Ava Lennart

Das Model und der Walflüsterer


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über Wale. Offensichtlich hat den beiden die Tour gefallen. Innerlich danke ich Jill für die gute Idee. Mister Chang soll sich in Vancouver wohl fühlen. Mit neuer Energie streiche ich den Bleistiftrock glatt.

      „Mister Chang, ich hoffe, der Ausflug hat Ihnen gefallen. Darf ich Sie bitten, sich kurz zu gedulden? Wir können hier in dem Restaurant einen Kaffee trinken, bis der Bootsmann mein Handy befreit hat.“ Ich zeige in die Richtung des Restaurants und laufe bereits los. Festen Boden unter den Füßen, habe ich zur alten Form zurück gefunden.

      „Oh, gute Idee! Wo Kaffee ist, ist meistens auch Tee!“, ruft Mister Chang fröhlich und folgt mir. Ich könnte mich ohrfeigen! Verflixt, ich habe völlig vergessen, dass Mister Chang Teetrinker ist. Schließlich gehören ihm riesige Teeplantagen in China. Ich sollte mich konzentrieren. Auch meine Tochter setzt sich in Bewegung. „Wo Tee ist, ist meistens auch Cola“, grinst Valérie mich an. Naseweis. Woher hat sie das? Ein rascher Blick auf den gutmütig lächelnden Mister Chang zeigt, dass dieser Valéries Humor versteht. Erleichtert stoße ich die Luft aus. Noch eine halbe Stunde in diesem Lokal, und der Tag kann wie geplant weitergehen. Meiner Armbanduhr nach würden wir es rechtzeitig in das angesagte Restaurant nach China-Town schaffen, wo ich in einen Tisch reserviert habe. Vorausgesetzt, dieser Kerl stellt sich bei der Bergung des Handys nicht allzu dämlich an.

      „Ich muss los, vielleicht sieht man sich bald wieder?“ Als ich mich umdrehe, schaue ich in Neils erwartungsvolle Augen. Den habe ich komplett vergessen.

      „Ja, vielleicht“, antworte ich unverbindlich, umfasse den Arm meiner Tochter und ziehe sie unter Neils entgeistertem Blick Richtung Hafenrestaurant.

      Munter plaudernd betreten wir nach wenigen Metern die Stufen, die zu der Holzveranda hinaufführen, die längs der Hafenseite verläuft. Brusthohe Glasscheiben schützen die Gäste vor dem Seewind. Diese sitzen an langen Holztischen auf rustikalen Bänken. Ein großes Schild, auf dem, mit Wildblumen verziert, „The Heidelberg“ geschnitzt ist, begrüßt die Eintretenden. Das Lokal ist offenbar beliebt. Draußen ist kein freier Platz mehr zu finden. An der schweren Tür kommt uns eine dralle Frau entgegen, die ein Tablett mit Getränken und essbaren Kleinigkeiten balanciert. Mein Magen erinnert mich lautstark daran, dass ich heute das Frühstück habe ausfallen lassen. Während ich den Blick kaum von den Tellern lösen kann, zupft Valérie mich am Ärmel.

      „Mama, schau. Die Frau hat genauso ein Kleid an, wie ich als Kind mal von Tante Sabine geschenkt bekommen habe. Wie hieß das noch mal?“ Ich nehme die Bedienung genauer in Augenschein. Tatsächlich. Die Frau trägt ein Dirndl. Diese geschmackvolle Version hat allerdings wenig mit dem pinken Ungetüm mit grüner Schürze zu tun, das Valérie zu meinem Entsetzen im Alter von vier Jahren Tag und Nacht tragen wollte. Es bedurfte viel Überredungskunst, das Kleid wenigstens ab und an in die Waschmaschine zu stecken. Als Valérie dann endlich selbst zugab, aus dem Dirndl herausgewachsen zu sein, flossen bittere Tränen. Erleichtert hatte ich den Lumpen entsorgt. Ich hätte nicht gedacht, dass sich Valérie daran erinnert.

      „Die Kleider nennt man Dirndl. Eigentlich tragen die Heidelberger keine Dirndl. Die Stadt liegt zu weit nördlich für diese Tracht“, kann ich mir nicht verkneifen, den verträumten Gesichtsausdruck meiner Tochter zu bremsen. Valérie kommt doch nicht etwa auf die Idee, unbedingt wieder ein Dirndl zu wollen? Obwohl, wenn ich sie in der schwarzen Skinny-Jeans und dem dunklen, langen Pullover so ansehe, stünde ihr Farbe und Weiblichkeit nicht schlecht. Ich seufze. Valérie ist so hübsch. Alle Versuche, ihr Modeempfinden beizubringen, perlen an ihr ab. Typisch Teenager halt. Kaum zu glauben, dass sie dasselbe Kind ist, das einst das pinke Dirndl vergöttert hatte.

      Als wir durch die Eingangstür treten, frage ich mich, weshalb das Bild der Deutschen in der Welt immer bayerisch sein muss.

