Tillmann Wagenhofer

Dark World I


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Legenden zu verdrängen." "Ein Weibstück? Wer ist SIE?", fuhr der Inquisitor den Großmeister an. Da wurde die Miene des Ordensmeisters ernst.

      "Die Herrin der Eisernen Katzen. Euer Tod. Der Tod der Kirche. Eine Frau, die die Welt verändern wird. Sie bringt Licht in diese Dunkelheit dort draußen." "Eure...Vision könnte falsch sein...", schrie der Kirchenmann nun fast, außer sich vor Zorn, aber auch kalt berührt von der Geisel der Angst. Andrew de Ville grinste mit einem Mal müde. "Ihr wärt nicht so aufgebracht, wenn Ihr mir nicht glauben würdet. Wisst ihr überhaupt, Inquisitor, WAS ich bin? Nicht wer...sondern WAS?" "Was...meint Ihr?", fragte der Kirchenmann unwirsch. "Was ich meine ist: Ist Euch klar, dass ich nicht derselben Rasse angehöre wie Ihr?" Die Frage irritierte das Gegenüber des Ordensmeisters - bis er verstehend die Augen aufriss. "Ihr seid ein...Verdammter? Aber..." "Kein Verdammter, wie Ihr je einen zweiten finden werdet. Ich glaube, die Alten hätten es als...Mutation bezeichnet. Positive Mutation, ja, das war es. Meine Gabe ist jene, Teile der Zukunft zu erblicken. Keine Visionen - sondern wirkliche, stattfindende Ereignisse, versteht Ihr?" Woher de Ville den Dolch zog, wusste der Inquisitor nicht zu sagen. Ein letztes Mal, veränderte sich das Gesicht des letzten des Ordens der Schwarzen Flamme. In ein offenes, weil gleichmütiges Lächeln. "Bereut Eure Sünden, High-Inquisitor. Denn eines Tages, seid versichert, werden sie Euch einholen. Und sie werden Euch fressen." Damit stieß er sich den Dolch direkt in den Hals, ehe einer der Kirchensoldaten auch nur in seine Nähe kam. Lange starrte der Inquisitor auf den Leichnam, ehe er die Gewölbe jener Festung verließ, die nun zu einem Massengrab geworden war.

      Kapitel 2 - Die Waise

      Wir schreiben das Jahr 1203 nach dem Großen Feuer.

      Das Mädchen stolperte, mit verbissener Miene, entschlossen, durchzuhalten, durch die endlos scheinende Öde. Der ständige Wind in der postapokalyptischen Steppe wirbelte hier und da Wolken von Staub auf, zog durch die vereinzelten, knochentrockenen Gräser und Büsche, die sich stets zu Gruppen zusammengefunden hatten, als besäßen sie das Bewusstsein, nur so in dieser erbarmungslosen Wüstenei zu überleben. Tief in seinem Inneren wusste das Mädchen, dass es so gut wie tot war. Hoffnung gab es nicht in dieser toten Weite, die wenigen Dörfer waren misstrauische Gemeinschaften, die Fremden gegenüber nicht sehr aufgeschlossen waren. Und fremden jungen Frauen, die ohne Begleitung und damit Schutz unterwegs waren gegenüber würde kaum jemand sonderlich wohlwollend gegenübertreten. Der fauchende, auf eine erschreckende Weise feindselig anmutende Wind blies ihr die Massen des dunkelgelb-braunen Staubes entgegen, ließ selbst bei hellem Tageslicht die Szenerie um sie herum unheimlich und bedrohlich erscheinen. Das Mädchen zog den Staubschutz noch höher, bis an ihre hellblauen Augen heran. Sie ahnte, dass sie beobachtet wurde - oder wenigstens gewittert. Die Öde mochte tot und ohne Leben anmuten, aber sehr schnell konnte man als Unerfahrener in diesen Weiten zu spüren bekommen, dass nicht ALLES hier tot war. Denn seit der Zeit der Alten hatte die Welt sich gewandelt, waren Bestien aufgetaucht, welche es in früheren Zeiten nur in Märchenbüchern oder Horrorfilmen gegeben hatte. All das wusste das Mädchen natürlich nicht - für sie war dies die Welt, in die sie hineingeboren, in der sie aufgewachsen war. Dummerweise besaß sie das Wissen um die Tierwelt hauptsächlich aus dem Unterricht der Ordensschule - und sie schalt sich zum x-sten Mal, nicht besser aufgepasst zu haben, so dass sie alle Gefahren hätte erkennen können. Einige wusste sie noch. Die junge Frau hielt Ausschau nach den hüfthohen Mulden der Sandbeißer, nach Ecar Lupus, beides Gefahren, die auch tagsüber präsent sein konnten. Die meisten Tiere jagten nachts, was aber für die junge Frau kaum ein Trost war. Denn hier draußen war sie alleine -und sie hatte keine Möglichkeit, einen sicheren Ort zu erreichen, ehe die Dunkelheit über sie hereinbrechen würde. Mit einem grimmigen Lächeln, das keinerlei Freude ausdrückte, musste sie daran denken, dass es auch noch ihre möglichen Verfolger waren, über die sie sich Gedanken machen musste. Lord Autumn würde die Mörderin seines Sohnes wohl kaum einfach den Raubtieren hier draußen überlassen. Rasch verdrängte sie den Gedanken wieder, als die blutigen Bilder von dem, was geschehen war, wieder vor ihrem geistigen Auge aufflammten und ihr die Tränen in die Augen trieben. Sie bemühte sich, die Reste verkrusteten Blutes an ihren Händen und Unterarmen einfach zu ignorieren. Leicht gesagt, doch sie schaffte es. Sie konzentrierte sich schnell wieder auf das Hier und Jetzt, obgleich die innere Qual sie schier dazu zwang, vor Schmerz zu schreien.

