Barni Bigman

Totensee oder Die Odyssee des van Hoyman


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Füßen herum getrampelt, weil ich mein Maul nicht im Zaum hatte.“ Hans schaute nachdenklich drein. „Die Ernte ist dieses Jahr reichlich. Könnte Hilfe gebrauchen. Wenn du mir helfen willst, sollst du Essen und Trinken auch über den Winter haben. Und niemand würde dich bei mir suchen, geschweige denn finden. Die Reiter waren bereits auf meinem Hof und sind dann weiter zur Stadt. Haben weder Hexen, noch Zauberer, noch Juden, noch dich gefunden.“

      „Zum Teufel mit ihnen“, meinte Pit. „Na ja, die tun doch auch nur ihre Pflicht und die Kirche wird schon wissen, wozu das alles gut ist“, meinte Hans. „Ja, das wird sie wohl“, meinte Pit und hielt, sich auf die Lippe beißend, sein selbstplapperndes Schandmaul im Zaum. „Werd schon fleißig für dich arbeiten.“ sagte Pit. „Soll unser beider Schade nicht sein.“ Dabei machte er, dass er aus dem kalten Wasser heraus kam und kletterte die Böschung hoch. Die Stiefel angezogen und rasch dem Hans, der schon ein Stück vorangegangen war, hinterher. Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch kam der Hof von Hans Wilken in Sicht. Nicht, dass die Felder entlang der gesamten Strecke ihm gehörten. Nein. Er hatte Hans auf dem weit entferntesten Flurstück von mindestens fünf verstreut liegenden getroffen. Der Hof, wenn man ihn so nennen wollte, lag etwas entfernt vom Hauptweg, welchen sie nun kreuzen mussten.

      Pit ließ sich seine Enttäuschung beim Anblick der Hofstelle nicht anmerken. Der Hof seines Vaters mit den nach außen gerichteten Pferdeköpfen am Giebel, welche den freien Bauern anzeigten, die Stallungen und die Scheune, die so weit vom Haupthaus entfernt lagen, dass der rote Hahn nicht übergreifen konnte, waren keinen Vergleich wert, mit diesem Anwesen. Augenscheinlich war Hans Pächter und wohl früher Leibeigen gewesen, denn die Pferdeköpfe wiesen nach innen und schauten sich an. Der Hof war so gebaut, dass alles, Vieh, Gerätschaften, die Ernte und auch das Gesinde und die Bauersleute darin Platz fanden. Das wahrhaft riesige Strohdach war beinahe bis auf den Erdboden heruntergezogen, sodass die kleinen, aber bereits mit Butzenscheiben verglasten Fenster von Weitem kaum zu erkennen waren.

      Hans öffnete den unteren Teil der mächtigen, wuchtigen Dielentür und mit einer Verbeugung, weniger des „heiligen“ Spruches im Querbalken wegen, sondern eher, um sich nicht den Kopf zu stoßen, traten sie ein. Ein dumpfer, muffiger Geruch nach Kuh und Schwein empfing die müden Wanderer. Aber auch die Bäuerin Greten und Magd Lisa kamen ihnen entgegen und empfingen sie herzlich.

      Nach der unvermeidlichen Vorstellungsprozedur gingen sie über die lange Diele, am Schweinegatter und Kuhstalltrakt vorbei in den Wohnbereich. Hier änderte sich der Duft ein wenig und ging vom Schweine- und Kuhmuff in einen verheißungsvollen Essensdunst über, welcher einem riesigen, eisernen Kessel über dem offenen Feuer der Herdstelle entsprang. Die große Herdstelle, einer in die Quermauer integrierten, riesigen Esse, welche sich nach oben hin verjüngte und in einen verrußten Schornsteinschlot mündete, war mit allerlei im Rauch hängenden Fleischwaren bestückt. Schinken und Würste hingen nebeneinander an einer langen Holzstange nahe dem Schornstein.

      Linker Hand, neben der Esse war mannshoch dass Feuerholz gestapelt, während sich rechts die Tür zur guten Stube und den Räumen der Bauersleute anschloss. Vor der Herdstelle stand der lange, aus grob behauenen Eichenbohlen bestehende Esstisch, den zwei ebensolche Bänke auf beiden Seiten zu einem recht gemütlichen Ruheplatz machten. Ruheplatz? Pit schwante nichts Gutes, als er rechter Hand, gleich an den duftenden Kuhbereich anschließend das wahrhaft riesige, kastenartige Gesindebett wahrnahm. Die Butze. Ein Bett für alle.

      Natürlich nicht für die Bauersleute, deren Alkoven gemütlich im gute Stuben Bereich gleich hinter der warmen Herdwand lag. Na ja, hinter dem warmen Kuhstall war es im Winter sicher auch auszuhalten. Pit fragte Hans, mit wem er als neuer Butzenmann noch das Bett teilen sollte. „Nur mit Lisa und dem Knecht Laars. Den hast du noch nicht kennen gelernt, weil er noch Äpfel für den Winter pflückt.“ „So, so“, entgegnete Pit. „Das kann ja lustig werden.“ Er schaute hinüber zu Lisa und rieb sich das Kinn.

