Eliza Haywood

Liebe im Exzess


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befahl ihnen, Amena in ein anderes Zimmer mit mehr Luft zu bringen. Bevor sie ihnen folgte, wandte sie sich, noch immer sehr verwirrt, an den Count und sagte:

      „Verzeiht mir bitte, mein Herr, wenn die Sorge um meine Freundin mich verpflichtet, Euch zu verlassen.“

      „Oh Madame“, antwortete er, „Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, vielmehr ruft all Eure Güte auf, um einem Unglücklichen zu vergeben, der so blind für das Glück war wie ich.“

      Sie konnte oder wollte darauf nicht antworten, sondern tat so, als hätte sie es nicht gehört, ging eilig in das Zimmer, wo Amena nun war, und ließ den Count mit seinen ratlosen Gedanken zurück. Die Sanftheit seines Gemüts ließ ihn bedauern, der Urheber von Amenas Unglück zu sein, doch wie erbärmlich steht es um eine Frau, wenn sie wegen ihres Ungeschicks auf einen so armseligen Trost angewiesen ist wie das Mitleid ihres Liebhabers; das männliche Geschlecht ist im Allgemeinen zu lebenslustig, um lange schwermütig zu bleiben, und es ist unwahrscheinlich, dass D´Elmont ein Leiden zu beklagen imstande wäre, das er wegen seiner geringen Vertrautheit mit der Leidenschaft, der es entsprang, gar nicht verstehen konnte. Die Freude an der Entdeckung des Geheimnisses, das er so lange hatte erkunden wollen, hinderte ihn daran, dem Abenteuer, das dazu geführt hatte, allzu viel Aufmerksamkeit zu widmen; er kam aber nicht umhin, sich einer unverzeihlichen Dummheit zu zeihen, wenn er sich die Einzelheiten von Alovisas Verhalten, ihre Ohnmacht auf dem Ball, ihre ständigen Blicke sowie ihr häufiges Erröten, wenn er mit ihr sprach, vor Augen führte; und in all seine Betrachtungen, gleich ob über Alovisa oder Amena, mischte sich Verwunderung über die Macht, die von der Liebe ausgehen kann.

      Die Vielfalt seiner Gedanken würde ihn noch länger beschäftigt haben, wenn nicht ein hereinplatzender Page ihn mit der Nachricht unterbrochen hätte, dass der junge Chevalier Brillian gerade in Paris angekommen sei und ungeduldig die Rückkehr des Count erwarte. Und so sehr D´Elmont ein Fremder in der Welt der Liebesaffären war, so vertraut war er mit der Welt der Freundschaft; und weil er nicht zweifelte, dass die erstere hinter der letzteren in jeder Hinsicht zurückzustehen hatte, sagte er einer von Alovisas Dienerinnen beim Hinausgehen einfach nur, er würde ihr am Abend erneut seine Aufwartung machen, und eilte so schnell wie möglich nach Hause, um seinen geliebten Bruder, den er nach so langer Abwesenheit zurückersehnt hatte, willkommen zu heißen; und tatsächlich bekundeten beide durch die Art, wie sie sich wiederbegegneten, eine uneingeschränkte und aufrichtige wechselseitige Zuneigung.

      Der Chevalier war nur ein Jahr jünger als der Count; sie waren von Kindheit an zusammen aufgewachsen und so seelenverbunden und so ähnlich in ihrer Erscheinung, dass ihre Liebe zueinander weit über das hinausging, was zwischen Verwandten sonst üblich ist. Nach der Begrüßung begann D´Elmont seinen Bruder auszufragen, wie er die Zeit seit ihrer Trennung verbracht hatte, und tadelte ihn ein wenig dafür, nicht so oft geschrieben zu haben, wie er es eigentlich erwartet hätte.

      „Es tut mir leid, liebster Bruder“, antwortete der Chevalier. „Mir sind seitdem einige Abenteuer widerfahren, die meine Nachlässigkeit hoffentlich entschuldigen, wenn ich sie berichte.“

      Er seufzte dabei, und ein melancholischer Ausdruck zog über sein Gesicht und verdunkelte das muntere Funkeln in seinen Augen, was in dem ungeduldigen Count den Wunsch erweckte, den Grund dafür zu erfahren. Als er darum bat, erfüllte der Chevalier (nachdem er seinen Bruder verpflichtet hatte, bis zum Ende des Berichts keine Anzeichen von Spott zu zeigen, egal welche Gründe er auch fand, sich über die Torheit des anderen lustig zu machen) den Wunsch auf diese Weise:

      Die Geschichte des Chevalier Brillian

      Dem unglücklichen Chevalier kamen bei diesen Worten die Tränen, so dass der Count, als er dies sah, ihn liebevoll umarmte und zu trösten versuchte, wie es von einem herzlichst verbundenen Freund zu erwarten ist. Um das zu erreichen, wollte der Count seinen Bruder nicht aus seinen Armen entlassen, denn er glaubte, dass von den Abenteuern eines anderen zu hören (besonders von jemanden, an dem er überaus interessiert war) für den Bruder das sicherste Mittel sei, mit seinen melancholischen Gedanken Frieden zu schließen. Also erzählte der Count ihm alles, was ihm seit seiner Ankunft in Paris geschehen war: die Briefe, die er von einer unbekannten Lady erhielt, seine kleinen Galanterien mit Amena und der Vorfall, der ihm die unbekannte Lady als eine der reichsten Frauen von ganz Frankreich offenbarte.

