Esther Grünig-Schöni

MarChip und die Klammer der Angst


Скачать книгу

hatte, wenn er es wollte, wusste er schon lange. Und ändern daran würde er gar nichts. Dass er manchmal zu frech war auch. Manchmal fing er sich dadurch eine ein. Na und? Es gab Wesentlicheres. Er blieb wie er war. Wem das nicht passte, sollte Bogen um ihn machen. Zu akzeptieren hatten es andere auf jeden Fall. Er passte sich nicht an. Und wenn sie motzten, er solle erwachsen werden, zuckte er die Schultern. Sollten die machen, was sie Lust hatten. Das war sowieso wieder eines dieser Allerweltsworte.

      Wie kam er auf solche Gedanken wie eben? Sie mussten nicht heiraten, um zusammen zu gehören. Das war bei ihnen noch nie ein Thema gewesen. Und wenn sie es sich wünschte? Sie hatte nie etwas in der Richtung angedeutet. Mit Andeutungen konnten Männer generell nicht viel anfangen. Bei ihm war es besser, gerade heraus zu sagen, was Sache war. Sie hatte nicht – er erinnerte sich an nichts derart – und sie wusste schließlich mit ihm um zu gehen. Er verstand seine merkwürdigen Gedankengänge nicht. Was war mit ihm los? Wünschte er es sich? Er schüttelte den Kopf. „Ich will dich nie verlieren Marie!“

      'Nie mehr' waren kräftige Worte. Es gab keine Garantien. Die Gedanken in ihm waren wohl wieder aus Unsicherheiten in ihm entstanden – geboren. Er wunderte sich. Was hatten sie nicht schon alles erlebt, seit sie sich begegnet waren. Wenn er einer Frau vertraute, dann Marie. Wenn er es sich mit jemandem vorstellen konnte, dann mit ihr. Seit er in der Detektei arbeitete, begegnete ihm mehr als zuvor: Schicksale, Gefahren, Geheimnisse, Bedrohungen. Auch wenn er unternehmungslustig war und es für ihn ideal war, so zu arbeiten; auch wenn er wild war, viel wagte, Tote um sich herum mochte er nach wie vor nicht. Es war sehr seltsam, wohin seine Gedanken schweiften. Sie waren gerade an nichts Gefährlichem dran. Zu viele Grübeleien. Eindeutig. "Konzentriere dich auf deinen Einkauf Chip", sagte er sich selbst.

      Chip sah auf, um sich erneut zu orientieren, wo er das nächste auf seiner Liste finden konnte. Gut sichtbare Schilder wiesen ihm den Weg durch das Labyrinth der Waren, die immer mal wieder umgeräumt wurden. Wozu? Die Frage konnte er sich gleich selbst beantworten. Es ging darum, dass die Kunden, auf ihrer Suche nach dem, was sie haben wollten, auf anderes stießen, das sie neugierig werden ließen. Das war Strategie.

      ***

       War da nicht etwas? Ein Laut. Ein Gefühl. Beklemmung. Enge. Er wachte langsam auf. Das Atmen fiel ihm schwer, so als läge etwas auf ihm. Sein Schädel brummte. Hatte er zu gründlich gefeiert? Er war sich zwar keiner Feier bewusst, aber vielleicht war es etwas Spontanes gewesen. Irgendwie war alles im Nebel, unklar, mehr noch, wie ausgelöscht. Er besoff sich nicht bis zur Ohnmacht. Und das letzte Mal, dass er zu viel hatte, lag weit zurück.

       Je wacher er wurde, je mehr Bewusstsein in ihn zurück drängte, desto mehr Schmerzen tauchten auf. Nicht nur sein Kopf schmerzte. Nicht sehr ermutigend unter diesen Umständen aufzuwachen. Er nahm seinen Körper wahr und je deutlicher dies geschah, je weniger gefiel es ihm. Was hatte er angestellt? Es fühlte sich an, als habe ihn jemand verprügelt. Er erinnerte sich jedoch an keinen Streit. Noch erinnerte er sich an gar nichts. Er musste eines nach dem anderen sortieren. Noch kriegte er nicht einmal die Augen auseinander. Sie schienen verklebt wie bei einer Entzündung oder so, als habe ihm jemand etwas hinein gesprüht. War es das? Nein, da war nichts.

      Die Stimme, die er nun von irgendwo her vernahm, gefiel ihm am allerwenigsten. Er versuchte ruhig Atem zu holen, während die unangenehme Stimme in seinem Kopf zu dröhnen schien. Sie war nicht laut, aber sie drang tief ein. Vor allem mochte er sie nicht. „Bist du endlich wach?“

      Bekannt war sie ihm nicht. Ob er wach war, wusste er nicht mit Sicherheit. Er fühlte sich zu seltsam – unwirklich. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Albtraum? He, wenn ja, dann bitte richtig wach werden lassen! Nein, das war wohl leider kein Traum. Er wusste keine Antwort und schwieg. Außerdem war er nicht sicher, ob er reden konnte. Sein Mund fühlte sich taub an, und da war ein pelziger Geschmack. Ihm fiel etwas ein. Hatte ihm jemand nicht eine Spritze in den Körper gerammt? Ihm war so. Die Stimme redete zufrieden. Richtig vergnügt klang sie.Und? Wie gefällt dir das?“

       Was denn bloß? Er sah doch nichts, zum Donnerwetter! Die Augen waren zu. Als hätte jemand Leim darüber gegossen. Mehr als ein Lichtschimmer drang nicht durch die Lider, durch die Wimpern. Das reichte nicht zur Beurteilung der Umgebung und der Situation.

