die berühmte grüne Atlasbluse, einst das Zeichen von Affas Triumph, nun so traurig glanzlos und abgetragen. Die Gestalt, deren solide Üppigkeit das Entzücken bayerischer Regimenter gewesen war, schien jetzt eine schlaffe, formlose gedunsene Masse, durchnäßt, vollgesogen, aufgeweicht von vielen Regengüssen, vielen Tränen, vielen Trinkgelagen.
Sie verweilte vor unserer Haustüre, als ob sie noch bei uns lebte und eben von einem harmlos-vergnügten Ausgang zurückkehrte. Wonach suchte sie in ihrem schwarzen Beutel? Nach einem Schlüssel? Aber sie hatte keinen! Trotzdem kramte sie noch eine Weile, bis ihr schließlich das Unsinnige ihres Treibens zum Bewußtsein kam. Da wurde sie zornig. Wir sahen, wie sie eine schwingende Bewegung mit dem Oberkörper vollführte, eine Gebärde des Wahnsinns, nicht ohne absurde Schönheit. Dabei spuckte sie aus, gerade auf unsere Schwelle.
Was nun geschah, war noch beängstigender. Irritiert durch die Unauffindbarkeit des Schlüssels und die Flüchtigkeit ihrer irdischen Erfolge, erhob sie beide Fäuste und murmelte eine Verwünschung. Wir konnten die Worte nicht verstehen, aber sie müssen grauenvoll gewesen sein: der zischende Laut ihrer Stimme genügte, uns erstarren zu lassen. Noch furchtbarer war ihr Gesicht, nun enthüllt, da der Schal herabgeglitten war. Leicht zurückgelehnt bot es sich in obszöner Nacktheit dem fahlen Licht der Straßenlaterne dar, eine entmenschte Grimasse, schwärzlich und gedunsen unter der wüsten Krone des zerzausten Haares. Haß und Elend hatten ihr Gesicht befleckt, entstellt, zerfressen wie eine Pest. Der Mund klaffte, zu stummer Klage geöffnet, während die Augen, glasig vor Trunkenheit, blicklos zum Himmel starrten.
So stand sie minutenlang – eine Ewigkeit, wie uns scheinen wollte –, versteinert in der Geste des Fluches: bis sie endlich die Arme sinken ließ, plötzlich müde, ernüchtert. Ihr Körper, ihre Züge, sogar ihr Gewand schienen zusammenzusacken, während sie sich langsam abwandte und das Haupt wieder im abgetragenen Schal verhüllte. Es war ein kühler Abend; Affa fror. Die Schultern zusammengezogen, fröstelnd in ihr leichtes Tuch gewickelt, ging sie davon, ohne sich noch einmal umzuschauen. Wir blickten ihr nach, in [beklommenem] Schweigen. Endlich rief einer von uns: »Affa!« Es war Monika, die Kleinste. Aber keine Antwort kam auf ihren schwachen Ruf. Affa war im Dunkel verschwunden.
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Mythen der Kindheit
1906-1914
1914–1919
Drittes Kapitel. Erziehung
Viertes Kapitel. Unordnung und frühes Leid
1923-1924
Fünftes Kapitel. Der fromme Tanz
1927–1928
Siebentes Kapitel. Auf der Suche nach einem Weg
1928–1930
Achtes Kapitel. Die Schrift an der Wand
1930–1932
1933–1936
Zehntes Kapitel. Der Vulkan
Elftes Kapitel. Entscheidung
Zwölftes Kapitel. Der Wendepunkt
1943-1945
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