Ava Lennart

Das Model und der Walflüsterer


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Spalte zwischen Kajüte und Deck. Ich finde es urkomisch, wie sie vor der Ritze auf alle Viere niedergeht und vor sich hinfluchend vergeblich versucht, ihr Telefon herauszunesteln. Merkt sie denn nicht, dass sie dabei Neil die ganze Zeit ihren Hintern entgegenstreckt? Unsere Blicke treffen sich und ich quittierte finster die von Neil verhalten angedeutete obszöne Geste, obwohl ich das gar nicht vorgehabt habe. Neil stutzt. Mir entfährt ein unkontrolliertes Schnauben, das sofort erstirbt, als die Frau jäh den Kopf hebt und mich kampflustig mustert. Ein Blick, der dem verletzlichen Wesen von eben nicht im Entferntesten ähnlich ist. Um meine Verblüffung zu unterdrücken, presse ich die Kiefer zusammen,

      Die ist sauer. Soviel steht fest.

      Rasch konzentriere ich mich wieder auf das Steuer und versuche mich an einem Pokerface. Die Frau baut sich in der Kajütentür auf. Vermeintlich gelangweilt wende ich ihr den Kopf zu. Ihre rechte Körperhälfte ist patschnass. Volltreffer.

      Himmel, merkt die denn nicht, dass sie mit den verschränkten Armen ihre Brüste hochpusht, die sich, in zarte Spitze verpackt, unter der feuchten Seidenbluse abzeichnen? Ich habe Mühe, ihr in die Augen zu blicken.

      „Kann ich Ihnen behilflich sein?“, frage ich sie auf Englisch. Ein Meister der Beherrschung.

      Statt einer Antwort neigt sie ihre wütende Grimasse so nah in meine Komfortzone, dass ich vage die braunen Einsprengsel in ihren grünen Augen wahrnehme. Solche Einschlüsse habe ich ebenfalls in meiner blauen Iris. „Wutpünktchen“ hat meine Mutter diese in der Kindheit immer genannt. Das passt ja jetzt. Ihr Mund ist zu einer Linie zusammengepresst. Versteht wohl keinen Spaß, die Dame. Ich schluckte trocken, wende den Blick von ihrer Iris ab und fixiere einen Wassertropfen, der ihr zartes Kinn hinabtanzt. Faszinierend, wie dieser zickzack einen Weg über ihre Haut bahnt, sich eine Sekunde im unsichtbaren Flaum verfängt und zu Boden flieht. Der hat es gut. Moment mal! Bin ich etwa neidisch auf einen Wassertropfen? Als ich ihr wieder in die unfassbar grünen Augen schaue, wird mir heiß. Ich widerstehe dem Drang, mich zu räuspern. Ärgerlich! Die humorlose Tussi soll bloß nicht denken, ich fühle mich schuldig. Schäme mich womöglich.

      Nun ja, vielleicht bin ich mit der Aktion ein wenig zu weit gegangen.

      So nah nehme ich wahr, wie sich ihre Nasenflügel blähen, als wittere sie mich. Bilde ich mir das ein, oder wechselt ihr zorniger Blick für den Bruchteil einer Sekunde zu Erstaunen? Mein Herz hämmert plötzlich. Trotz der salzigen Meeresluft und dem aufdringlichen Dieselgeruch des Motors nehme ich einen blumigen, sehr fraulichen Duft an ihr wahr. Die Härchen an meinem Unterarm stellen sich spürbar auf. Es scheint nur mich und sie zu geben. Die restliche Welt ist ausgeblendet.

      „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Neils sexy Bass-Stimme, die er im Flirtmodus auflegt, dringt von weit her zu mir durch und beendet den Moment. Benommen blinzle ich und komme wieder zur Besinnung.

      Sie hat diesen Augenblick anscheinend nicht so intim empfunden. Die Frau ignoriert Neils charmantes Angebot und blafft mich auf Englisch an, ohne den jetzt eiskalten Blick von mir zu wenden: „Das war Absicht. Ich verlange Entschädigung. Ohne dieses Telefon kann ich nicht arbeiten. Wenn Sie mir nicht schnellstmöglich ein Neues besorgen, kommt Sie das teuer zu stehen.“ Ich bin schlagfertig, aber gerade bleibt mir jedes Wort im Halse stecken. Hat die sie noch alle? Wieder diese Sache mit dem Schadenersatz. Ist klar. Ich liefere mir mit der aufgebrachten Lady ein filmreifes Blickduell. Es gelingt mir, eine Eiseskälte in die Stimme zu legen, die mich angesichts meiner unterdrückten Wut selbst verblüfft.

      „Sie befinden sich auf See. Bei dem unberechenbaren Wellengang obliegt es Ihrer eigenen Verantwortung, wenn Sie Wertgegenstände mitführen. Wie ich sehe, haben Sie nicht einmal das Minimum an Verhaltensregeln eingehalten und den Schutzanzug übergezogen. Soll ich für den nassen Anzug etwa ebenfalls verantwortlich sein?“ Ihre Augen sind empörte Schlitze.

