarme Saison war, gab es überraschenderweise viel zu tun! Wie sollte das erst werden, wenn mal Hochsaison herrschte?

      Am Mittag wollten wir dann, wie ausgemacht, mit der Arbeit aufhören. „Ja aber ihr seid doch noch gar nicht fertig!“, bekamen wir zu hören. „Es war doch ausgemacht, in der ruhigen Zeit nur ein halber Tag Arbeit täglich!“, warfen wir ein. „In der Landwirtschaft gibt es keine festen Zeiten! Das ist eines der wichtigsten Dinge, die ihr noch lernen müsst! Fertig ist man, wenn die Arbeit beendet ist!“ Das schien uns wie eine neuartige Auslegung von ‚gleitender Arbeitszeit‘, wie sie gerade in manchen Betrieben ausprobiert wurde. Gut, wir hatten zugesagt, wollten außerdem, vor allem zu Anfang, auch niemanden enttäuschen. Also machten wir am Nachmittag weiter, bis unsere Aufgabe beendet war. Doch dann machten wir uns aus dem Staub, ohne dem Bauern etwas zu sagen.

      Wir erkundeten die nähere Umgebung. Wir gingen einfach der kleinen Teerstraße nach, die an dem Haus vorbei führte. Wir liefen durch eine vom Frost vergilbte Streuobstwiese zu einem kleinen Hügel. Wir schwangen uns über einen hölzernen Zaun und stiegen zwischen den grobrindigen, leicht gedrehten Stämmen bis hinauf auf den Moränenhügel. In der Ferne glitzerte der blasse Spiegel des Bodensees, umrahmt von den majestätischen, schneebedeckten Schweizer Bergen. War das schön! Wir setzten uns auf einen Anorak, schmiegten uns aneinander und ließen den Blick schweifen. Es roch leicht nach feuchtem Laub. Wir waren glücklich und verspürten so etwas wie das Gefühl von Heimat…

      Die Arbeit begann mit Sonnenaufgang. Auch, wenn sie nicht zu sehen war. Das war im Winter ganz angenehm, wenn es auch in der Früh nicht gerade ein Vergnügen war, wenn der Reif unter den Schritten knirschte und die Hände am eiskalten Werkzeug festklebten. Der Atem wehte wie eine weiße Fahne und kondensierte im Bart zu Tropfen. Langsam hob sich der Nebel und die Silberwelt wurde durchsichtiger. Wie Weihrauch lag der Geruch der Holzfeuer in der Luft, bis bald die ersten Sonnenblitze die Welt mit Farben bespritzten. Doch das war hier in Bodenseenähe leider nicht die Regel. Oft blieb es grau, und man vergaß schnell, dass irgendwo auch eine Lichtwelt existierte. So gegen zehn Uhr machten die Bauern Kaffeepause. Das war unsere Frühstückszeit. Außerdem waren wir keine Kaffeetrinker. Das war weniger