Jules Verne

Die Reise zum Mittelpunkt der Erde


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      – Wie? Gretchen, Du räthst mir nicht von solch einem Unternehmen ab?

      – Nein, lieber Axel, und ich würde Euch gerne begleiten, wenn nicht ein armes Mädchen ein Hinderniß für Euch wäre.

      – Ist das wirklich Dein Ernst?

      – Wirklich.«

      Ach! Wie sind doch Frauen, junge Mädchen, weibliche Herzen stets unbegreiflich! Seid Ihr nicht die schüchternsten Wesen, so seid Ihr die tapfersten! Vernunft hat bei Euch keine Geltung. Wie? dieses Kind ermunterte mich, die Reise mitzumachen! Sie hatte keine Furcht vor einer abenteuerlichen Fahrt! Sie drängte mich dazu, den sie doch liebte.

      Ich war verlegen und, offen zu sagen, schämte mich.

      »Gretchen, fuhr ich fort, wir wollen sehen, ob Du morgen noch ebenso sprichst.

      – Morgen, lieber Axel, werd' ich reden, wie heute.«

      Wir gingen Hand in Hand, aber in tiefem Schweigen unseres Weges weiter. Die Gemüthsbewegungen des Tages hatten mich kleinlaut gemacht.

      »Immerhin, dachte ich, ist der erste Juli noch weit entfernt, und bis dahin kann noch Manches vorgehen, was meinen Oheim von der tollen Luft, eine Reise unter die Erde zu machen, heilen mag.«

      Es war schon Nacht geworden, als wir bei dem Hause der Königsstraße anlangten. Ich hatte vermuthet, wir träfen die Wohnung ruhig, meinen Oheim, wie gewöhnlich, schon zu Bette, und Martha mit Abstäuben des Speisezimmers beschäftigt.

      Aber ich hatte die Ungeduld des Professors nicht in Anschlag gebracht. Ich fand ihn unter einer Truppe Lastträger, welche allerhand Waaren in die Allee brachten, mit lautem Geschrei hin und her rennend; die alte Dienerin wußte nicht, wo ihr der Kopf stand.

      »Aber, so komm doch, Axel; eile doch, Unglückseliger! rief mein Oheim schon von Weitem, wie er mich erblickte. Und Dein Koffer ist noch nicht gepackt, und meine Papiere noch nicht geordnet, und der Schlüssel meines Reisesacks nicht zu finden, und meine Kamaschen bleiben aus!«

      Ich war wie vom Donner gerührt, die Stimme versagte mir. Kaum vermochten meine Lippen die Worte hervorzubringen:

      »Also reisen wir ab?

      – Ja, Unglückseliger, und Du gehst spazieren, anstatt bei der Hand zu sein!

      – Wir reisen ab? fragte ich nochmals mit schwacher Stimme.

      – Ja, übermorgen in aller Frühe.«

      Ich konnte nichts weiter anhören und flüchtete in mein Zimmerchen.

      Es war nicht mehr daran zu zweifeln. Mein Oheim hatte den Nachmittag dazu verwendet, einen Theil der Reisebedürfnisse anzuschaffen; die Allee lag voll Strickleitern, Fackeln, Reiseflaschen, eisernen Haken, Spitzhauen, beschlagenen Stöcken, Spaten – wofür man zehn Mann wenigstens zum Herbeischleppen brauchte.

      Ich brachte eine entsetzliche Nacht hin. Am folgenden Morgen hörte ich schon frühe mich anrufen. Ich war entschlossen, meine Thüre nicht zu öffnen.

      Aber wie hätte ich einer so süßen Stimme widerstehen können, die mir zurief: »Lieber Axel!«

      Ich ging aus meiner Kammer, und dachte, mein verstörtes blasses Aussehen, meine rothen Augen würden auf Gretchen wirken, daß sie ihre Gedanken änderte.

      »Nun! mein lieber Axel, sagte sie zu mir, ich sehe, Du befindest Dich besser, und die Nacht hat Dich beruhigt.

      – Beruhigt!« rief ich.

      Ich eilte vor meinen Spiegel. Ei nun! Ich sah nicht so übel aus, als ich gedacht hatte. Kaum glaublich.

