jeden Blödsinn zusammengerührt, der seit Jahrhunderten über die Borgias im Umlauf ist, mit Vorliebe Anekdoten, die erwiesenermaßen von Neidern und Rivalen in die Welt gebracht wurden.
Lucrezia darf also wieder einmal die Giftmörderin geben und ein inzestuöses Verhältnis zu ihrem Bruder Cesare pflegen. Von homosexueller Vergewaltigung (Cesare als das Opfer) über Kastration (mehrfach und im Detail) bis zum versuchten Kindsmord (diesmal durch Cesare) wird nichts ausgelassen, was sich garantiert nicht zugetragen hat.
Besonders schlimm wird es, wenn in einem sadistischen Höhepunkt zwei Attentäter wie Schweine an den Beinen aufgehängt und von den bald bluttriefenden Henkersknechten bei lebendigem Leib durchgesägt werden. Fontana behauptet, er habe gründlich recherchiert, aber diese Art Strafe gehörte nicht einmal im dunkelsten Mittelalter zum Repertoire. Sie findet sich allerdings auf einem zeitgenössischen Holzschnitt von Lucas Cranach, der die „Marter des Hl. Simon“ darstellt. Andererseits war der katholischen Kirche der Gedanke nie fremd, mit Verweis auf die Märtyrer-Legenden das Volk drastisch zu erziehen. Die deutschen Söldner sind eine Horde dumpfer Schläger, der französische König ist eitel und perfid, die italienischen Kardinäle wichtigtuerische Intriganten, aber dafür wie die Frauen immer aufs Schönste gewandet. Von der Stigmatisierung bis zum Exorzismus fehlt nichts von der durch Dan Browns Historienschinken angefachten antikatholischen Folklore.
Auf den Comment der Zeit wird wenig Rücksicht genommen, damit sich die Männer als regelmäßige Gäste in der Kemenate und sogar im Nonnenkloster aufhalten können und die Frauen sich über eine „Ehe ohne Liebe“ beklagen können. Bei Borgia, dessen Hofhaltung berüchtigt war für ihre geizige Frugalität, gibt es ständig Party und wahlweise Gelage, der Papst beschwört das ewige Rom, und die tagesfrische Renaissance, und die Kardinäle haben sich zu einer Dauersitzung versammelt, als wär's Angela Merkels Kabinett.
Der schwächste Punkt ist: Lucrezia. Sie erscheint als dummes, flatterhaftes Ding, das durch unberechenbare Liebschaften und religiöse Wahnvorstellungen taumelt, wobei, wie auch der kirchenferne Zuschauer dankbar bemerken wird, immer Gelegenheit zu Entblößungen an den richtigen Stellen gegeben wird.
Auch ProSieben hat mit „Die Borgias“ im keinen Schulfunk angeboten. Aber anders als die europäische Version, die unter dem Deckmantel historischer Authentizität und Gelehrigkeit allerlei menschliche Widerlichkeiten genüsslich in Szene setzt, hat Neil Jordan, Produzent von „The Borgias“, die historische Vorlage gleich als spannenden Agententhriller aufgefasst, in dem Brieftauben geheime Depeschen und Dienstboten vergifteten Rotwein durch die Kulisse tragen.
Jede Episode der bereits mit einem Emmy ausgezeichneten Miniserie wird durch einen klaren Plot vorangetrieben: Die Pilotfolge „Der vergiftete Kelch“ inszeniert zum Beispiel in knappen Zügen die komplette Machtergreifung Rodrigos bis hin zum Giftmord an seinem Widersacher Orsini. Die ZDF-Fassung braucht allein zwei Folgen, diverse Schauplätze und unüberschaubar viele Ränkespiele, bis Alexander VI. überhaupt zum Papst ausgerufen wird.
Der Übersichtlichkeit halber dichten die Amerikaner Cesare Borgia gleich ein Verhältnis mit seiner kleinen Schwester an, sparen sich aber den cholerischen Charakterzug des Borgia-Bastards, der ihn für den Zuschauer so unausrechenbar macht. Beim ZDF hackt der junge Mann dagegen einem Rivalen erst mal ohne Ankündigung einen Finger ab, später opfert er sein neugeborenes Kind nach biblischem Vorbild seiner Gottesfüchtigkeit und ist auch sonst ein recht unsympathischer Geselle.
Die US-Verfilmung verlegt Cesares Aufenthalt während des Konklaves von Pisa (historisch!) nach Rom (praktisch!), damit der heißspornige Sohn den ehrgeizigen Vater beim Kampf gegen seine nur schemenhaft skizzierten Feinde mit allen (auch unchristlichen) Mitteln unterstützen kann. Beim ZDF schwirrt einem angesichts der vielen Namen, Orte, Untaten bald der Kopf – auch ob der vielen Kardinäle im Konklave, die sich mal hier verfeinden, mal dort verbünden.
