Zaubers, die mit melodischem Klang in’s Herz drangen, als wäre dasselbe eine Harfe, deren zarteste Saite erst jetzt berührt würde; eine Stimme, wunderbar schön. Mrs. Barney erschien unter der Thüre des Speisesaales, und stand auf der Schwelle wie ein Bild im eigenen Rahmen. Ein grüner Sammtvorhang, der auf einer Seite herabhing, unterstützte noch die Illusion; von dem großen Fenster fiel das Licht gerade auf sie herab, und die Strahlen der Sonne schienen sich aus der lieblichen Erscheinung zu concentriren und den übrigen Raum im Schatten zu lassen, so daß selbst der Major nicht mehr glänzte. Sie war reich gekleidet in silbergraue Seide mit violetten Fransen und Bändern, ein großer, schwarzer Spitzenshawl umhüllte sie gleich einer Draperie, und fiel von der einen Schulter in künstlichen Falten auf die Schleppe des Kleides herab; sie hatte den Hut abgenommen, und ihr dunkelbraunes Haar fiel in natürlichen Locken auf ihren Nacken; es war nicht befestigt wie bei Andern, sondern schien nur von der Stirne zurückgeworfen und in Ringeln aufgelöst da und dort niederzuwallen. Ihr Gesicht war vollkommen orientalisch, mit kleiner Adlernase, großen, schwarzen, mandelförmigen Augen, halb verschleiert durch lange, dunkle Wimpern; frischrothe, schwellende Lippen und einen blaßolivenfarbigen Teint. Diesen herrlichen Zügen und Farben war der noch weit lieblichere, beinahe kindliche Ausdruck beigefügt, der mehr als Alles die Herzen gewann. Ihre Feinde, unfähig ihre Reize zu verleugnen, nannten sie eine Jüdin, und sagten damit Alles, was sie konnten. Einige Minuten stand sie so in derselben Stellung, unbeweglich gleich einer Statue; es schien, als sei sie gewohnt zu warten, bis die Ueberraschung und Bewunderung, durch ihre Erscheinung hervorgerufen, sich gelegt habe; dann streckte sie eine kleine zart geformte Hand dem Hauptmanne entgegen, der sie angestarrt hatte, als erblickte auch er sie zum ersten Male.
»Hauptmann Walsingham, haben Sie Calcutta vergessen ?«
»Calcutta vergessen? Ich wette, er hat es nicht!« rief der Major mit lautem Lachen.
»Durchaus nicht, Mrs. Barney. Erfahrung ist eine kostspielige Lehrmeisterin zu jeder Zeit; aber sie würde eine schlechte sein, hätten wir ihren Unterricht so bald vergessen.«
»Er spricht,« sagte der Major, noch immer lachend, »wie die Moral am Ende der Kapitel einer Tendenznovelle. Schlauer Fuchs! Er hat sich rangirt, wie unsere Freunde jenseits des Canals sagen; aber laß es gut sein, Arthur, und stelle die Damen einander vor.«
Das gebräunte Gesicht des Hauptmanns nahm eine noch dunklere Färbung an.
»Es lohnt sich kaum der Mühe,« erwiederte er. »Wir reisen morgen nach dem Continent ab, weshalb die Damen nicht Muße hätten, sich näher kennen zu lernen. Komm, Claribel, komm’, Baronet.«
Er nahm den Knaben bei der Hand und schritt gegen die Thüre der Bibliothek, dem Major und dessen schönem Weibe den Rücken kehrend.
Mrs. Walsingham starrte verwundert ihren Gemal an; denn obgleich sie gewohnt war, ihn oft rasch und kurz in seinem Wesen zu finden, so hatte sie ihn doch noch nie sich so benehmen sehen. Indessen schien der Major nicht im mindesten beleidigt; er lächelte für sich selbst, und bevor der Hauptmann die Halle verlassen konnte, hatte er mit einer schönen Tenorstimme die ersten Strophen von einem Liede Moor’s zu singen begonnen.
»Flieh’ nicht jetzt, es ist die Stunde.«
Arthur Walsingham stand wie vom Blitz getroffen plötzlich stille.
»Ueberlege Dir’s besser, mein Junge,« sagte der Major, als er den Vers vollendet und einen recht kunstvollen Triller auf der vorletzten Note ausgeführt hatte; »überlege Dir’s besser, Kind, und stelle Mrs. Walsingham meiner Frau vor, mache sie mit einander bekannt, Arthur, und gib die Tour auf das Festland auf; es ist in der That besser.«
Der Hauptmann stellte die Damen einander vor, und Claribel schien sehr eingenommen für die schöne Fremde.
»Willst Du Deinen Freund nicht zur Tafel laden, Arthur,« flüsterte sie ihrem Gatten zu, doch er antwortete ihr nicht.
