George Orwell

Farm der Tiere


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recht wußten, wie ihnen geschah, die Rebellion erfolgreich durchgeführt: Jones war vertrieben, und die Herren-Farm gehörte ihnen.

      Zuerst konnten es die Tiere kaum fassen, daß sie soviel Schwein gehabt hatten. Ihre erste Handlung bestand darin, geschlossen um die Grenzen der Farm zu galoppieren, so als wollten sie ganz sicher gehen, daß sich nirgendswo mehr ein Mensch versteckt hielt; dann stürmten sie zu den Farmgebäuden zurück, um die letzten Spuren von Jones' verhaßter Herrschaft auszutilgen. Die Geschirrkammer am Ende der Ställe wurde aufgebrochen; die Kandaren, die Nasenringe, die Hundeketten, die grausamen Messer, mit denen Mr. Jones die Schweine und Lämmer immer kastriert hatte, wanderten samt und sonders in den Brunnen. Die Zügel, die Halfter, die Scheuklappen, die entwürdigenden Nasenbeutel flogen ins Kehrichtfeuer, das im Hof brannte. Und die Peitschen auch. Alle Tiere vollführten Freudensprünge, als sie die Peitschen in Flammen aufgehen sahen. Schneeball warf auch die Bänder ins Feuer, mit denen die Mähnen und Schweife der Pferde an Markttagen gewöhnlich geputzt worden waren.

      »Bänder«, sagte er, »sollten als Kleidungsstücke angesehen werden, die ja das Erkennungsmerkmal des Menschen sind. Alle Tiere sollten nackt gehen.« Als Boxer dies hörte, holte er den kleinen Strohhut, den er sommers trug, um die Ohren vor Fliegen zu schützen, und warf ihn zu dem übrigen ins Feuer.

      In allerkürzester Zeit hatten die Tiere alles vernichtet, was sie an Mr. Jones erinnerte. Dann führte Napoleon sie zur Futterkammer zurück und teilte an jeden eine doppelte Ration Korn aus, und jeder Hund bekam zwei Hundekuchen. Nun sangen sie noch siebenmal hintereinander ›Tiere Englands‹ von Anfang bis Ende, und danach richteten sie sich für die Nacht ein und schliefen so tief wie nie zuvor.

      Doch bei Morgengrauen erwachten sie wie gewöhnlich, und als sie sich plötzlich der grandiosen Sache erinnerten, die passiert war, da stürmten sie alle zusammen auf die Weide hinaus. Ein kurzes Stück die Weide hinunter lag ein kleiner, rundlicher Hügel, der einen Blick über den größten Teil der Farm erlaubte. Die Tiere liefen zu seiner Kuppe hinauf und schauten im klaren Morgenlicht rings um sich her. Ja, es gehörte ihnen - alles was sie erblicken konnten, gehörte ihnen! In ihrem Begeisterungstaumel darüber tollten sie umher und vollführten wahre Luftsprünge vor Aufregung. Sie kullerten sich im Tau, sie rissen das leckere Sommergras büschelweise aus, sie scharrten Klumpen schwarzer Erde auf und schnupperten ihren würzigen Geruch. Dann unternahmen sie einen Inspektionsgang über die ganze Farm und musterten mit sprachloser Bewunderung das Ackerland, die Wiese, den Obstgarten, den Teich, das Buschwerk. Es war, als hätten sie all diese Dinge nie zuvor gesehen, und selbst jetzt konnten sie es kaum glauben, daß das alles ihnen gehörte.

      Dann marschierten sie zu den Farmgebäuden zurück und blieben schweigend vor der Tür des Farmhauses stehen. Auch das gehörte ihnen, aber sie fürchteten sich davor hineinzugehen.

      Nach einer Weile jedoch stießen Schneeball und Napoleon die Tür mit ihren Schultern auf, und die Tiere traten im Gänsemarsch ein und gingen mit äußerster Behutsamkeit weiter, um nur ja keine Unordnung zu stiften.

      Sie zehenspitzten von Zimmer zu Zimmer, trauten sich gerade noch zu flüstern und besahen mit einer Art Ehrfurcht den unglaublichen Luxus, die Betten mit ihren Federmatratzen, die Spiegel, das Roßhaarsofa, den Brüsseler Teppich, die Lithographie der Königin Victoria über dem Kaminsims des Wohnzimmers. Sie kamen gerade die Treppe hinunter, da entdeckte man, daß Mollie fehlte. Die anderen kehrten um und suchten nach ihr; man fand sie im guten Schlafzimmer. Sie hatte von Mrs. Jones' Toilettentisch ein Stück blaues Band genommen, hielt es sich an die Schulter und bewunderte sich auf höchst törichte Art im Spiegel. Die anderen schalten sie heftig, und dann gingen alle hinaus. Etliche Schinken, die in der Küche baumelten, wurden zur Beerdigung nach draußen geschafft, und das Bierfäßchen in der Spülküche schlug ein Huftritt Boxers leck, doch ansonsten wurde im Haus nichts angerührt. Man faßte sogleich den einhelligen Beschluß, das Farmhaus als Museum weiterzuerhalten. Alle waren der Meinung, daß dort niemals ein Tier wohnen dürfe.

