und so ist es leicht nachzuvollziehen, dass man als Psychologe ein wenig neidisch ist auf den Arzt, der sozusagen als Herr über Leben und Tod angesehen wird, auch wenn das natürlich gar nicht zutrifft. Die Ärzte halten sich auf jeden Fall den Psychologen und meist auch den Psychotherapeuten für überlegen. Diesbezügliche Erlebnisse sind im Gedächtnis gespeichert. Die Psychiaterin, die mir so nebenbei folgende „Anordnung“ gab: „Machen Sie da mal einen Intelligenztest!“ Immerhin war das etwas, das sie nicht konnte und wo sie sich nicht auskannte. Das Gefälle war jedenfalls deutlich zu spüren. Auch in meiner späteren Tätigkeit als Klinischer Psychologe in einer Kinderklinik bestätigte sich der Eindruck, dass die Ärzteschaft eine gewisse Vorherrschaft und hoheitliche Stellung für sich beansprucht. Auch ein Assistenzarzt fühlt sich immer noch befugt, einem Psychologen Weisungen zu erteilen. Aus diesem Grund ist es nicht gerade berauschend, als Psychologe in einem Krankenhaus zu arbeiten, und ich habe es immerhin 14 Jahre lang getan. Es mag allerdings sein, dass sich in psychiatrischen Kliniken und Krankenhäusern die Lage inzwischen verändert hat. Der Traum zeigt jedenfalls einen gewissen Minderwertigkeitskomplex und den Wunsch, „alles“ zu haben, was aber schon an der eigentlich simplen Bedienung einer Blutdruckmanschette scheitern soll. Auf die Hybris folgt die Bescheidenheit. Man kann eben nicht alles beherrschen und sollte sich auf sein Fach beschränken, nach dem Motto: „Schuster, bleib bei Deinen Leisten!“ Dies ist wohl auch die Botschaft dieses Traumes.
Und hier noch ein Übertragungstraum: Ich bin in den Urlaub gefahren, ohne darauf zu achten, dass die Analyse ebenfalls pausiert. Ich will den Analytiker anrufen, denke aber zur gleichen Zeit darüber nach, ob ich es überhaupt tun soll. In der letzten Sitzung war ich verärgert und fühlte mich wie ein kleiner Junge behandelt, nach der Devise: „Sehen Sie mal, wie Sie sind!“
In Wirklichkeit wäre so etwas nie in Frage gekommen, und ich traue mich im Traum, was ich mich in der Realität nie getraut hätte. Es gehörte zum Behandlungsvertrag, dass ich möglichst meinen Urlaub mit dem des Analytikers in Einklang zu bringen habe. Ausnahmen wären natürlich möglich gewesen, aber die nahm ich nie in Anspruch. Das Ende des Traumes erinnert an das Orakel von Delphi: „Mensch, erkenne Dich selbst!“ und an Sokrates, dessen Wahlspruch dies war, wodurch dieser Traum eine philosophische Dimension erhält. Die Analyse hat ohnehin gewisse Ähnlichkeiten mit einem Orakel, und der Psychoanalytiker mit einem Philosophen, der die Lebenskunst lehrt und den Weg zu sich selbst. Die Spiegelung durch den Analytiker hatte mich verärgert, denn es war zu erkennen, dass ich wie ein kleiner Junge dastehe und nicht wie ein Erwachsener. Dies ist natürlich wenig schmeichelhaft und verweist auf eine innere Weigerung, das Kindsein aufzugeben, die offenbar auch noch im mittleren Alter seine Wirkung entfaltet. Das Verhalten im Traum entspräche also einem Ausagieren von Ärgergefühlen, die ich dem Behandler gegenüber nicht direkt zum Ausdruck gebracht hatte, die mir im Traum aber vor Augen geführt werden. Die gestellten Aufgaben wären: in der Selbsterkenntnis voranschreiten und das Erwachsenwerden in Angriff nehmen sowie Ärger besser direkt äußern, ohne zu agieren.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.