      Lisa war eine kleine gedrungene Frau, die ein hübsches, dralles Gesicht, Apfelbäckchen und, was am auffälligsten war, noch alle Zähne hatte. Ihre lange, bunte Schürze und ihr zauberhaftes Lächeln lenkten davon ab, dass sie außerdem ein kürzeres Bein hatte und deswegen hinkte. Nachts sind alle Katzen grau und alle Beine gleich lang, dachte Piter van Hoyman. Oh, lüsterner Knabe, beherrsche dein Streben und deinen sündigen Leib, poesierte er weiter in sich hinein und lenkte seine Gedanken in andere Richtungen.

      Die Dielentür öffnete sich und herein kam Laars mit einer großen Kiepe bis oben hin voll mit rotbäckigen Äpfeln. „Wer´s das denn?“ Tönte es Pit entgegen. „Das ist euer neuer bi ba Butzenmann“, lachte Hans. „Nein, Laars, im Ernst, wir können doch Hilfe gebrauchen und wenn er uns im Winter nicht die Haare vom Kopf frisst, ist er bestimmt auch als Geschichtenerzähler ganz brauchbar.“ „Dieses Bürschchen soll Geschichten erzählen? Was soll der schon erlebt haben. Ist doch höchstens 14 Jahre.“ „Nein, 15 Lenze,“ erwiderte Pit. „Und du bist sicher auch nicht viel älter.“ „Na, ja, 17 bin ich schon, aber Geschichten? Lisa ist 20 und kann sicher auch schon schlüpfriges erzählen.“ Laars kicherte anzüglich. „Werde wohl im Winter Verstärkung brauchen.“

      Pit lief rot an und Hans warf lachend ein: „Erst die Arbeit und, wenn ihr dann noch Flausen im Kopf habt, das Vergnügen.“ – „Aber keine Sauereien in diesem christlichen Haus. Nicht, dass die arme Lisa nachher mit einem Strohzopf geschmückt durch die Seitentür in die Kirche zur Trauung muss. Dass fällt alles auf den Bauern zurück und, obgleich der Hof abgelegen liegt, möchte ich doch nicht, dass das ganze Dorf über uns herzieht.“

      Damit waren die Fronten vorerst geklärt und der Alltag hielt mit harter Erntearbeit Einzug. Die Arbeit war fast wie zu Hause. Zumindest hielt die harte Arbeit Pit vom Grübeln ab und ließ ihn fast vergessen, dass er immer noch ein Verfolgter war. Erst der Winter würde ihn vor den Nachstellungen der Kirchenhorde eine Zeit lang schützen. Die Zeit verging und noch einmal wurden von Laars und Pit schwarze Reiter gesichtet, welche jedoch eilig vor dem nahenden Winter in ihre Löcher flüchteten. Verrecken sollen Sie unter den Rockschößen der purpurnen Kutten, dachte Pit. Bei Hans und Greten durfte Pit dieses Thema nicht vertiefen. Sie glaubten und wollten und sollten den Glauben auch behalten. Er versprach zumindest Glück und Segen, was Pit sich selbst nicht zugestand und nach der Verfolgung schon gar nicht mehr.

      Die Zeit brach an, zu der sich der ganze Hof auf den harten Winter einstellte. Beim Holz hacken dachte Pit an die nun zufrierenden Gräben und Kanäle in seiner Heimat, auf denen sie die scharfen Knochen unter die Schuhe gespannt, bis in die weit entfernte Stadt laufen konnten. Letzten Winter war der Schneefall aber so intensiv, dass auch dieses nicht mehr möglich war. Die Ernte war unter Dach. Die Äpfel lagerten kühl und sollten, gut eingeteilt, über den Winter reichen. Die Schweine wurden, bis auf zwei, geschlachtet und zerlegt. Nun hingen sie fein säuberlich über dem Herd im Rauch der Esse, wo sie hin gehörten und kein Futter mehr verlangten. Der beißende Räuchergeruch vertrieb den üblen Duft nach rohem Fleisch und Blut und dieser wich langsam dem verheißungsvollen Duft nach leckeren Würsten und Schinken.

      Pit hackte Holz. Ganze Stämme, die schon einige Jahre unter dem heruntergezogenen Reetdach trockneten, hackte er in brauchbare Stücke. Holzhacken „anstatt“ dachte Pit. Laars war schon seit geraumer Zeit nachts mit Lisa in Gange. Auch wenn Pit dabei viel lernte, war es ihm doch jedes Mal sehr peinlich, wenn die beiden neben ihm in der Butze juchend und kreischend unter den üppig gefüllten Federbetten rummachten und die frisch aufgeworfene Strohunterlage bis auf die Holzbretter zerwühlten. Hoffentlich reißen sie sich Splitter in ihre Ärsche, fluchte Pit in sich hinein. Er zog sich wie immer die Decke über den Kopf, sodass er fast nicht mehr atmen konnte und schlief mit unkeuschen Gedanken ein.

      Der Winter war schwer zu ertragen. Das Tagewerk wurde bestimmt von den immer wiederkehrenden, lebensnotwendigen Tätigkeiten wie Einheizen, die einzige Kuh melken und füttern und auch den Eber und die Sau, welche als einzige nicht im Rauch hingen, mit Futter zu versorgen. Es wurde schon untereinander gestritten, wer heute die Arbeit tun durfte. Einzig das Essen zuzubereiten war Gretens und Lisas Bereich.

      Der Schnee lag inzwischen Meter hoch und der eisige Wind machte einen Aufenthalt außerhalb des Hauses so gut wie unmöglich. Das wenige Tageslicht welches noch durch die verschneiten