      „Sie brauchen nicht so scheinheilig zu tun. Sie haben mich schon die ganze Zeit wütend angeglotzt.“

      „Ich, Sie anglotzen? Wovon träumen Sie nachts, Lady?“ Sie lacht verächtlich und lässt den Blick demonstrativ über meinen Overall schweifen, wobei sie den Kopf leicht schüttelt. Eine blöde Kuh! Kleider machen Leute, wie? Meine Kehle wird vor Zorn eng. Es hilft wenig, dass ich am Rande meines Gesichtsfeldes mitbekomme, wie Neil die Szene belustigt begafft.

      „Ganz bestimmt nicht von Ihnen“, murmelt sie auf Deutsch. Die Wut ballt in meinem Hals einen Kloß, den ich mit Mühe unten halte. Die kommt mir gerade heute recht. Selbst wenn sie nicht weiß, dass ich Deutsch verstehe. Ich raffe den letzten Rest an Beherrschung zusammen. Die ersten Schaulustigen nähern sich vom Bug her.

      „Lassen Sie mich jetzt bitte meine Arbeit machen. Es ist Ihnen entgangen, aber wir haben Grauwale gesichtet. Es gibt Gäste auf dem Boot, die das mehr interessiert, als ein eingeklemmtes Handy. An Land können wir gerne in Ruhe schauen, wie sich Ihr Telefon bergen lässt.“ Ich wende den Blick nach vorn und bin erstaunt, wie dicht wir bereits an den Walen sind. Mist, so nah wollte ich ihnen gar nicht auf die Pelle rücken. Das tun die touristischen Walbeobachtungsboote. Wohingegen meine Tour für Respekt vor den Tieren und ökologische Nachhaltigkeit steht. Daran ist diese arrogante Tussi schuld. Ärgerlich schnalze ich mit der Zunge und drossle den Motor.

      In der unvermittelt einsetzenden Stille höre ich umso deutlicher, was sie auf Deutsch zischt, während sie sich mit einer abfälligen Handbewegung von mir abwendet. „Hinterwäldler!“

      Der Druck in meiner Kehle explodiert endlich. Ich kann mich nicht länger zurückhalten. Selbst schuld, Baby!

      „Arrogante Tussi!“, knurre ich lautstark, ebenfalls auf Deutsch, und gleich hinterher: “Zimtzicke!“, so wütend bin ich. Die Frau zuckt zusammen. Ich registriere zufrieden, wie sie nervös über ihr Haar fährt. Mit triumphierendem Grinsen greife ich nach dem Fernglas und verlasse die Kabine. Soll sie in ihrem eigenen Saft schmoren. Mein Blick fällt auf Neil, der verwirrt die Augen zusammenkneift und schlagartig bin ich nüchtern. Was ist los mit mir? Meine heutige Stimmung darf nicht das Geschäft schädigen. Ich werde mich um die Wale kümmern und es gut sein lassen. Neil wird sich schon der Frau annehmen. Ich zucke die Schultern und will mich gerade Richtung Bug aufmachen, als der Mann mit chinesischen Gesichtszügen und das etwa vierzehnjährige hübsche Mädchen, genau die beiden, die ich vorhin beobachtet habe, neben die Anzugtussi treten. Die blonde Jugendliche hält mir grinsend die Hand hin.

      „Hallo, ich bin Valérie. Ich spreche auch Deutsch und die arrogante Tussi da ist meine Mutter Elle.“

      FLUKEN

      ELLE

      Dieser Kerl hat sie doch nicht mehr alle! Arrogant? Zimtzicke? Ich? Okay, ich hätte daran denken können, dass er meinen Titel für ihn nicht so prickelnd gefunden hat. Kann ja keiner ahnen, dass er Deutsch versteht. Bei ihm passt die Bezeichnung Hinterwäldler schließlich. Man muss ihn nur anschauen in seinen ölverschmierten Klamotten. Aber wenn jemand auf der Welt keine arrogante Zicke ist, dann ich. Ich kenne mich mit arroganten Zicken bestens aus. Schließlich arbeite ich in der Modebranche. Da sind sogar die meisten Männer arrogante Zicken. Dagegen bin ich eher der Typ besonnene Pragmatikerin.

      Oh, ich hyperventiliere fast, so wütend bin ich. Warum bringt der Typ mich so auf die Palme? Er kann mir doch egal sein. Es muss am Stress liegen. Tief inhaliere ich die Seeluft. Ein und aus. Und noch mal. Meine Mutter behauptet immer, das hilft. Tatsächlich beruhige ich mich ein wenig. Der Walboottyp kommt in mein Blickfeld. Verstohlen mustere ich den unverschämten Kerl, dem ich soeben näher gekommen bin, als ich wollte.

      Ich gebe zu, er riecht gut. Eine Mischung aus Mann und frisch gemähtem Gras, was ich in der Meeresluft in Kombi mit dem unförmigen Hafenarbeiteroutfit erstaunlich finde. In diesem Seemannspulli und der Jacke hat er im ersten Moment an den Stripper erinnert, der eine prickelnde Show auf dem Junggesellenabschied meiner Schwester hingelegt hatte. Kurz verliere ich mich in Gedanken an dessen definierte Bauchmuskeln und kreisende Hüften, die die Mädels damals zum Kreischen gebracht hatten. Ob der Typ hier auch einen stählernen