Heinrich Mann

Im Schlaraffenland


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Dichter finden hier stets ein offenes Haus, und die von Doktor Bediener empfohlenen Talente sind uns besonders willkommen, Herr Zumsee.«

      Andreas verbeugte sich abermals. Er nahm das Taburett ein, auf das Frau Türkheimer deutete.

       »Widmen Sie sich schon lange der Literatur?« fragte sie.

      »Erst seit ganz kurzer Zeit«, erklärte Andreas, »und ich durfte nicht hoffen, seitens der gnädigen Frau einen so wohlwollenden Empfang zu finden, der mich unendlich glücklich macht. Das Interesse an der Literatur ist im Lande so gering, daß wir jungen Anfänger von vornherein eine tiefe Dankbarkeit den wenigen Häusern entgegenbringen, in denen ein modern verfeinerter Geschmack gepflegt wird.«

      Ein junger Mann, der schon etwas mehr als Andreas den Ernst seiner Provinz abgeschüttelt hätte, würde anders gesprochen haben. Jedenfalls hatte Frau Türkheimer etwas anderes erwartet, sie wurde erst jetzt auf den jungen Mann aufmerksam. Seine zu Hause ersonnene Rede schien sie nicht übel zu finden. Sie lehnte sich in die Bergere zurück, einen Augenblick lächelte sie sogar geschmeichelt. Andreas, der die Lorgnons der rechts und links sitzenden Damen fürchtete, sah Frau Türkheimer unverwandt in die Augen, und sein Blick, den dichte, vorn aufwärts gebogene Wimpern beschatteten, machte den von Doktor Bediener vorausgesehenen Eindruck. Sie fand ihn angenehm, ganz frei von Dreistigkeit und voll jugendlicher Hingebung. Da Andreas sich geprüft fühlte, errötete er, was seinem knabenhaften Blondkopf mit dem leichten Flaum auf der Oberlippe sehr gut stand. Sie fuhr fort, ihn zu betrachten. Der geheime Schmerz, der über ihr Gesicht einen Schleier geworfen hatte, geriet in Vergessenheit. Es blieb nur eine sanfte Schwermut übrig, genährt durch den Anblick des jungen Menschen, der auch des Anteils einer mitleidigen Seele zu bedürfen schien. Andreas ahnte etwas Ähnliches. Er fand sich in seiner Ungeschicklichkeit selbst bedauernswert, aber es kränkte ihn, sich von einer schönen Frau bemitleiden lassen zu müssen. Er ward noch röter. Sie erkundigte sich:

      »Und wie befinden Sie sich in Berlin? Denn Sie haben doch wohl erst kürzlich Ihre Heimat verlassen?«

      »Ich komme vom Rhein, gnädige Frau.«

      »Ich glaubte es an Ihrer Aussprache zu hören. Ah! Der Rhein!« hauchte Frau Türkheimer. Sie sann einen Augenblick, ließ sich indes auf eine Beschreibung der Stimmungen, die ihr der Rhein eingeflößt hatte, nicht ein.

      »Sie müssen sich hier wohl recht wie in der Fremde fühlen?« fragte sie unwillkürlich leiser. Schwermut, Mitleid und Träumerei zogen eine Hecke um sie und diesen jungen Mann, sie wußte selbst nicht wie.

      »Kommt Ihnen hier das Leben nicht viel kälter vor als in Ihrer Provinz? Bei Ihnen kennt man Fröhlichkeit, glaube ich, hier aber nur Spottlust. Und dann das Geld! Merken Sie sich für Ihren hiesigen Aufenthalt: es gibt hier nichts, was man nicht um eines guten Geschäftes willen verraten würde!«

      Andreas meinte, bei den ruhig gesprochenen Worten der Dame doch dem Schrei einer wunden Seele zu lauschen. Er fühlte sich geschmeichelt durch die Andeutung, die sie selbst ihm von ihrem Unglück machte. Sie setzte nachlässig hinzu:

      »Haben Sie schon einen Schneider, Herr Zumsee?«

      Andreas glaubte mißverstanden zu haben.

      »Sie brauchen Freunde, die Sie anleiten. Warum sollte ich es nicht tun?«

      Andreas verbeugte sich.

      »Gehen Sie doch zu Behrendt in der Mohrenstraße. Ich erlaube Ihnen, sich auf mich zu berufen, dann wird man Ihnen eine tadellose Ausstattung besorgen. Ich schicke Ihnen meine Karte.«

      Sie reichte ihm ihre wohlgeformte Hand, die sich unter dem Handschuh ein wenig fett, aber nicht zu fett, anfühlte.

      »Übrigens vergessen Sie uns nicht, ich bin jeden Freitag zu Hause.«

      Andreas sprang auf, küßte die Hand und entfernte sich langsam, mit verhaltenem Atem. Infolge des Erlebten waren seine Sinne förmlich erstarrt. Als sie wieder frei wurden, hörte er hinter sich jemand sagen:

      »Donnerwetter! Dem gibt er's im Schlaf! Sie kennen doch den Trick mit dem Schneider? Wenn der Frau Türkheimers Karte sieht, so liefert er den jungen Leuten Anzüge für fünfzig Mark, die uns dreihundert kosten.«

       Ein wenig weiter bemerkte Andreas jenen Generalkonsul mit kleinem Spitzbauch und rötlich gefärbten Koteletten, den er im Vorzimmer des »Nachtkurier« getroffen hatte. Dieser Herr lächelte, wie der junge Mann vorüberging, so freundlich, und er schien so bereit zu einer Begrüßung zu sein, daß Andreas sich vor ihm verneigte. Der Generalkonsul erwiderte eifrig seinen Gruß.

      Ein Unbekannter trat auf Andreas zu und schüttelte ihm ohne Umstände kräftig die Hand.

      »Sind Sie schon lange in Berlin, mein Herr?« fragte er.

      »Dreizehn Monate«, sagte Andreas.

      »Nun sehnsemal«, bemerkte jener. »Ich bin schon dreizehn Jahre in Berlin, und Frau Türkheimer hat mir noch keinen Schneider empfohlen.«

      Damit entfernte der Unbekannte sich wieder.

      Unter der Tür des zweiten Salons, in den Andreas zurückkehrte, holte ihn Diederich Klempner ein, der ihm eine formelle Korpsstudentenverbeugung machte.

      »Diederich Klempner mein Name«, sagte er kurz und schneidig.

      »Andreas Zumsee.«

      »Wir sind ja wohl Kollegen«, bemerkte Klempner. »Donnerwetter, Sie haben aber Glück!« setzte er sofort hinzu. »Das muß man übrigens haben, sonst ist in unserer Branche nichts zu wollen.«

      Andreas drehte sich um und zeigte Klempner den Herrn mit den gefärbten Favoris.

      »Entschuldigen Sie, wer ist der Herr dort drüben?«

      »Der? Na, das ist doch Türkheimer!«

      Andreas versank in Sinnen. In seiner Überraschung war ihm zunächst nur eine Kleinigkeit eingefallen. Generalkonsul war ein so vornehmer Titel, und auf der Einladungskarte hatte nur »Frau Adelheid Türkheimer« gestanden! Diederich Klempner grinste.

      »Es kommt Ihnen wohl komisch vor, daß er Sie so auffordernd angelächelt hat? Na, natürlich, Sie haben doch seinen Konkurrenten Ratibohr bei seiner Frau ausgestochen!«

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