      »Axel, sprach Gretchen zu mir, ich habe lange mit meinem Vormund geplaudert. Es ist ein kühner Gelehrter, ein muthiger Mann, und Du wirst Dich erinnern, daß sein Blut in Deinen Adern fließt. Er hat mir von seinen Plänen erzählt, von seinen Hoffnungen, weshalb und wie er seinen Zweck zu erreichen hofft. Ich zweifle nicht, daß er ihn erreichen wird. Ach! lieber Axel, wie schön ist's, sich so seiner Wissenschaft zu widmen! Welcher Ruhm wird Herrn Lidenbrock zu Theil werden, und auf seinen Genossen zurückstrahlen! Bei der Rückkehr wirst Du ein Mann sein, seines Gleichen, frei zu reden, zu handeln, frei endlich zu ...«

      Erröthend stockte das Mädchen. Seine Worte machten mir wieder Muth. Dennoch wollte ich noch nicht an unsere Abreise glauben. Ich zog Gretchen mit mir zu dem Zimmer des Professors.

      »Lieber Oheim, sagte ich, es ist also ausgemacht, daß wir abreisen?

      – Wie? Du zweifelst daran?

      – Nein, sagte ich, um ihm nicht zu widersprechen. Nur möcht' ich Sie fragen, ob es so Eile damit hat.

      – Ja wohl! die Zeit drängt! die Zeit, die unwiederbringlich schnell entflieht!

      – Wir haben ja doch erst den 26. Mai, und bis zu Ende Juni ...

      – Hm! meinst Du denn, Unwissender, daß man so leicht nach Island komme? Wärest Du nicht wie ein Narr von mir gelaufen, so hätte ich Dich mit auf das Kopenhagener Bureau, zu Lissender & Cie., genommen. Da hättest Du erfahren, daß von Kopenhagen nach Reykjawik nur einmal monatlich, am 22., ein Boot abgeht.

      – Nun?

      – Nun? wenn wir bis zum 22. Juni warteten, würden wir zu spät kommen, um zu sehen, wie ›des Scartaris Schatten den Krater des Sneffels liebkoset‹. Wir müssen daher so schnell wie möglich nach Kopenhagen kommen, um daselbst für die Ueberfahrt ein Beförderungsmittel zu finden. Geh' und pack' Deinen Koffer!«

      Darauf war kein Wort zu erwidern. Ich begab mich wieder in mein Zimmer. Gretchen folgte mir nach und bemühte sich selbst, meine Reisebedürfnisse in einen kleinen Ranzen zu packen. Es ging ihr das nicht näher zu Herzen, als wenn sich's um einen Ausflug nach Lübeck oder Helgoland handelte. Ihre kleinen Hände bewegten sich ohne Uebereilung hin und her. Sie plauderte ruhig und führte mir die verständigsten Gründe zu Gunsten unserer Unternehmung an. Sie wirkten zauberhaft auf mich, und ich konnte ihr nicht zürnen. Manchmal, wenn ich aufbrausen wollte, achtete sie nicht darauf, und setzte mit methodischer Ruhe ihre Arbeit fort.

      Endlich war der letzte Riemen des Ranzen geschnallt, und ich kam herab in's Erdgeschoß.

      Diesen Tag über kamen die Ablieferungen von physikalischen Instrumenten, Waffen, elektrischen Apparaten noch häufiger. Die gute Martha verlor den Kopf.

      »Ist der Herr ein Narr geworden?« sagte sie zu mir.

      Ich machte ein Zeichen der Bejahung.

      »Und er nimmt Sie mit?«

      Gleiches Ja.

      »Wohin soll's gehen?« fragte sie.

      Ich deutete mit dem Finger nach dem Inneren der Erde.

      »In den Keller? schrie die alte Dienerin.

      – Nein, sagte ich endlich, noch tiefer hinab!«

      Der Abend kam. Ich wußte gar nicht mehr, wie die Zeit verflossen war.

      »Morgen früh, sagte mein Oheim, präcis sechs Uhr reisen wir ab.«

      Um zehn Uhr sank ich wie eine träge Masse auf mein Bett. Während der Nacht kam mir wieder die Angst.

      Ich träumte in einem fort von Abgründen! Ich verfiel dem Wahnsinn. Ich fühlte mich von des Professors starker Hand ergriffen, fortgezogen, in einen Schlund gestürzt. Ich fiel in unergründliche Schluchten hinab mit der wachsenden Schnelligkeit fallender Körper. Mein Leben war nur noch ein endloses Fallen.

      Um fünf Uhr wachte ich auf, zerschlagen durch Erschöpfung und Aufregung. Ich begab mich in's Speisezimmer hinab. Mein Oheim saß bei Tische und schlang sein Frühstück hinunter. Ich blickte ihn mit einer Art Grauen an. Aber Gretchen war zugegen. Ich sprach nichts, konnte nicht essen.

      Um halb sechs Uhr hörte man das Rasseln eines Wagens in der Straße. Es kam ein großer Wagen, uns auf die Altonaer Eisenbahn zu bringen. Er war bald mit den Collis meines Oheims bepackt.

      »Und Dein Koffer? sagte