Ava Lennart

Das Model und der Walflüsterer


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      DAS MODEL UND DER WALFLÜSTERER

      AVA LENNART

Liebesroman

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      Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Personen und Handlung sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

      Einem Seemann

Anker

       „Ein Kuss ist eine Sache, für die man beide Hände braucht.“

       Mark Twain

      GISCHT

      ALEXANDER

      Die Tussi nervt, seit wir das Dock verlassen haben. Fetzen ihrer Stimme, trockene Zahlen ins Handy rufend, übertönen das Brummen des Bootsmotors. Ich reiße mich zusammen und greife räuspernd nach dem Mikrofon. Tief ertönt meine Ansage durch die Lautsprecher an Deck:

      „Herzlich Willkommen an Bord, liebe Gäste. Ich hoffe, alle fühlen sich wohl auf unserer Sightlady. Anderenfalls kommen Sie bitte zu mir. Die Fahrt wird insgesamt etwa drei Stunden dauern. Aber ich verspreche Ihnen, dass es kurzweilig wird. Soeben haben wir die Mündung des Fraser Rivers verlassen und halten uns Richtung Vancouver Island. Mit etwas Glück stoßen wir bei den Gulf Islands auf die ersten Wale. Wenn Sie jetzt nach rechts schauen, haben Sie einen eindrucksvollen Blick auf Vancouver.“

      Während ich das Mikrofon wieder in die Aufhängung stecke, registriere ich zufrieden, wie sich sämtliche Köpfe der Gäste, die sich in gelben Ganzkörperoveralls am Bug des Bootes sammeln, nach rechts drehen und meiner Empfehlung folgen. Ich sauge den Seewind in die Nase und genieße die beruhigende Wirkung, die der Ozean jedes Mal auf mich hat. Ich habe geahnt, dass ich hier draußen abschalten kann.

      „Das interessiert nicht, Margot, 2012 waren es 40%. Wir reden heute über verdammte 70%. Tendenz steigend. Es wird Zeit, diese selbstgefälligen Machos wachzurütteln.“

      Ich verziehe den Mund. Ist klar, dass die Tussi nicht zugehört hat. Wie kann man nur an Zahlen denken, wenn Vancouver Island in der Sonne blitzt? Hält sich wohl für megawichtig mit ihren Prozenten. Die denkt, weil sie Deutsch spricht, versteht sie keiner.

      Warum um alles in der Welt bucht jemand wie sie eine Whale-Watching Tour? Und dann in diesem Aufzug, vielmehr Anzug? Typ steife deutsche Geschäftsfrau. Verstohlen schiele ich zu ihr hinüber. Den gelben wasserdichten Overall hält sie ungenutzt in der perfekt manikürten Hand. Nicht schick genug? Ich schätze die Frau auf Anfang Dreißig. Eigentlich sieht sie gar nicht übel aus. Das heißt, wenn ich solche stylischen Tussis auch nur ansatzweise beachten würde. Dann hätte ich zugegeben, dass ihr Hintern in dem grauen Bleistiftrock, der sich in meine Richtung streckt, während sie versucht, sich an die Reling zu lehnen, passabel zur Geltung kommt. Ich verdrehe die Augen, als die Frau ihre zum Rock passenden Pumps auf das weiße Gestänge abstellt. Ich kann ihr gleich sagen, dass sie mit den glatten Sohlen abrutscht. So grinse ich und krame in der Schublade neben dem Steuerrad nach einer Kaugummipackung. Das Bild von wohlgeformten Waden noch auf meiner Netzhaut.

