Anonym

Erzählungen aus 1001 Nacht - 1. Band


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zu sterben; denn er liebte sie mit überschwenglicher Liebe, weil sie seine Base war, die Tochter seines Vaterbruders, und die Mutter seiner Kinder; und er hatte mit ihr einhundertundzwanzig Jahre lang gelebt. Als er aber seine ganze Sippe und die Leute seiner Nachbarschaft versammelt hatte, sagte er zu ihnen: ›An mir hängt eine seltsame Geschichte, und sie ist so, daß ich des Todes bin, wenn ich das Geheimnis irgendwem entdecke.‹ Darum sprach jeder der Anwesenden zu dem Weibe: ›Allah behüte dich, laß ab von dieser sündigen Hartnäckigkeit und erkenne das Rechte in dieser Sache, daß nicht dein Gatte und der Vater deiner Kinder sterbe.‹ Aber sie versetzte: ›Ich will nicht davon ablassen, bis er es mir erzählt, und stürbe er auch des Todes.‹

      So drängten sie sie nicht weiter; und der Händler stand auf und ging zu einem Außenhaus, um die Wuzu-Waschung vorzunehmen, und dann wollte er zurückkehren und sein Geheimnis sagen und sterben. Nun, Tochter Schahrazad, hatte der Kaufmann in diesem Gebäude etwa fünfzig Hennen unter einem Hahn, und als er sich bereit machte, den Seinen lebewohl zu sagen, hörte er einen seiner vielen Hofhunde in seiner Sprache den Hahn anreden, der die Flügel schlug und munter krähte und einer Henne nach der andern auf den Rücken sprang, um sie zu treten; und er hörte ihn sagen: ›O Kreyant! Wie niedrig ist dein Witz, und wie schamlos dein Benehmen! Enttäuscht sei, wer dich zeugte! Schämst du dich nicht dieses Tuns an einem solchen Tage?‹ ›Und was,‹ fragte der Hahn, ›wäre heute geschehen?‹ Worauf der Hund versetzte: ›Weißt du nicht, daß unser Herr sich heute zum Tode bereit macht? Sein Weib ist entschlossen: er soll das Geheimnis enthüllen, das Allah ihn lehrte, und sowie er das tut, wird er gewißlich sterben. Wir Hunde sind alle in Trauer, aber du schlägst die Flügel und krähst und trittst Henne nach Henne. Ist dies die Stunde für Zeitvertreib und Vergnügen? Schämst du dich nicht?‹ ›Dann, bei Allah‹ sagte der Hahn, ›ist unser Herr arm an Witz und ohne Verstand: wenn er ein einziges Weib nicht bändigen kann, so ist sein Leben der Verlängerung nicht wert. Ich habe einige fünfzig Hennen, und ich befriedige diese und reize jene, lasse die eine hungern und mäste die andere, und durch meine gute Leitung habe ich sie alle in der Gewalt. Dieser unser Herr macht Anspruch auf Witz und Weisheit, und er hat nur ein Weib und weiß doch nicht, wie er es bändigen soll.‹ Und es fragte der Hund: ›Was denn, o Hahn, sollte der Herr tun, um diese Klippe zu umschiffen?‹ ›Er sollte stracks aufstehn‹, versetzte der Hahn, ›und von einem Maulbeerbaum ein paar Zweige nehmen und ihr regelrecht den Rücken dreschen und die Rippen heizen, bis sie schreit: Ich bereue, o mein Herr! Ich will dir, solange ich lebe, keine Frage mehr stellen! Dann mag er sie noch einmal gehörig schlagen, und hinfort wird er frei von Sorge ruhen und sein Leben genießen. Aber dieser unser Herr hat weder Verstand noch Urteil.‹« »Nun, Tochter Schahrazad«, fuhr der Vezier fort, »will ich dir tun, wie der Kaufmann seinem Weibe tat.« Und es fragte Schahrazad: »Was tat er?« und er erwiderte: »Als der Kaufmann die weisen Worte hörte, die der Hahn zum Hunde sprach, erhob er sich eilig, schnitt sich ein paar Maulbeerzweige, suchte seines Weibes Zimmer auf und verbarg sie dort; dann rief er ihr zu: ›Komm in die Kammer; damit ich dir das Geheimnis sage, wo mich niemand sieht, und sterbe.‹ Sie trat mit ihm ein, und er verschloß die Tür und fiel mit so kräftigen Prügeln über sie her, auf Rücken und Schultern und Rippen, Arme und Beine, und rief derweilen: ›Willst du je wieder nach Dingen fragen, die dich nichts angehn?‹ daß sie fast ohnmächtig wurde. Und alsbald rief sie aus: ›Ich bereue! Bei Allah, ich will dir keine Fragen mehr stellen, und wahrlich, ich bereue aufrichtig und gründlich.‹ Dann küßte sie ihm Hand und Fuß, und er führte sie hinaus, unterwürfig, wie ein Weib es sein soll. Ihre Verwandten und alle freuten sich, und die Trauer war in Jubel und Lust verwandelt. So lernte der Kaufmann von seinem Hahn Familienzucht, und er und sein Weib lebten das glücklichste Leben bis zu ihrem Tode.«

