ihn der König mit in seine Loge oder lädt ihn zu Festen ein, als ausländischen Ehrengast?«
»Das weiß ich nicht, würde es aber verneinen. Ich denke Österreich und Preußen werden genau wissen wollen, was Napoléon künftig anstellt. Wir Briten müssen Garantien geben. Nach der Meinung vieler Leute sollte Napoléon ein Gefangener sein. Wir retten ihn nur vor der Haft, die ihm hier in Frankreich droht. Ich denke, man muss annehmen, dass die Bourbonen noch eine Rechnung mit den Bonapartes offen haben. Das könnte unschön werden, weil Rache nie ein guter Berater ist.«
»Aber man könnte es doch verstehen«, warf ich ein. »Ludwig musste im März flüchten, hat sehr wahrscheinlich um sein Leben gebangt. Wenn er Napoléon jetzt in einen tiefen Kerker wirft und einen tonnenschweren Deckel darauflegt, wäre ein Problem gelöst.«
Doctor O'Meara nickte. »Einmal davon abgesehen, dass so etwas nicht menschlich wäre und wir Briten es nicht zulassen dürfen, warum ist Ihrer Meinung nach nur ein Problem gelöst und nicht alle Probleme generell?«
»Weil ich es bereits im letzten Jahr in Paris erlebt habe. Napoléon mag nur ein ganz normaler Mensch aus Fleisch und Blut sein, aber hinter ihm steht eine Idee, eine Ideologie, die von vielen seiner Anhänger weitergetragen wird. Es verselbständigt sich. Und die königstreuen Franzosen werfen den Weißen Terror dagegen. Bonapartisten gegen Royalisten. Ein Napoléon, der in England präsentiert wird, dort residiert, vielleicht sogar seine Anhänger empfängt und ohne es zu wollen für die Sache entzündet, kann für den schwelenden Konflikt nicht gut sein.«
»Bonapartisten«, wiederholte der Doctor. »Diese Bezeichnung für die Anhänger Napoléons habe ich noch nie gehört. Anhänger, Verehrer, verklärte Bewunderung. Sie haben recht, dies darf keine Nahrung erhalten, in dem Napoléon greifbar, ja sichtbar bleibt.«
»Genau das meine ich. Was will Ihre Regierung dagegen tun, was meinen Sie?«
»Ich habe keine Vorstellung, aber ich glaube, unsere Regierung, die zuständigen Minister, ja selbst der Prinzregent, werden dies berücksichtigen. Napoléon wird in England keine Bühne erhalten, davon bin ich überzeugt.«
»Was ist mit Übersee?«, fragte ich.
»Übersee, sie sprechen von Terra Australis. Meinen Sie, man sollte Napoléon in eine Strafkolonie deportieren? Das wäre ja noch schlimmer, als ihn den Bourbonen zu überlassen, er wäre dann allerdings für niemanden mehr sichtbar.«
»Ich hatte nicht Terra Australis gemeint«, sagte ich nachdenklich. »Aber ich hoffe, außer Ihnen kommt niemand auf diese Idee. Und wenn doch, ist Terra Australis in zwei Jahren entweder französisch und hat ein schlagkräftiges Heer oder hat Napoléon Bonaparte auf dem Gewissen.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich dachte an Louisiana, an Amerika.«
»Das hat er mir auch erzählt«, antwortete der Doctor. »Ich soll Captain Maitland davon erzählen, aber Napoléon weiß nicht, dass der Captain in dieser Angelegenheit überhaupt keinen Einfluss hat. Die Bellerophon wird nach Plymouth segeln und dort entscheiden andere Instanzen, wie es weitergeht.«
»Und gerade das würde mich interessieren«, sagte ich. »Sehen Sie die Möglichkeit, mir zu schreiben oder mir Nachricht zu geben?«, fragte ich.