      Das Innere des Restaurants empfängt uns mit einer angenehmen Ruhe, die sich von der Betriebsamkeit auf der Veranda unterscheidet. Der Raum ist hell und geräumig. Neben einer langen Bar aus unbehandeltem Holz, vor der hohe Hocker aus dicken Ästen stehen, finden sich an den Fenstern große, mit Bänken kombinierte Holztische. Dazwischen ist viel freier Raum, der sich nach oben fortsetzt. Das hohe Gebälk, in dem sich das Gemurmel und Besteckklappern der Gäste verliert, gibt dem Restaurant etwas Luftiges. Ich erkenne an, dass genau die Balance zwischen Landhausstil und Moderne getroffen ist. Wie zufällig sind Felle auf modernen Holzbänken verteilt und auf Tischen und Fensterbänken stehen gläserne Windlichter neben Vasen mit Wildblumen. In seiner Schlichtheit wirkt alles einladend und stimmig. Mister Chang scheint das ebenfalls so zu empfinden. Sein Gesicht strahlt und er klatscht erfreut in die Hände, als er weitere Mädchen im Dirndl erspäht. Vielleicht ist die Idee, ihn mit dem gediegenen Restaurant in Chinatown Heimatfeeling zu geben, nicht so ausgereift gewesen?

      Eine schlanke Dame um die sechzig, in langer Tracht kommt auf uns zu. Sie streckt uns die Hände entgegen und begrüßt uns freundlich. „Ich bin Christiane Herbst, Alexanders Mutter. Sie müssen die Gruppe sein, die unser Sohn telefonisch angekündigt hat. Er hat nicht übertrieben. Sie sind sehr hübsch. Sprechen Sie tatsächlich Deutsch?“ Ich bin so überrumpelt, dass ich kein Wort hervorbringe. Hübsch? Interessant, dass ihm das trotz allem aufgefallen ist. Misstrauisch ergreife ich die dargebotene Hand. Ich vermute eher, dass Alexander mich als „Oberzimtzicke“ avisiert und Christiane das eigenmächtig umgetauft hat. Sie ignoriert meine Verwunderung.

      „Entschuldigen Sie meine Neugier. Ich freue mich immer, wenn ich auf Landsleute treffe, die hier leben.“ Die Frau ist so nett, ich kann sie kaum mit dem grantigen Boots-Alexander, der mein Handy auf dem Gewissen hat, in Verbindung bringen. Die Verwandtschaft ist nicht zu leugnen. Dieselben blauen Augen. Dass mir das auffällt? Ein ungewohntes Kribbeln macht sich in meinem Magen breit.

      „Ich spreche auch Deutsch“, schaltet Valérie sich dazwischen, die stolz darauf ist, zweisprachig erzogen worden zu sein. Ich besinne mich meiner Erziehung.

      „Mein Name ist Elle Sommerfeld und das ist meine Tochter Valérie. Meine Eltern stammen aus Deutschland. Wir sind hierhin gezogen, als ich sechs Jahre alt war. Aber Valérie ist in Vancouver geboren.“ Im Affekt streiche ich Valérie über das Haar, was meine Tochter mit einem Augenrollen quittiert. Schnell ziehe ich die Hand zurück.

      „Freut mich sehr.“ Ihr Blick ruht einen Moment wohlwollend auf Valérie und mir.

      „Sollten Ihre Eltern noch in Vancouver sein, müssen Sie mit ihnen unbedingt in unser Restaurant kommen. Hier ist ein beliebter Treffpunkt für deutsche Einwanderer.“

      „Meine Eltern hat das Heimweh vor ein paar Jahren zurück nach Deutschland getrieben. Meine Schwester lebt mit Mann und zwei Kindern dort. Sie wollten in ihrer Nähe sein.“ Man sieht mir anscheinend an, wie sehr ich meine Eltern vermisse, denn Christiane legt mit einer tröstenden Geste ihre Hand auf meinen Arm. Bei so viel Mitgefühl wird meine Kehle eng und ich konzentriere mich zur Ablenkung auf Christianes schmale Finger. Wieder eine offensichtliche Gemeinsamkeit mit ihrem Sohn Alexander. Nach einem kurzen Drücken zieht Christiane die Hand weg.

      „Das tut mir sehr leid. Ja, der Ruf der Heimat ist stark. Mein Mann und ich haben auch manchmal Lust, alles stehen und liegen zu lassen und zurückzugehen. Aber wir sind zwei Jahre nach unserer Hochzeit nach Kanada ausgewandert und haben bis auf eine Schwester meines Mannes keine Verwandten mehr in Deutschland. Ich befürchte fast, wir sind jetzt echte Kanadier.“ Ich weiß sofort, was Christiane meint. Genau das ist die unterschwellige Angst meiner Eltern gewesen: die deutsche Identität zu verlieren. Dabei waren sie einst voller Träume nach Kanada ausgewandert um „der deutschen Enge“ zu entkommen. Als meine Schwester Sabine ihr Herz ausgerechnet an einen durchreisenden Deutschen verlor, waren meine Eltern insgeheim erleichtert. Einen besseren Grund nach Deutschland zurückzugehen, als zu ihrer schwangeren Tochter, gab es nicht. Mich hingegen zog nach meiner Modelphase in Paris die Sehnsucht wieder zurück nach Kanada. Obwohl das bedeutet hatte, meine Tochter Valérie ohne Hilfe meiner Eltern großzuziehen.

      „Wenn meine Eltern uns das nächste Mal besuchen kommen, werde ich ihnen Ihr Restaurant auf jeden Fall zeigen.“ Christiane lächelt zufrieden. Sie wendet sich an Mister Chang und spricht ihn auf Deutsch an. „Herr Sommerfeld?“ Herr Chang blickt sie freundlich an, reagiert aber nicht.

      Valérie