Lennardt M. Arndt

An den Ufern des Nebraska


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am Leben war.

      Es ist wohl leicht, sich vorzustellen, dass ich durch diese Eröffnungen meines Ziehvaters wie „vor den Kopf geschlagen“ war. Dies mochte auch er einsehen und so unterbrach er seinen Bericht an dieser Stelle und fragte mich, wie es mir gehe und ob er weitersprechen solle.

      Ich schaute ihn nur an und stammelte:

      „Wie konntest du -- mir das --- all die Jahre --- verschweigen?“

      Er antwortete nicht direkt, sondern meinte, ich solle mir nun auch noch den Rest der Geschichte anhören, dann würde ich vielleicht verstehen und ihm, wie er hoffte, vergeben können.

      Die Arme auf den Tisch gestützt und die Hände vor der Stirn geballt saß ich da und fühlte mich wie im freien Fall. Da ich nicht wusste, wie ich meine aufwallenden Gefühle in Worte fassen sollte, schwieg ich nur.

      Er fasste dies als Aufforderung auf, mit der Geschichte fortzufahren.

      Mit ihren Geschwistern Ellen und Derrick lebte meine Mutter Emily jetzt im Haushalt meines Vaters, des Tuchhändlers Bender. Zu dieser Zeit ging dort auch ein Stiefbruder meines Vaters, ein gewisser John Bender, ein und aus. Er arbeitete auch in dem Handel meines Vaters.

      Er trug damals den Namen seines Stiefvaters –Bender- und den Vornamen nach einem verstorbenen Erstgeborenen des Stiefvaters. Eigentlich hieß er Daniel (oder auch Dan) Etters. Zur damaligen Zeit wurde er aber immer nur John Bender genannt. John begehrte meine Mutter und wollte sie meinem Vater abspenstig machen.

      Meine Mutter wies den Nebenbuhler ab, was ihn neidisch und missgünstig gegen meinen Vater werden ließ. In der Folgezeit brachte er des Öfteren seinen Kumpan, einen Mann namens Lothair Thibaut, mit in das Haus meines Vaters. Thibaut bandelte mit meiner Tante Ellen (oder Tokbela) an und sie verliebte sich in ihn.

      Später fand mein Vater heraus, dass jener Thibaut ein Trickbetrüger und Falschmünzer war und verwies ihn darum des Hauses. Etters und Thibaut verließen daraufhin das Geschäft und den Haushalt meines Vaters, wobei Etters ihm bittere Rache zuschwor.

      Auf Betreiben Etters‘, war es für Thibaut ein leichtes, Dokumente zu fälschen und meinen Eltern und Derrick Beweise für Falschmünzerei unterzuschieben.

      Die beiden Schurken zeigten meine Eltern und Derrick danach selbst an. Sie hatten die vermeintlichen Beweise so geschickt platziert, dass alle drei tatsächlich angeklagt und zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt wurden.

      Das Geschäft wurde von Etters weitergeführt. Mein Vater hatte dies nicht verhindern können. Fred und ich kamen zu unserer Tante Ellen, die sich um uns kümmerte, als wären wir ihre eigenen Kinder.

      Wir wohnten wieder in jener Pension, in der meine Mutter und Ellen vor der Heirat untergebracht waren. Thibaut machte sich wieder an meine Tante heran und diese versprach nun, ihn zu heiraten, wenn er meine Eltern befreite. Also bestach er, zusammen mit Etters, einen Gefängniswärter, welcher mit Derrick floh.

      Dieser Wärter war --- Mr. Wallace, der damals noch Beckett hieß. Er hatte mit dem Häftling gemeinsam fliehen müssen, weil es ihm nicht gelungen war, die Flucht so einzurichten, dass kein Verdacht auf ihn fallen konnte.

      Jetzt schaute ich auf, … was hatte Mr. Wallace da gerade gesagt? Er war der bestochene Gefängniswärter?

      „Warum hast du nicht auch meine Eltern befreit? Warum nur Derrick?“, fragte ich erregt.

      Er antwortete:

      „Ich wusste zunächst gar nichts über deine Eltern. Und selbst wenn ich über sie Bescheid gewusst hätte, wäre es mir nicht möglich gewesen, auch sie zu befreien. Deine Mutter war in einem gesonderten Trakt für weibliche Gefangene untergebracht und dein Vater befand sich in einem anderen Gebäudeteil. Dort war ich nicht eingeteilt.“

      „Aber du weißt, was aus ihnen geworden ist, oder? Du musst es wissen!“, rief ich flehentlich.

      Er sah mich mit unergründlichem Blick an und bat mich, mit seiner Erzählung fortfahren zu dürfen, ich würde dann alles erfahren. Also nickte ich und setzte mich wieder wie zuvor an den Tisch und hörte angespannt zu.

