Anita Lang

Zaubertanz und weiser Funke


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Mütter mit ihren johlenden Kindern eingefunden. An einem der Tische dahinter, spielten seelenruhig zwei bärtige Männer Schach. Aus den Räumen des Kellergeschoßes drang Instrumentalmusik. Dajana kam die Treppe herauf, ihre Umhängetasche über die Schulter geworfen. Ihr langes Haar lag offen um ihre wohlgeformten Schultern. Sie war eine anmutige Person. Ihr Gesicht bezauberte durch große, ausdrucksstarke Augen und eine hohe Stirn über einer zierlichen Nase. Sie hatte eine dieser handgewebten Taschen, die man in Dritteweltläden erwerben kann. Orange und türkisfarben, mit breitem Tragegurt. In die man wahnsinnig viel hineinstopfen kann. Hinter ihr fiel scharf die Stahltür ins Schloss. Die Schatten wurden länger, die Laune der Werktätigen beschwingter, gegen Ende des Arbeitstages.

      Eine Gruppe junger Männer pflanzte sich lasziv auf und um einen der Holztische. Für gewöhnlich fanden sie sich im Park ein, um sich zu unterhalten. Miteinander zu scherzen. „Herumlungern“, sagte die ältere Generation, die es nicht gerne sah, wenn sie ihre Zeit vergeudeten. Sie leben in kleinen Wohnungen, in denen sie zumeist nur ein Bett besitzen. Deshalb verbringen sie den Großteil ihrer Stunden im Freien. So es das Wetter erlaubt. Bei Regen sieht man sie in den Hauseinfahrten, gegen Wände gelehnt. In der Hocke oder auf ihren zusammengeknüllten Klamotten sitzend. Mit einer Zigarette zwischen den Fingern. Einer von ihnen, mittelblond und hochgeschossen. Sein ganzes Auftreten schien zu sagen: „Ich wollt, ich wäre ein Prinz.“ Sein ausgeprägtes Kinn fiel ihr als Erstes auf. Und dass er seinen Kumpels imponieren wollte, die ihn Eddy nannten.

      „Ach bitte, schöne Lady“, raunte er. „Nur eine Kostprobe ihres Tanzes.“ Er faltete seine Hände und sah sie aus bittenden Augen an.

      „Leider“, meinte Dajana achselzuckend und wandte sich zum Gehen. „Wir haben keine Musik.“

      „Ach, bitte. Tun sie uns den Gefallen. Wir sind die Music Brothers.“ Kaum hatte er dies gesagt, begann die Gruppe auf den Tisch zu klopfen. Einer trommelte mit seinen Fingerkuppen auf den Bänken. Einer anderer schnipste mit den Fingern und pfiff melodisch. Unverkennbar, ein orientalischer Gig. Eddy und ein anderer seiner Freunde klatschten im Takt. Sie ließ sich erweichen. Zaudernd stellte sie ihre Tasche an den Wegesrand und ging in Position. Du musst immer lächeln, locker bleiben, deine Blicke ins Publikum wandern lassen. Jeder soll glauben, du tanzt nur für ihn. In deinem Kopf zählt nur die Musik. Sie wandert, strömt leise in deine Gesten. Deine Sohlen fühlst du gelegentlich, als würden sie abheben. In weichen Achterschleifen lässt die Bauchtänzerin ihre biegsamen Hüften kreisen. Ihre Arme schlängeln sich um die Konturen ihres Körpers, sinnlich und verführerisch. Einladend, wie er später ständig betonte. Bei der Frage nach einer Zugabe winkte sie ab. Höflich, doch entschieden.

      „Ich muss jetzt wirklich gehen“, sagte sie entschlossen, und zwang sich zu einem Lächeln.

      Dem jungen Mann, der ihr nachlief, misstrauten die meisten Menschen. Er schien etwas verrückt zu sein. An seinem Blick erkannte man es. Es war nur ein Aufblitzen. In seltenen Momenten, sporadisch zu sehen.

      „Ich kann sie berühmt machen“, versprach er. „Edward Krenz, vielleicht haben sie schon von mir gehört.“ Als wäre er einer dieser Agenten auf Talentsuche. In Wahrheit jedoch war er Gelegenheitsarbeiter. Abladen eines LKWs, Hilfsarbeiten an einer Baustelle. Dies und das, wie befristete Jobs so gelagert sind. Ab diesem Augenblick wurde sie ihn nicht mehr los. Er klebte an ihr, wie eine dieser ausgemergelten Strauchfrüchte. „Wie heißt die noch?“

      „Du meinst eine Klette.“

      „Genau. Danke.“

      Er war ein ausnehmend schöner Mann. Sein ebenmäßiges Gesicht, seine gerade Nase und sein wohlgeformter Mund erinnerten an eine Büste aus dem antiken Griechenland. Vor allem das Blau seiner Augen, wie die dunkle Tiefe eines Gebirgssees. Man konnte sich eines rätselhaften Staunens nicht erwehren. Seine lässige Haltung erschien mutig und tatkräftig zugleich. Er konnte sich geschmeidig bewegen und führte dies exemplarisch vor. Er war imstande, aus dem Stillstand auf eine Parkbank zu springen, ungestüm wie ein Puma. Viele hielten ihn für äußerst lebenstüchtig, dem ersten Anschein nach.