      »Und auch du, meine Tochter,« fuhr der Vezier fort, »wenn du nicht von deinem Willen lässest, so werde ich dir tun, was der Händler seinem Weibe tat.« Aber sie antwortete ihm entschlossen: »Ich werde nicht davon lassen, o mein Vater, noch auch soll diese Erzählung meine Absicht ändern. Laß solch Geschwätz und Gerede. Ich will nicht auf deine Worte hören, und wenn du es mir abschlägst, so werde ich mich ihm dir zum Trotz vermählen. Und erst will ich selber zum König gehen, allein; und ich will ihm sagen: Ich bat meinen Vater, mich dir zum Weibe zu geben, aber er wollte es nicht, denn er war entschlossen, seinen Herrn zu enttäuschen, und er mißgönnte meinesgleichen deinesgleichen.« Ihr Vater fragte: »Muß es sein?« Und sie erwiderte: »Es muß sein.« Da nun der Vezier des nutzlosen Klagens und Streitens und Überredens und Abratens müde war, so ging er zu König Schahryar, segnete ihn, küßte vor ihm den Boden und erzählte ihm den ganzen Streit mit seiner Tochter, wie auch, daß er die Absicht habe, sie ihm nachts zu bringen. Der König staunte in höchstem Staunen, denn er hatte die Tochter des Veziers eigens ausgenommen, und er sprach zu ihm: »O treuester der Berater, wie kommt dies? Du weißt, ich habe beim Schöpfer des Himmels geschworen, nachdem ich in der Nacht mit ihr geschlafen habe, werde ich am folgenden Morgen zu dir sagen: Nimm sie und erschlage sie! Und wenn du sie nicht erschlägst, so werde ich unfehlbar an ihrer Stelle dich erschlagen.« »Allah führe dich zum Ruhm und verlängere dein Leben, o König der Zeit,« erwiderte der Vezier, »sie hat es so bestimmt; all das habe ich ihr schon gesagt, und mehr noch, aber sie will nicht auf mich hören, und sie besteht darauf, die nächste Nacht bei des Königs Majestät zu verbringen.« Da frohlockte Schahryar sehr und sagte: »Es ist gut; geh, mache sie bereit und bringe sie mir heute nacht.« Der Vezier nun kehrte zu seiner Tochter zurück, berichtete ihr den Befehl und sagte: »Allah mache deinen Vater nicht trostlos durch deinen Verlust!« Aber Schahrazad freute sich in höchster Freude und machte alles bereit, was sie brauchte, und sagte zu ihrer jüngeren Schwester, Dunyazad: »Beachte wohl, welche Weisung ich dir anvertraue! Wenn ich zu dem König hineingegangen bin, so werde ich nach dir senden, und wenn du siehst, daß er seinen Willen an mir gelabt hat, so sage du zu mir: O meine Schwester, wenn du nicht schläfrig bist, so erzähle mir eine neue Geschichte, unterhaltsam und ergötzlich, um die wachen Stunden schneller zu vertreiben; und dann will ich dir eine Erzählung erzählen, die unsere Befreiung sein soll, wenn es Allah so gefällt, so daß der König von seiner blutdürstigen Gewohnheit abläßt.« Und Dunyazad erwiderte: »Mit Liebe und Freude.« Als es nun Nacht war, brachte ihr Vater, der Vezier, Schahrazad zum König, der bei ihrem Anblick froh wurde und fragte: »Hast du mir gebracht, was ich brauche?« Und er erwiderte: »Ja.« Als aber der König sie in sein Bett nahm und mit ihr zu spielen begann, da weinte sie; und er fragte: »Was fehlet dir?« Sie erwiderte: »O König der Zeit, ich habe eine jüngere Schwester, und gern nähme ich heute nacht noch von ihr Abschied, ehe ich das Tagesgrauen sehe.« So schickte er alsbald nach Dunyazad, und sie kam und küßte zwischen seinen Händen den Boden, und er erlaubte ihr, sich zu Füßen des Lagers zu setzen. Dann erhob sich der König und nahm seiner Braut die Mädchenschaft, und schließlich schliefen alle drei ein. Doch als die Mitternacht kam, wachte Schahrazad auf und winkte ihrer Schwester Dunyazad, die sich aufsetzte und sprach: »Allah sei mit dir, o meine Schwester, erzähle uns eine neue Geschichte, unterhaltsam und ergötzlich, um uns die wachen Stunden des Restes der Nacht zu vertreiben.« »Mit Freude und großer Lust,« erwiderte Schahrazad, »wenn der fromme und glückliche König es erlaubt.« »Erzähle,« sprach der König, der schlaflos und rastlos war und sich der Aussicht auf eine Geschichte freute. Da frohlockte Schahrazad; und sie begann in der Ersten Nacht der tausend Nächte und einen Nacht

      »Es wird berichtet, o glücklicher König, daß einst ein Kaufmann lebte, der großen Reichtum besaß und in mancherlei Städten Handel trieb. Nun stieg er eines Tages zu Pferde und zog aus, um an gewissen Orten Gelder einzuziehen, und die Hitze drückte ihn gar sehr; da setzte er sich unter einen Baum; und er griff in eine Satteltasche und zog gebrochenes Brot heraus und trockene Datteln und begann zu frühstücken. Als er die Datteln aufgegessen hatte, warf er die Steine kräftig fort, und siehe, es erschien ein Ifrit, riesenhaft an Statur, und er schwang ein gezücktes Schwert und nahte damit dem Kaufmann und sprach: ›Steh auf, daß ich dich erschlage, wie du mir den Sohn erschlugst!‹ Und der Kaufmann fragte: ›Wie habe ich dir den Sohn erschlagen?‹ Er aber antwortete: ›Als du Datteln aßest und die Steine fortwarfst, trafen sie meinen Sohn voll auf der Brust, da er vorbeiging, und er starb alsbald.‹ Sprach der Kaufmann: ›Wahrlich, aus Allah kamen wir, zu Allah