zu wollen in alle Häuser, in alle Wohnungen, Lokale, Geschäfte, in die Warenhäuser, Fabriken, Wolkenkratzer, Hospitäler, hineinsehen in alles: die Gedärme, das Herz, das Gehirn, das ganze Innere, die Triebfeder, die Hintergründe sehen, entdecken, erkennen können? Überkommt Sie nicht auch manchmal diese Neugierde?" Der „schöne Alex" murmelt etwas Bejahendes. Er sagt sich, dass im Hotel Amerika die Gäste immer recht haben, aber er ist zufrieden, dass er selbst nie so verstiegene Gedanken wie dieser Herr da hat; er weiß, was er will, und das ist die Hauptsache, wenn man wirklich etwas erreichen will. Wenn er das Geld für seine Flüsterkneipe zusammenhätte, so wüsste er schon, den Betrieb nutzbringend zu führen. Er würde sich gegenüber der „Bar Lohengreen" ansiedeln, — sie würde bald pleite gehen, die Witwe. Nun, sie könnte ja zu ihm arbeiten kommen; der „schöne Alex" würde es ihr sogar anbieten. Und dann eines schönen Tages würde er ihr den Lohn auszahlen und sagen: „Morgen brauchen Sie nicht mehr zu kommen." Ja, sein eigener Herr sein, Leute wegschicken können, das möchte er auch... „Sie verdienen hier wohl gut", fragt der neugierige Gast; er macht keine Anstalten, mit seinem Frühstück fertig zu| werden.
„Na, es geht so lala; Sie würden staunen, Herr, wie oft die vornehmen Leute Trinkgelder zu geben vergessen." Ja, der „schöne Alex" hält nicht viel von feinen Gegenden. Auch wenn er von seinen Racheplänen absieht, möchte er sich nicht in den „tobenden Vierzigern" ansiedeln, in den Straßen zwischen 40 und 50 an beiden Seiten des „Weißen "Weges", wie man den Broadway dort nennt, wo er Vergnügungen bietet. Die dort florierenden Nachtklubs, geheimen Absteigequartiere und Tanzlokale sind nicht das Ziel seiner Sehnsucht; dafür braucht man klotzige Gelder, und im übrigen ist alles in einigen wenigen Händen; der Außenseiter wird schnell zermalmt. Aber in der 81. Straße New-York-Ost, da könnte es auch noch der kleine Mann zu etwas bringen. Er sieht die Straße dunkel und schmal im East River verenden. Die Gäste ihrer Kneipen sind armselige Burschen, Leute, denen es schlecht geht, die Heimweh haben, die schon halb verkommen sind, Leute mit geheimem Kummer, Einwanderer, die sich noch nicht richtig verständigen können.
Mit einem Wort, lauter Menschen, denen es ganz dreckig geht Aber gerade an solchen Menschen ist etwas zu verdienen, stellt Alex fest. Die anderen, die fest im Sattel sitzen, die sind so scheußlich wach, sogar dann, wenn sie viel getrunken haben. Sie sind immer nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Ja, so unglaublich es auch scheint, gut verdienen kann man nur an Leuten, die in der Patsche sitzen. Vor Alex' Augen tauchen die Betrunkenen auf, die das Pflaster der 81. Straße besäen und zwischen denen die Polizisten friedlich daherwandeln.
Herr Fish aber hat sich während dieser Überlegungen des „schönen Alex" in Begeisterung geredet.
„Immerhin, was Sie hier alles sehen können... ! Haben Sie schon darüber nachgedacht, was für eine ungeheuere Stadt dieses New York ist? Sie können sich große Reisen ersparen, wenn Sie sie nur genau studieren. Ungarn und China, Schweden und Japan, bitte, hier sitzt alles zusammen. Die Ausgestoßenen aus allen Teilen der Welt haben sich in dieser Stadt ein Rendezvous gegeben. Sie können hier im Hotel Amerika glänzende Studien machen. Wie?"
„Nun, man tut seine Arbeit, da hat man keine Zeit zu Studien, mein Herr, und dann hat man auch seine eigenen Sorgen und kümmert sich nicht soviel um die der anderen."
Aber der „schöne Alex" beginnt doch aufzumerken. Ob er hier Studien macht? Das klingt gut. Aber es scheint, dass dieser merkwürdige Gast etwas Bestimmtes von ihm will. Man wird ja sehen.
„Sie haben hier im Hotel allein ein Dutzend Restaurants, nicht wahr?"
Der „schöne Alex" winkt zum Zeichen der Bejahung mit
seiner Serviette.
„Sie bedienen wohl auch abends gelegentlich im großen Ballsaal?"
Der „schöne Alex" beginnt aufzuhorchen. Jetzt kommt's
doch, man wird ja hören, was der gesprächige Mann will.
„Na ja, es kommt schon vor."
„Heute abend?"