Die Machtpolitik der italienischen Stadtstaaten wird zwar in „Borgia“ ähnlich minutiös aufgefächert wie der Charakter Cesares, aber die Belehrung über die geopolitische Gemengelage wirkt angesichts der saftigen „Privatszenen“ dann doch wie das berühmte Feigenblatt. Ein bisschen bigott kommt diese zur Schau getragene Beflissenheit schon daher, mit der dem Zuschauer die Geschichte der Renaissance in der öffentlich-rechtlichen Variante als hehres Ringen um eine authentische Darstellung serviert wird.
Wer ausreichend kunsthistorisches Vorwissen mitbringt, kann die Anspielungen und Randfiguren der Inszenierungdechiffrieren und schätzt also an der ZDF-Verfilmung vor allem den Distinktionsgewinn. Wer sich bisher für die Borgias nicht interessierte und vom Pantoffelkino vor allem Unterhaltung erhofft, wartete auf den „Gegenpapst“ von ProSieben. Dort wurde zwar weniger Körperflüssigkeit verspritzt, der historischen Wahrheit kam man aber auch nicht so recht auf die Spur.
Diese Aufzählung könnte man fortsetzen. Es war also an der Zeit, sich mit dieser Sache näher zu beschäftigen. Ich begab mich also in das päpstliche Archiv, war Stammleser in den verschiedensten Bibliotheken und was herauskam, ist dieses Buch.
Einleitung
Ohne Zweifel gehört Alexander VI. zu den schillerndsten Papstgestalten. Die Schlagzeilen seiner Biografie lesen sich eher wie die eines Mafiapaten als die eines Heiligen Vaters: Korruption, Erpressung, Giftmorde, Skandale, Orgien im Vatikan, Inzest. „Der unheimliche Papst“ nennt ihn denn auch der Schweizer Historiker Volker Reinhardt. Der französische Schriftsteller Stendhal sah ihn als die „gelungenste Inkarnation des Teufels auf Erden“.
Ein Monster, der Antichrist leibhaftig, so urteilten schon die Zeitgenossen über Alexander. Verschlagen sei dieser Pontifex maximus, ein Meister der „dissimulazione“, der Täuschung, befand der venezianische Gesandte in Rom, Girolamo Donato.
Tatsächlich rief der Name Borgia neben Bewunderung auch Angst und Schrecken hervor, und das sollte er auch. Die Feinde sollten sich fürchten – und fügen.
Wer es nicht tat, musste damit rechnen, erdrosselt oder erdolcht aus dem Tiber gezogen zu werden. Andere sollen am Gift der Borgia gestorben sein. Die Söldner und Mordbuben Cesares, der die Truppen des Vaters befehligte, kannten keine Gnade. „Jede Nacht findet man in Rom vier, fünf Ermordete – Bischöfe, Prälaten und andere Leute; die ganze Stadt zittert vor dem Herzog“, berichtete ein Botschafter nach Hause.
Jede Nacht? Bei den Borgia weiß keiner so genau, wo „die Fakten enden und die Legenden einsetzen“, warnt Reinhardt. Zeitgenössische Chronisten hätten vieles „dazu erfunden“.
Zu den Legenden gehört natürlich die Geschichte, nach der Rodrigo Borgia für seine Wahl einen teuflischen Pakt einging.
Man will ihn gesehen haben, wie er sich mit zwei Dämonen vor dem Hauptaltar der Kirche von Santa Maria Maggiore traf.
Am Ende soll ihn der Teufel persönlich geholt haben; so bezeugte es der junge Geistliche Gian Pietro Carafa, der im Sterbezimmer Alexanders zugegen war.
Der selbst ernannte Augenzeuge wurde als Paul IV. später selbst Papst – und einer der leidenschaftlichsten Beförderer der Inquisition. Wie glaubhaft sind solche Berichte von Gegenspielern, die ihre ureigenen Machtinteressen hatten?
Wirkungsvoll waren sie auf jeden Fall. Der Teufelsglaube war Ende des 15. Jahrhunderts weit verbreitet. Die kulturglänzende Epoche der Renaissance zeigte sich auch als Zeit der Endzeitfurcht; Dürer schuf in diesen Jahren seine düsteren Holzschnitte der Apokalypse.
Hexenverfolgungen ängstigten die Menschen. Alexanders Vorgänger Innozenz VIII. hatte die Inquisition mit der päpstlichen Bulle „Summis desiderantes affectibus“ legitimiert und den Hexenwahn damit noch befeuert. Es waren düstere Jahrzehnte des Unrechts und der Grausamkeit, während gleichzeitig grandiose Ideen und Erfindungen geboren wurden, der Horizont der Welt sich weitete. Just im Jahr der Wahl Rodrigo Borgias zum Papst entdeckte Kolumbus die Neue Welt. Alexander VI. sollte es denn auch sein, der das Territorium zwischen Spanien und Portugal aufteilte.
Selbst dabei holte er sich seinen Profit heraus, in dem Fall ein Herzogtum für seinen Lieblingssohn Juan. Das war ein Dankeschön für gute Dienste – immerhin hatte der Papst die spanischen