      „Nein, 16 Dollar pro Meter ist nicht akzeptabel. Die vergessen die Zollgebühren. Sag ihnen das, Margot. Wir sind schließlich potenzielle Großabnehmer.“ Ich versuche gleichmütig zu bleiben. Vielleicht war es doch nicht die beste Entscheidung, ausgerechnet heute aufs Meer zu fahren. Ich wische die unliebsame Erinnerung fort und konzentriere mich auf die übrigen Gäste an Bord, die ich von meiner erhöhten Position aus im Blick habe. Eine Teenagerin steht in gerader Linie vor mir und wirft Brotstücke in einen Möwenschwarm, der das Boot mit ungeduldigem Gekreische umlagert. Der gelbe Overall ist ihr zu groß, an den Beinen und Ärmeln umgekrempelt. Ein hochgewachsener, etwa fünfzigjähriger Herr mit chinesischen Gesichtszügen steht neben dem Mädchen und beobachtet ihr Treiben. Der Typ erinnert mich an den Schauspieler aus Hongkong. Wie heißt der gleich? Was mit drei Silben. Der Chinese hat auf jeden Fall dieselbe attraktive Ausstrahlung. Ich bin einen Moment lang fasziniert, wie der Mann in sich zu ruhen scheint. Seine Mundwinkel sind unmerklich nach oben gezogen, was ihm einen wissenden Gesichtsausdruck gibt. Einschüchternd. Unweigerlich versuche ich mich an einer Kopie dieser Mimik. Dann gebe ich es auf. Meine Laune ist heute zu mies um zu lächeln.

      Es ist eine blöde Idee gewesen, die Tour zu fahren. Eine saublöde. Das hätte Bobby oder einer der Studenten übernehmen können.

      „Bis zur Schau im Juli muss es stehen. Sag ihm am besten, alle warten nur auf ihn. Und das stimmt ja auch. Zur Not drohe ihm mit Schadenersatz. Die Uhr tickt, Margot. Apropos, ich muss jetzt auflegen.“

      Ich blinzle vor Wut und unterdrücke ein genervtes Stöhnen. Diese Margot kann einem echt leidtun. Was für ein bescheuerter Name überhaupt. Schadenersatz! Wie verabscheue ich solche Leute, die auf Geld aus sind! Ich blicke jetzt unverhohlen zu der Frau. Sie soll mitbekommen, wie sehr sie nervt.

      In diesem Augenblick streicht sie eine aus dem streng hochgesteckten Haar gelöste Strähne hinter das Ohr. Mein Herz macht bei dieser unschuldigen Geste einen Satz und ich verschlucke fast meinen Kaugummi. Einen Moment fesselt ihr herzförmiges Gesicht meinen Blick. Ich verharre auf ihren vollen Lippen, die sie nachdenklich knetet. In diesem Moment wirkt sie verletzlich. Wie ein Mädchen. Die zaghafte Geste passt überhaupt nicht zu ihrem wichtigtuerischen Gehabe. Unwillkürlich entfährt mir ein Keuchen. Der Fahrtwind hat die widerspenstige Strähne wieder gelöst und das Spiel geht von vorne los. Ich erwache aus meiner Starre, schüttle über mich den Kopf und blicke zum Bug.

      Wie gut, dass sie mir so was von egal ist.

      Ein anderes Walbeobachtungsboot nähert sich. Ich grinse und kann es mir nicht verkneifen, die lautstarke Bootshupe gleich mehrfach zu betätigen. Mit Genugtuung registriere ich, wie die Frau erschrocken zusammenfährt und zucke zur Erklärung mit den Schultern. Schließlich ist diese Begrüßung unter den Walbooten üblich. Die Gäste johlen und winken begeistert. Soll sie woanders telefonieren.

      „Nein, ich bin auf einem Boot, Margot. Ich habe dir doch von dem chinesischen Investor erzählt. Heute ist er da, und ich sollte endlich aufhören zu telefonieren. Zum Glück habe ich meine Wunderwaffe Valérie dabei. … Ja, genau. Sie hat ihn ganz gut im Griff. War ja auch nicht anders zu erwarten. Zurück zum Thema. Fakt ist, ich brauche die Ware so schnell wie möglich. Kriegst du das hin? Ansonsten frage ich Ingrid.“ Sie holt Luft, bemerkt in diesem Moment meinen Blick und runzelt irritiert die Stirn. Ich stelle mich ihrer vorwurfsvollen Miene mit einem aufgesetzten Lächeln. Sie verengt die Augen und wendet sich jäh ab.