      Anhand des Sonnenstandes wusste sie, dass sie nach Osten unterwegs war. Zugegeben Osten war in ihrer Lage nicht schlau – aber Westen wäre regelrecht dumm gewesen, denn dort gab es nichts - sah man von den Stämmen ab. Seit sie denken konnte, hatte man sie vor den Tribes gewarnt. Sie seien genauso schlimm wie die "Verdammten". Letztere wurden von der Kirche des Feuers niemals anders bezeichnet, aber unzählige Geschichten über diese Wesen, die angeblich die Nachfahren der sündigen, finsteren Alten waren, gingen herum. Sie mordeten und verwüsteten wahllos, waren blutgierig, grausam, verabscheuungswürdig und frevlerisch gegen den Herrn des Feuers, der ihre Ahnen einst aufgrund ihrer Verkommenheit vernichtet hatte. Nie war das Mädchen einer solchen Kreatur begegnet, aber vor allem von den "Gestraften", die weit herumkamen, hatte sie viele Erzählungen über Kämpfe gegen diese Wesen gehört. Wieder blieb die junge Frau stehen, ihre Hand suchte den Griff des Schwertes hinter ihrem Rücken, als könne sie die Klinge vor allem beschützen, was ihr drohte. Sie war sich nur allzu schmerzlich bewusst, dass dem nicht so war. Wieder kam alles hoch - kein Wunder, war es doch erst eineinhalb Tage her, tobte doch die Qual noch immer heftig in ihr.

      Was, wenn die Leute des Lords sie einholten? Würde sie sich ergeben? Wie lange würde es dauern, bis sie tot wäre? Ein verzweifelt-zorniges, humorloses Lächeln legte sich sekundenlang auf ihre Lippen. Nein, nicht so. Auf diese Weise wollte sie nicht sterben, dann sollten ihr die Reiter des Lords lieber ein paar Pfeile in den Leib jagen - ein schnelles Ende, ohne Erniedrigungen und tagelangen Schmerz. Sie hatte zwar geschworen, nicht zu sterben, wenn es sich vermeiden ließ, aber wenn sie die Wahl hatte, sehr lange zu brauchen, bis man ihr das Aushauchen ihres Lebens gestatten würde - oder einen zwar blutigen, aber weit schnelleren Tod, dann fiel die Wahl wirklich nicht schwer, kam es ihr das hundertste Mal in den Sinn. Nun fühlte sich der vertraute Griff des Schwertes erheblich beruhigender an als zuvor, doch nun stieg auch das Bewusstsein des Verlustes in ihr hoch.

      Das Mädchen rang mit ihren Empfindungen, als sie an all jene Menschen dachte, die sie hatte zurücklassen müssen, die Teil ihres bisherigen Lebens gewesen waren. Denen sie hatte vertrauen können. Zumindest ein paar davon.

      Und wieder, wie in den letzten Stunden schon mehrfach, drohten ihre Erinnerungen sie zu überwältigen. Welchen Sinn machte es noch, weiter und weiter ins Nichts zu gehen, ohne Ziel, mit Wasser noch für zwei Tage...? Wofür all das, wofür noch weiterleben? Um irgendwelchen Bestien oder Aasfressern als kleiner Imbiss zu dienen, wenn die Kraft aufgebraucht sein würde? Um am Ende doch von den Verfolgern eingeholt und zu einem grausamen Tod zurück nach Last Hope geschleift zu werden? Das Mädchen biss die Zähne aufeinander, hasste sich selbst für ihre vermeintliche, innere Schwäche. Sie strich sich eine Strähne ihres rabenschwarzen Haars, das ihr ins Gesicht gefallen war, zurück. Es gelang ihr, die düsteren Gedanken zu verdrängen. Sicher nicht für lange, aber - so hoffte sie - lange genug.

      Gerade kam sie in eine langgezogene Senke, die von bröckelnden Felsen flankiert war, als sie etwas hörte. Es klang wie ein Schmerzenslaut, doch ebenso gut hätte es einem Tier gehören können. Einem verwundeten Tier, aber ein verwundetes Ödland-Raubtier konnte gefährlicher sein als eine Meute Raider. Das Mädchen schluckte, fühlte die Trockenheit des Windes, der ihren Mund ausdörrte. Langsam, die Hand am Schwertgriff, dessen Scheide auf ihrem Rücken festgeschnallt war, ging sie auf die Quelle der Laute zu. Mehr und mehr erhärtete sich ihr Verdacht, dass es kein Tier sein konnte. Als sie dann die Stiefel sah, die hinter einem massiven Felsbrocken, der sich wohl vor langer Zeit aus den Felsen über ihr gelöst hatte, hervorstanden, blieb sie stehen und sah sich genau um. Hier, in den öden Landen, musste man mit allem rechnen, vor allem mit geschickten und dreckigen Fallen. Langsam zog sie ihr Schwert, setzte sich mit Bedacht wieder in Bewegung. Der Fremde, der offensichtlich verletzt war, trug eine Lederrüstung, die an vielen Stellen immer wieder ausgebessert zu sein schien. Erst, als die junge Frau den letzten Schritt machte, erstarrte sie. Ein Gestrafter!

      Erschrocken verharrte sie, behielt den Verwundeten vor sich im Auge –