      Seit dem tragischen Verlust ihrer Eltern, träumte Dajana von einem Menschen, bei dem sie sich erneut geborgen fühlen könne. Von einem Mann, der sie liebte, und sie auf Händen trug. Ihre Liebe zu ihm war hell und fürsorglich. Hin und her gerissen von seinem Charme, zog sie mit ihm. Er hatte eine Altbauwohnung in der Ungargasse aufgetan, die für ihn erschwinglich war. Sie brachte einige Möbelstücke aus ihrer alten Wohnung mit. Nico und Tom erklärten beflissen, beim Umzug mitzuhelfen. Eddy dirigierte sie lautstark, als sie die Teile des Einbauschranks, und anschließend das Doppelbett, die Stiegen hochschleppten. Eddy strahlte. Endlich war er unabhängig, der Herr im Haus. Das junge Paar fand sich spielerisch in die neue Umgebung ein. Das Glück des Neuanfangs setzte Berge von Energie frei. Beide waren voll der Hoffnung, einer wunderbaren Zukunft entgegenzugehen. Zimmer, Küche, Fensterscheiben aus gerilltem Glas trennten die Wohnung zum Gang ab. Von außen konnten Vorbeigehende die Konturen der Bewohner sehen. Dajana über den Herd gebeugt, im Kochtopf rührend. Eddy auf der Küchenbank, die Ellenbogen auf die kleine Tischplatte gestützt. Linsen mit Speck und Knödeln waren sein Leibgericht.

      „Viel Knoblauch“, darauf bestand er. Es sollte nicht das Einzige sein, worauf er bestand.

      Einige Male am Tag klingelte ihr Telefon im Büro und er war dran. Seine geistlosen Telefonanrufe langweilten sie bald. Er wollte minutiös wissen, wo sie war, wann sie ankäme. Wie lange sie für den Heimweg brauche. Wenn sie sich um eine Minute verspätete, löcherte er sie mit durchdringenden Fragen, wo sie denn gewesen wäre.

      „Und was bitte hast du dir angesehen“, sagte er dann. „Was genau war so interessant?“

      „Geschirr“, sagte sie. „Wir brauchen neue Suppentassen.“

      „Und die musstest du dir alleine ansehen. Ohne mich?“

      „Entschuldige.“ Meistens endete dies in einer Entschuldigung ihrerseits. Sein Gehaben befremdete sie sehr. Ihre Eltern hätten es als aufdringlich und penetrant angesehen. Allerdings schmeichelte es ihrem Selbst.

      „Ich kann ohne dich nicht leben“, beteuerte er oft. Das musste doch Liebe sein, sagte sie sich. So lange, bis sie daran glaubte. Allem voran lobte er ihre Tanzkünste, ihr angestammtes Talent. Das gab ihr das Gefühl, einzigartig zu sein. Sie glaubte seinen Liebesschwüren. Dass er alles über sie wissen wolle, weil sie ihm doch so viel bedeute.

      Erheitert erzählte Eddy davon, wie er seine Geschwister gegeneinander ausspielte. Er prahlte regelrecht damit. Ein breites Grinsen, wie ein verrutschter Mond, ging auf. Begleitet von einem Glucksen, während der Szenen, die er für lustig hielt. In seiner angestammten Familie hatte er die Machtverhältnisse zu seinen Gunsten verändert. Er nannte fünf Geschwister sein Eigen, die er allesamt unter seiner Fuchtel hielt. Nico und Tom waren älter, Adrian, Lukas und Gerhard jünger als er. Sein bevorzugtes Druckmittel waren Drohungen. Er hatte keine Scheu davor, die perfidesten Lügen zu erfinden. Die er anschließend dem Vater vertrauenerweckend vor die Füße legte. Er verstand es vortrefflich, sich als Opfer darzustellen. Seine älteren Brüder als unfair zu bezeichnen, die ihm Gewalt antäten. Längst hatte er sich einen Plan ausgedacht, wie er seine Sache glaubwürdig aussehen lassen könnte. Einmal schlug er sich den Kopf an einem Tisch blutig, um dann unbeirrt zu behaupten, Nico und Tom hätten ihn mit Faustschlägen traktiert. Eddy achtete darauf, genug Indizien zu legen, die jedem ins Auge stechen mussten. So auch seine Verletzungen auf Nase, Wangen und Stirn, die von den Gegenständen auf der Tischplatte herrührten. Die blutigen Tücher, mit welchen er alles sorgfältig abgewischt hatte, taten das Übrige, um seine Version zu untermauern. Ihr Vater zog wutentbrannt ins Feld und wendete „das Unangenehme“ an, wie sie es nannten. Worin das bestand, darüber verlor Eddy kein Sterbenswörtchen. Nicos Beteuerungen, dass das alles nicht stimme, halfen ihnen nicht. Zu schlimm waren die Verletzungen des Bruders, als dass ihr Vater an der Geschichte gezweifelt hätte. Mit den Jüngeren, Adrian, Lukas und Gerhard, begann er, ein ungleiches, böses Spiel zu inszenieren. Waren sie doch von Beginn ihres Lebens an seinen Launen ausgeliefert. Eddy war hellhörig darauf bedacht, keinem Außenstehenden unangenehm aufzufallen.

      „Vielleicht kennt ihr solche Szenen aus eigener Erfahrung.