      Die Tiere frühstückten, und dann wurden sie von Schneeball und Napoleon wieder zusammengerufen.

      »Genossen«, sagte Schneeball, »es ist halb sieben, und wir haben einen langen Tag vor uns. Heute beginnen wir mit der Heuernte. Doch zuerst gilt es noch etwas anderes zu erledigen.«

      Die Schweine enthüllten jetzt, daß sie sich während der vergangenen drei Monate das Lesen und Schreiben beigebracht hatten, und zwar aus einer alten Fibel, die einst den Kindern von Mr. Jones gehört hatte und anschließend auf dem Misthaufen gelandet war. Napoleon ließ Töpfe mit schwarzer und weißer Farbe herbeischaffen und ging voran hinunter zu dem Gittertor mit den fünf Querstangen, das auf die Hauptstraße führte. Dann klemmte sich Schneeball (denn Schneeball konnte am besten schreiben) einen Pinsel zwischen die beiden Klauen seiner Schweinshaxe, übermalte das Wort HERREN-FARM auf dem obersten Torbalken und schrieb dafür FARM DER TIERE hin.

      So sollte von nun an der Name der Farm lauten. Hierauf gingen sie zu den Farmgebäuden zurück, wo Schneeball und Napoleon nach einer Leiter schickten, die sie an die Rückwand der großen Scheune lehnen ließen. Sie erklärten, daß es den Schweinen im Verlauf ihres dreimonatigen Studiums gelungen sei, die Prinzipien des Animalismus auf Sieben Gebote zu reduzieren.

      Und diese Sieben Gebote würden jetzt an die Wand geschrieben werden; sie würden das unabänderliche Gesetz bilden, nach dem hinfort alle Tiere auf der Farm der Tiere leben müßten. Mit einiger Mühe (denn es fällt einem Schwein nicht leicht, auf einer Leiter zu balancieren) kraxelte Schneeball hoch und ging ans Werk, während ihm einige Sproßen tiefer Schwatzwutz den Farbtopf hielt. Die Gebote wurden in großen, weißen Buchstaben an die geteerte Wand geschrieben, so daß man sie aus dreißig Metern Entfernung lesen konnte. Sie lauteten wie folgt:

      Die Sieben Gebote

      1. Alles was auf zwei Beinen geht, ist ein Feind.

      2. Alles was auf vier Beinen geht oder Flügel hat, ist ein Freund.

      3. Kein Tier soll Kleider tragen.

      4. Kein Tier soll in einem Bett schlafen.

      5. Kein Tier soll Alkohol trinken.

      6. Kein Tier soll ein anderes Tier töten.

      7. Alle Tiere sind gleich.

      Es war sehr sauber geschrieben, und abgesehen davon, daß ›Fruend‹ statt ›Freund‹ zu lesen war und ein ›s‹ seitenverkehrt, stimmte die Orthographie durchweg. Zum Nutzen der übrigen las es Schneeball laut vor. Alle Tiere nickten völlige Zustimmung, und die schlaueren begannen sogleich, die Gebote auswendig zu lernen.

      »Nun, Genossen«, sagte Schneeball und warf den Malerpinsel hin, »zur Wiese! Ehrensache, daß wir die Ernte schneller einbringen, als es Jones und seine Leute tun könnten.«

      Doch in diesem Augenblick ließen die drei Kühe, die sich schon seit geraumer Zeit unbehaglich gefühlt zu haben schienen, ein lautes Muhen vernehmen. Sie waren seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr gemolken worden, und ihre Euter platzten fast. Nach kurzem Überlegen ließen die Schweine Eimer holen und molken die Kühe mit recht gutem Erfolg, da ihre Haxen für diese Arbeit bestens geeignet waren. Bald schäumte in fünf Eimern sahnige Milch, die von vielen der Tiere mit erheblichem Interesse betrachtet wurde.

      »Was soll mit der vielen Milch geschehen?« fragte eines.

      »Jones mischte manchmal etwas davon in unseren Futterbrei«, sagte eine der Hennen.

      »Sorgt euch nicht um die Milch, Genossen!« rief Napoleon und baute sich vor den Eimern auf. »Darum wird sich schon gekümmert werden. Die Ernte ist wichtiger. Genosse Schneeball wird euch anführen. Ich folge in wenigen Minuten. Vorwärts, Genossen! Das Heu wartet.«

      So zogen die Tiere in Scharen zur Wiese, um mit der Ernte zu beginnen, und als sie am Abend zurückkamen, bemerkte man, daß die Milch verschwunden war.

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