»Aber gerne, mein Freund«, rief Doctor O'Meara. »Wo Sie doch schon länger mit Napoléon bekannt sind und auch während seines Exils auf Elba bei ihm waren. Beabsichtigen Sie denn, den Kaiser nach Louisiana zu begleiten, wenn es denn so kommt?«
»Oh, das kann ich gar nicht sagen, Elba oder Louisiana, das ist schon ein großer Unterschied. Aber eher nicht. Ich fürchte, ich habe Napoléon heute das letzte Mal gesehen und habe lediglich Interesse daran zu erfahren, wie es ausgeht.«
Der Doctor nickte. »Ich kann Ihnen bestimmt später berichten, denn Napoléon hat mich gebeten, auf der anstehenden Reise nach Plymouth sein Arzt zu sein, sofern es meine Pflichten an Bord erlauben.«
»Das ist sicherlich eine große Ehre für Sie.«
»Es ist auch eine Verantwortung, aber es ist noch nicht entschieden, weil der Captain dem noch zustimmen muss.« Der Doctor reichte mir die Hand. »Und darum muss ich mich jetzt von Ihnen verabschieden, weil ich das Gesuch noch schriftlich niederlegen muss. An welche Adresse müsste ich denn meinen Brief senden, damit er Sie erreicht?«
Ich gab Doctor O'Meara eine Anschrift in Lübeck, unter der meine Post lagernd aufbewahrt wurde. Er steckte das Papier sorgfältig ein und ging zurück zur Residenz, in der Napoléon seine letzten Stunden auf französischem Boden verbrachte.
Als ich die Île-d’Aix zwei Stunden später verließ, segelte uns ein Tender der Bellerophon entgegen, der wahrscheinlich Auftrag hatte, Doctor O'Meara zusammen mit Napoléon und dessen Entourage abzuholen. Ich blickte dem kleinen Schiff nach, wie es in die Bucht halste, um an der Mole anzulegen. Auf dem Weg ans Festland war ich nicht der einzige Passagier. Général Arnauld war noch kurz vor dem Ablegen an Bord gesprungen. Ich hatte ihn erst gar nicht erkannt, denn er trug seine Uniform nicht mehr, hüllte sich vielmehr in einen langen Mantel, die Kapuze eng über den Kopf gezogen. Er hatte sich dann auch sofort nach vorne zum Bug begeben und stand dort jetzt regungslos. Ich war ein, zwei Mal versucht, zu ihm zu gehen, ließ es aber bleiben und setzte mich stattdessen Midships auf eine Bank und sah an Steuerbord über das offene Meer. Ich hatte weiter nicht auf Arnauld geachtet, der sich plötzlich ungefragt neben mich setzte.
»Wir haben alles getan, um ihn da raus zu holen«, begann er und lüftete dabei etwas die Kapuze. »Die Saale und die Méduse sind noch in der Nähe, aber wir haben gegen die britischen Kriegsschiffe keine Chance.«
»Ich verstehe nicht?«
»Es wird keine Befreiung geben, noch nicht«, fuhr Arnauld fort. »Es kann aber sein, dass wir Sie auffordern, später Ihr Versprechen einzulösen.«
»Mein Versprechen? Ich habe niemandem irgend etwas versprochen.«
»Wir haben noch ein drittes Schiff, aber das ist weit von Europa entfernt. Fouché hat Nachforschungen angestellt. Napoléon hat ihm vertraut, aber Fouché arbeitet nur für Fouché. Fouché vertraut nur Fouché und sucht sich einen neuen Herrn, so wie der Wind die Fahne dreht.«
»Ich verstehe das alles nicht, was wollen Sie?«
»Sie sind neutral und gerecht. Es ist gerecht, dass Napoléon Frankreich verlassen muss. Es ist nicht gerecht, dass die Sieger willkürlich über sein Schicksal entscheiden.«
»Wir sollten das Gespräch beenden«, rief ich.
»Ja, das sollten wir. Dennoch haben Sie Ihr Wort gegeben. Sie bekommen die Faucon zurück, irgendwie, aber Sie müssen Ihr Wort halten. Es reicht, dass Sie das Wissen.«
Ich wollte schon aufspringen, aber Arnauld kam mir zuvor. Er ging zurück zum Bug und blieb dort stehen, bis wir das Festland erreichten. Er blieb auch noch, als ich eilends das Schiff verließ.
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