»Führe Mrs. Barney in den Salon, Claribel,« sagte er, »und Du, Major, komm und rauche eine Zigarre mit mir auf der Terrasse.«
»Ein Dutzend, mein lieber Junge, denn ich habe Dir so viel zu sagen.«
Die beiden Männer gingen die lange Promenade auf und ab, bis die Eßglocke von der Kuppel über der Halle läutete.
Die Damen, in der Nähe eines Fensters im Salon sitzend, sahen, daß die Männer sich einer eifrigen Unterhaltung hingaben. Der Major war besonders lebhaft und gesticulirte stark; Hauptmann Walsingham dagegen ging mit gesenktem Haupte hin und her, hatte die Hände in den Taschen, und man konnte bemerken, daß, je lebhaften der Major sprach, lachte und gesticulirte, desto stärker tauchte sein Begleiter und schien seine Zigarre mit einigen Zügen verdampfen zu wollen. Einige Minuten nach dem Läuten der Glocke trat Hauptmann Walsingham, gefolgt von seinem Freunde, zu der Glasthüre des Salons herein.
»Claribel,« sagte er, »Major Barney hat mich überredet unsere Reise zu verschieben, bis er sich mit seiner Gemalin uns anschließen kann; unterdessen hat er mir versprochen, uns eine oder zwei Wochen mit seiner Gegenwart zu erfreuen.«
»Arthur war so beredt in seinen gastfreundschaftlichen Anerbietungen, liebe Ada, daß ich, ohne Deine und Mrs. Walsingham’s Wünsche einzuholen — welche, nebenbei gesagt, diese indischen Freundschaften sehr unbequem finden wird — zusagte, mich einige Tage hier aufzuhalten. Aber ich habe meinen eigenen Wagen bei mir, Arthur; wird Dich das belästigen?«
»Nein; es ist Platz genug in den Ställen und Remisen. Du hast also auch Deinen eigenen Kutscher.«
»Ja, einen prächtigen Kerl, er wird ein wahrer Schatz für Dein Bedientenzimmer sein.«
»Der Major und Mrs. Barney werden die blauen Zimmer bewohnen. Claribel, willst Du die Carson beordern?«
»Ja, sogleich, Arthur! Ich freue mich sehr, daß Sie bei uns bleiben,« fügte Mrs. Walsingham, sich zu Ada Barney wendend, hinzu.
»Sie gefällt Ihnen?« frug der Major; »ich dachte mir’s, sie gefällt Jedermann.«
Sie wollten eben das Zimmer verlassen, als Major Barney sich an der Thüre umwandte, und, in dem reichen Gemach umherblickend, dessen Fenster die Aussicht auf die weiten Gärten, den See und Wald gewährten, sagte:
»Also dies ist Lislewood-Park! Arthur Walsingham, Du bist schlauer als Dein Vorgesetzter.«
Sechstes Kapitel.
Unterjocht.
Major Granville Barney schimmerte und funkelte in erneutem Glanz bei der kleinen Gesellschaft am Mittagstische. Er saß neben Claribel Walsingham, und die sonst so gleichgültige Herrin von Lislewood-Park hörte mit ungetheiltem Interesse dem fortwährenden Geplauder des goldhaarigen Officiers zu. Er erzählte ihr hunderterlei Anecdoten aus dem Leben in Indien, Anecdoten, die so kurz und treffend, so zierlich und epigrammatisch waren, daß sie eben so glänzten und reizend waren wie der Major selbst.
Wie alle stillen, duldsamen und unselbstständigen Charaktere, ward auch Claribel stets durch den lebhaften Geist Anderer gefesselt. Sie bewunderte den feurigen Officier, der ihr beinahe im selben Athem von einem entsetzlichen Kampfe in Punjanb und einer lustigen Geschichte bei einem Diner in Calcutta erzählte. Sie seufzte, als sie von dem begabten Major auf den stillen Hauptmann blickte, der sich finster über seinen Teller beugte und gedankenlos das Wappen der Lisle anstarrte.
»Ach,« dachte sie, »wenn nur Arthur solchen Geist besäße!«
Mrs. Barney sprach sehr wenig; sie hatte wahrscheinlich die Geschichten des Majors schon alle gehört, und Hauptmann Walsingham machte keinen Versuch eine Unterhaltung mit seiner schönen Nachbarin anzuknüpfen, sondern lehnte sich verlegen in seinen Sessel zurück und ließ sein Glas Portwein unberührt.
Am Abend, als die Damen im Salon saßen, und der Major Mrs. Walsingham eine topographische Beschreibung von der »Stadt der Paläste« machte, schritt der Hauptmann aus der offenen Glasthüre, die Terrassenstufen hinab und durch den Garten in die lange Allee, die zu dem Thore führte. Die Sonne war am bewölkten Himmel untergegangen, nur einige Streiflichter zurücklassend,