      Nichts konnte dem Chevalier das Herz mehr erwärmen als zu hören, dass sein Bruder von Ansellinas Schwester geliebt wurde. Er bezweifelte nicht, dass das die Möglichkeit eröffnete, Ansellina früher wiederzusehen als erhofft; so begannen die beiden Brüder sich ernsthaft über diese Angelegenheit zu beraten, was mit ihrem Entschluss endete, ihre Schicksale daran zu binden. Der Count hatte noch nie eine Schönheit gesehen, die spektakulär genug war, um ihn über Stunden in Unruhe zu versetzen (rein um der Liebe willen), und sagte oft, Amors Köcher habe nie ein Pfeil mit der Kraft enthalten, sein Herz zu erreichen. Die zarten Empfindungen und die bebenden peinvollen Entzückungen, die jeder Lichtstrahl des geliebten Objekts hervorruft und die unverkennbar eine wahre Leidenschaft von einer Fälschung unterscheiden, betrachtete er als Chimären eines müßigen Gehirns, welche die Illusion imaginärer Glückseligkeit inspirieren und Narren sich in der Suche nach ihr verlieren lassen; oder wenn sie existierten, dann nur in schwachen Seelen wie eine Krankheit, mit der er sich aber auf keinen Fall anstecken würde. Ehrgeiz war gewiss die beherrschende Leidenschaft in seiner Seele, und Alovisas hoher Stand und riesige Besitztümer, die deren vollkommene Befriedigung versprachen, waren das ganze Glück, das er sich von einer Ehe mit ihr wünschte.

      Doch während der Count und der Chevalier sich damit beschäftigten, verbrachten die rivalisierenden Ladies ihre Stunden mit ganz anderen Dingen; die Verzweiflung und die bitteren Klagen, in denen sich die unglückliche Amena erging, nachdem sie aus ihrer Ohnmacht erwachte, erweckten sogar das Mitgefühl von Alovisa, und wenn irgendetwas anderes außer einem Verzicht auf D´Elmont ihrer Rivalin Trost verschafft hätte, würde sie davon Gebrauch gemacht haben. Es gab jetzt keinen Grund mehr, sich zu verstellen, und so gestand sie Amena, den bezaubernden Count auf eine irrwitzige Weise von dem Moment an geliebt zu haben, als sie ihn zum ersten Mal sah; dass sie, um seine Gunst zu erringen, jeden Trick angewandt und dafür gesorgt habe, dass Monsieur Sanservin und sein Haus von der Affäre durch den Alarm in der vorherigen Nacht erfuhren; und, zuletzt, dass sie ihm den Rat gegeben habe, Amena in ein Kloster zu schicken, wohin sie nun innerhalb weniger Tage reisen solle, ohne vorher Abschied von ihrem Vater zu nehmen.

      „So habt Ihr“, rief Amena sie unterbrechend, „meinen Vater überredet, mich von diesem verhassten Ort fortzuschicken ohne die Strafe, mir seine Vorwürfe anhören zu müssen?“

      Alovisa bejahte das.

      „Ich danke Euch", fuhr Amena fort. "Diese Gefälligkeit hat Eure ganze Grausamkeit wiedergutgemacht, denn nach all den Narrheiten, deren ich mich schuldig gemacht habe, erschiene mir nichts so schrecklich wie sein Anblick. Und wer wollte, ach Himmel...“

      Sie brach in Tränen aus.

      „… in einer Welt bleiben, die voller Falschheit ist.“

      Für ein paar Augenblicke versagte ihr die Stimme, dann richtete sie sich im Bett auf und bemühte sich um mehr Fassung.

      „Ich möchte Euch, Madame“, sprach sie weiter, „aber um zwei Gefallen bitten, die zu erfüllen Euch, so glaube ich, nicht schwer fallen wird, nämlich dass Ihr Euren Einfluss auf meinen Vater nutzt, um meine Abreise möglichst zu beschleunigen, und dass ich, solange ich hier bin, nie den Count D´Elmont zu Gesicht bekomme.“

      Es ist kaum wahrscheinlich, dass Alovisa die Erfüllung von Bitten, die ihren eigenen Wünschen so sehr entgegenkamen, verwehren würde, und in der sehr berechtigten Annahme, dass ihre Gegenwart Amena nicht sonderlich zusagte, überließ sie ihren Frauen die Sorge um sie mit der Anweisung, Amena mit der gleichen Aufmerksamkeit zu behandeln wie ihre Herrin.

      Am Abend, bevor der Count kam, verbrachte Alovisa den ausklingenden Tag mit sehr unruhigen Gedanken; sie wusste noch nicht, ob sie Grund zur Freude haben oder ob sie ihr Schicksal beklagen sollte angesichts der so unerwarteten Enthüllung ihrer Leidenschaft, und ein ständiges Schwanken zwischen Hoffnung und Furcht peinigte sie ganz unerträglich,