      Etters und Thibaut war es allein darauf angekommen, Derrick befreien zu lassen, weil Etters wusste, dass Derrick einige Goldfundstellen kannte. Sie wollten also über ihn an Gold kommen.

      Als Derrick zusammen mit dem späteren Mr. Wallace floh, nahm er meine Tante Ellen und uns Kinder mit. Ziel der Flucht war Taos, damals noch auf mexikanischem Territorium, wo er uns unter dem Schutz Mr. Wallace‘ zurückließ. Er selbst ging noch weiter in die Felsenberge, um Gold zu holen. Damit wollte er seinen Retter belohnen und dann auch meine Eltern befreien.

      Mr. Wallace ahnte nicht, dass Derrick ihn für seine Rettung belohnen wollte. Er gestand also dem „Geretteten“, dass er bestochen worden sei, um ihn zu befreien. Er sagte Derrick, dass Etters und Thibaut ihm erzählt hätten, sie seien von der Unschuld des als Padre Diterico bekannten indianischen Predigers überzeugt, könnten aber keine Beweise für dessen Unschuld erbringen. Daher hätten sie sich entschieden, zu versuchen, den Prediger auf diesem Wege frei zu bekommen.

      Mr. Wallace hatte die Geschichte über den „Padre“ so überzeugend gefunden, dass er Etters und Thibaut geglaubt und sich zunächst nichts dabei gedacht hatte, an der Befreiung eines solchen Mannes mitzuwirken.

      Schließlich hatte er Derrick ja in der Haft kennengelernt und so erschien es ihm nur allzu plausibel, dass es sich hier um einen Justizirrtum handeln konnte. Später seien ihm aber doch Zweifel gekommen, weil er Geld genommen hatte und weil dieser Umstand ihm ins Gewissen biss.

      Derrick hatte auf dieses Geständnis nur erwidert, dass er die Zusammenhänge schon geahnt habe. Da Mr. Wallace das Bestechungsgeld nicht mehr haben wollte, redete Derrick ihm zu, dass er es behalten solle. Es seien üble Verbrecher und Verleumder gewesen, die ihm dieses angedient hätten und er brauche sich daher wegen des Besitzes nicht zu grämen. Dass er ein ehrlicher Mann sei, habe er soeben durch sein Geständnis bewiesen.

      Derrick teilte ihm nun mit, dass er weiter hinauf in das Felsengebirge gehen wolle, um Gold zu holen und möglichst mithilfe desselben auch meine Eltern frei zu bekommen. Mr. Wallace, der jetzt gründlicher über die Zusammenhänge der Bestechung und der Flucht Derricks nachgedacht hatte, bat ihn, nicht in die Berge zu gehen. Er stand zu vermuten, dass die Schurken Derrick auflauern würden, um an das Gold zu kommen. Dies musste der wahre Grund sein, warum Etters und Thibaut nur Derrick hatten frei haben wollen.

      Diese Bedenken zerstreute Derrick jedoch. Schließlich könne niemand wissen, wohin Mr. Wallace und er geflohen seien. Daher könnten Etters und Thibaut den von Mr. Wallace vermuteten Plan nicht in die Tat umsetzen.

      Dagegen gab es zunächst nichts vorzubringen. Also ließ Derrick uns Kinder und Ellen in Mr. Wallace‘ Obhut und machte sich auf den Weg.

      Wie Mr. Wallace später erfuhr, waren Etters und Thibaut uns sehr wohl auf der Spur gewesen, hatten aber bei der Verfolgung einen Zeitverzug durch eine Verletzung des Pferdes Thibauts hinzunehmen, sodass sie nicht rechtzeitig in Taos eintrafen, um Derrick in das Gebirge zu folgen.

      Also nahmen sie in unserer Nähe Quartier und Thibaut versuchte erneut, sich an Ellen heran zu machen. Durch geschickte Täuschung brachte er sie soweit, dass sie die gleiche Lügengeschichte zur Befreiung Derricks glaubte, auf die auch Mr. Wallace zunächst hereingefallen war. Also verzieh meine Tante Thibaut die Verleumdung. Einwendungen von Mr. Wallace wollte sie nicht hören.

      Derrick war es inzwischen geglückt, mit dem Gold aus dem aus den Felsenbergen nach Boston zurückzureisen. Mithilfe des Goldes hatte er, ebenfalls durch Bestechung eines Wärters, meine Mutter frei bekommen können. Leider war mein Vater inzwischen im Gefängnis verstorben. Genauere Umstände über seinen Tod hatte Derrick nicht in Erfahrung bringen können. Meine Mutter wusste nichts darüber, weil sie während der Haft keinerlei Kontakt zu meinem Vater hatte.

      Hier unterbrach ich die Erzählung erneut. Ich war wieder von meinem Platz aufgestanden und zum Fenster gegangen, schaute hinaus, ohne wirklich