„Mag schon sein, müsste mal nachsehen." Der „schöne Alex" langt nach seinem Notizbuch und überlegt. Man muss schlau sein. Dem jungen Mann da, der gar soviel spricht, geht es wahrscheinlich nicht so gut, wie er den Anschein geben möchte. Menschen, denen es gut geht, reden nicht soviel mit einem Kellner, man hat schon so seine Erfahrungen. Aber mit Menschen, denen es schlecht geht, kann man wiederum gute Geschäfte machen. Er blättert in seinem Notizbuch. „Ja, heute abend ist große Hochzeit." „Die Hochzeit Marjorie Strongs mit Edgar Sedwick?" „Mich interessieren die Namen nicht, aber es wird schon stimmen."
„So etwas aus der Nähe zu sehen, das würde mich interessieren — ich meine als dienstbarer Geist, nicht als Gast." Der „schöne Alex" ist jetzt ganz Ohr. „Hm, hm, so was lässt sich aber nur schwer durchführen... Und warum gehen Sie nicht als Gast, mein Herr? Lassen Sie sich doch eine Einladung geben. Ich muss schon sagen, ich möchte mir so ein Fest lieber als Gast ansehen, das würde mir mehr Spaß machen."
„Nun, erstens, sehen Sie, ist das auch mit einer Einladung nicht so einfach, und dann, wie ich Ihnen schon gesagt habe, möchte ich einmal ein solches gesellschaftliches Ereignis aus einer anderen Perspektive, von der anderen Seite ansehen." „Was Sie sich wohl denken, Herr? Dabei gibt es doch gar nichts zu sehen. Wenn man arbeitet, hat man keine Zeit zum Sehen und auch kein Interesse dafür. Haben Sie eine Ahnung, mein Herr, wie es bei uns zugeht, wie man rennen, wie man aufpassen muss!"
„Na, sehen Sie, deshalb will ich doch eine Ahnung von der ganzen Sache bekommen."
„Aber warum wenden Sie sich gerade an mich? Wie sollte ich Ihnen denn helfen?"
„Man hat mich zu Ihnen gewiesen, Sie sind als fixer Kerl bekannt, mein Lieber; man hat mir erzählt, dass Sie nicht abgeneigt sind, kleine Nebeneinnahmen zu erzielen, ohne Risiko, versteht sich."
„Ich möchte wohl wissen, wer Ihnen das von mir erzählt hat; da hat man Sie schön angeführt, Herr." „Also, ich könnte auf Sie nicht rechnen, meinen Sie?Ich habe natürlich auch Adressen von anderen Kellnern." „Habe ich Ihnen vielleicht ,nein' gesagt? Kann man überhaupt ,ja' oder ,nein' sagen, wenn man nicht weiß, um was es sich handelt?" „Sie sind zu klug, als dass Sie nicht erraten hätten, was ich will. Leihen Sie mir Ihre Arbeitskarte und Nummer für heute abend, das ist alles, verstehen Sie jetzt?" „Verstehen kann ich nicht, wie jemand zu so etwas Lust haben kann. Eine Hochzeit ist kein Spaß, für niemanden, mein Herr, aber für die Kellner schon ganz gewiss nicht. Sie wollen also Kellner spielen, darauf läuft wohl Ihr Vorschlag hinaus?"
„Passen Sie auf, Sie können heute einen freien Abend haben und mich zur Aushilfe schicken, — und der Verdienst gehört doch Ihnen."
„Dass ich nicht lach', mein Herr, meine Stellung soll ich aufs Spiel setzen und nicht mehr haben, als das, was Sie verdienen können? Glauben Sie denn, es ist so leicht, Kellner zu werden, dass es nicht auch eine Kunst ist, die gelernt werden muss."
„Beruhigen Sie sich, ich werde schon meine Sache gut machen, ich war schon Kellner, ich war schon alles. Sie würden schwer einen Beruf ausfindig machen, den ich nicht schon ausgeübt hätte."
„So, Sie waren früher Kellner? Vorhin erzählten Sie etwas von einer Perspektive, die Sie studieren möchten. Wenn Sie schon Kellner waren, warum wollen Sie jetzt wieder einer sein? Wenn man den Dreh kennt und nicht unbedingt Geld zum Leben braucht, hat man keine Sehnsucht, noch einmal anzufangen."
„Ich habe Ihnen schon gesagt, ich will dieses bestimmte gesellschaftliche Ereignis von der Hintertreppe aus sehen." Alex überlegt schnell. Was will eigentlich der Bursche? z6
Juwelen stehlen? Armer Mensch, der würde seine Enttäuschungen erleben. Auf jeden Gast kommt ein Detektiv und auf jeden Kellner kommen zwei. Da könnte er schon leichter Juwelen auf der Fifth Avenue klauen. Andererseits: Unannehmlichkeiten könnte ich ja doch nicht haben, wenn ich ihn auch wirklich einschmuggelte; ich wüsste schon, wie ich mich ausreden würde. Und es würde ihm schon Hören und Sehen vergehen, wenn ihn unsere „Kapitäne" hin und her kommandieren.
Er lässt seine Augen über Herrn Fish auf- und abwandern. „Mein Herr, Sie glauben,