      „Du wirst Angst kennen lernen. Große Angst. Und Demut lernen wirst du.“

       Wie bitte? Was für Ankündigungen! Erfassen konnte er das Gesagte nicht, geschweige denn verstehen. Und diese Worte passten nicht in sein persönliches Vokabular, nicht zu seiner Persönlichkeit. „Ich werde dich brechen. Sanft oder hart, je nach deinem Verhalten und der Notwendigkeit.“

       Das Plappermaul musste verrückt sein. Was für einen Schwachsinn gab der da von sich.

      „Ich werde deinen Willen unter meine Kontrolle bekommen. Es hängt von dir ab, wie lange das dauert und wie schmerzhaft es wird. Aber ich bestimme die Gangart, die Art und Weise. Alles. Es liegt in meiner Macht. Ich breche dich, bis du eine Marionette geworden bist und das tust, was ich von dir verlange.“

      Der Blödsinn war ja zum Mäuse melken. „Darauf kannst du lange warten“, dachte er und versuchte, sich zu erinnern, was das hier zu bedeuten hatte. Alles wirkte verschwommen. Sein Gesicht brannte. Da musste er aber eine Menge eingesteckt haben. Etwas war hier ober faul. Und dann noch die Stimme, die so einen hohlen Mist von sich gab. „Du kommst nicht mehr frei, bis du mein gehorsames Produkt geworden bist.“ Damit war schon einmal klar. Er musste ein Gefangener sein. Merde!Bis du dich selbst aufgegeben hast.“

       Das wurde immer krasser. Konnte der sein Maul nicht endlich halten. War da ein Knopf, mit dem der Dreck abzuschalten war? Mieses Programm das alles. Aber nein, das Programm lief munter weiter. „Bis jede Sicherheit in dir verloren ist, nur noch die Angst dich beherrscht. Keiner wird dich finden. Vergiss gleich, dass Hilfe kommt und deine Lage beendet. Das wird nicht geschehen. Füge dich in dein Schicksal und es wird leichter für dich.“ Donnerwetter nochmal! Er fügte sich keinem Schicksal und schon gar keinem Doof. Wer war er denn!

      „Wenn du dich wehrst, leidest du. Mir macht es Spaß, wenn du diese Option wählst. Ich nenne dir nur deine Möglichkeiten. Was du daraus machst, hängt von dir ab.“ Könnte der nicht einmal normal reden?

      „Dich zu töten, ist mir zu langweilig. Du bist groß, stark und bestimmt widerstandsfähig. Es macht mir mehr Freude, dich auf diese Weise zu verändern, wie ich es dir beschrieben habe. Davon habe ich etwas. Das andere geht zu schnell. Dein Tod hätte mir nicht gereicht. Ein zu kurzes Vergnügen für mich.“

      Das durfte alles nicht wahr sein. Was sollte das? Wie war es dazu gekommen? Der Kerl lachte irre. Eine unangenehme Gänsehaut überzog Chips Körper. Es fror ihn. Und wieder ein solches Lachen.Ja! Wie schön! Du spürst es. Ich sehe es. Was für ein Genuss. Du reagierst darauf. Oh ja. Du wirst leidend mein Geschöpf. Es ist gut, dass ich dich nicht wie die anderen ausgelöscht habe. Schau, sieh es positiv. Du wirst ein großes, für dich ungewohntes Erlebnis haben. Angst in ihrer ergreifendsten Form, in einer Kunstform. Ja, ein Kunstwerk.“ Er steigerte sich richtig in seine Begeisterung hinein – in seinen Eifer.

      „Und ich werde eines haben, das ich mir nur wünschen kann. Ich liebe es, ich brauche es. Die Macht mit dir tun zu können, was immer ich will und wann ich es will. Ich bestimme alles. Du nichts mehr.“

       War der völlig am Abheben? Schrecklich. Was sollte das alles? Seine Einbildung war enorm. Sollte er seine Spielchen spielen mit wem er wollte, am besten in seiner Fantasie, aber doch nicht mit ihm. Vor allem konnte der allmählich sein Gelaber einstellen und aufhören, sich auf seine Kosten zu amüsieren.

       Irgendwie konnte er sich nicht richtig bewegen, abgesehen vom eingeschränkten Sehen. Aber er war aufrecht. Wie stand er denn? Das musste die Wirkung der Injektion sein. Noch sah er weder klar, noch verstand er etwas. Es ging ihm nur alles auf den Senkel. Er wollte nach Hause und nicht hier seine Zeit vertrödeln. „Du kannst mich mal“, dachte er bei sich. Er war sich nicht sicher, ob er das