Jean Paul

Siebenkäs


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Tränen oft von gepeinigten und vom Staat und vom Liebhaber gemordeten KindermörderinnenEr hatte gerade eine angebliche Kindermörderin zu verteidigen. auf diese ihre letzte und kürzeste Folterbank, auf diesen Blutacker gefallen waren – und als er von dieser letzten Nebelbank des Lebens über die weite Erde blickte, um deren Grenzen und über deren Bächen die Dünste der Nacht aufdampften: so nahm er weinend seines Freundes Hand und blickte in den freien gestirnten Himmel und sagte: »Dort drüben müssen sich doch die Nebel unserer Tage einmal in Gestirne zerteilen, wie die Nebel in der Milchstraße in Sonnen zerfallen. Heinrich! glaubst du noch nicht an die Unsterblichkeit der Seele?« – »Freund!« antwortete Leibgeber, »noch will es nicht gehen. Verdient Blasius doch kaum, einmal zu leben, geschweige zwei- und mehrmals – Freilich will mirs zuweilen bedünken, als müsse ein Stück von der andern Welt in diese mit hereingemalt werden, damit sie ganz und gerundet werde, wie ich oft an den Seiten der Gemälde fremde Dinge zur Hälfte angemalt gesehen, damit die Hauptvorstellung vom Rahmen abgelöset und ein Ganzes würde. – In dieser Minute aber kommen mir die Menschen wie die Krebse vor, die die Pfaffen sonst mit Windlichtern besetzet auf den Kirchhöfen kriechen ließen und sie für verstorbne Seelen ausgaben; so kriechen wir mit unsern Windlichtern von Seelen mit den Larven Unsterblicher über die Gräber hinüber. – Sie löschen vielleicht einmal aus.« – Sein Freund fiel an sein Herz und sagte heftig: »Wir verlöschen nicht – leb tausendmal wohl – wir sehen uns immerfort wieder – wir löschen bei meiner Seele nicht aus – – leb wohl, leb wohl!«

      Und sie schieden. Heinrich ging langsam und mit hängenden Armen durch die Fußpfade zwischen den Stoppeln und hob keine Hand ans überrinnende Auge, um kein Zeichen seiner Schmerzen zu geben. Den verwaiseten Geliebten aber überfiel ein großer Schmerz, weil Menschen, die selten in Tränen ausbrechen, sie desto unmäßiger vergießen; – und so kam er zurück und legte das erschöpfte aufgelöste Herz an die sorglose Brust seiner Gattin zur Ruhe, welche nicht einmal ein Traum bewegte; aber noch lange bis in den Vorhof der Träume hinein begleiteten ihn die Bilder von Lenettens künftigen Tagen und von des Freundes Nachtgange unter den Sternen, zu welchen dieser draußen einsam aufblickte, ohne die Hoffnung, ihnen jemals näher zu kommen; und grade über den Freund weinte er unter nicht mehr als zwei Augen am längsten... –

      O ihr beiden Freunde, du, der draußen, und du, der zu Hause! – Aber warum soll ich denn immerfort das alte aufquellende Gefühl zurückdrücken, das ihr in mir so stark wieder aufgeweckt und mit welchem mich sonst in meinen Jugendjahren die Freundschaft zwischen einem Swift und einem Arbuthnot und einem Pope in ihren Briefen gleichsam verstohlen, aber so stark durchdrungen und erquickt? Und werden nicht auch viele andere sich gleich mir erwärmt und ermannt haben an dem rührenden ruhigen Lieben dieser Männerherzen unter einander, welche, obschon kalt und schneidend und scharf gegen die Außenwelt, in ihrer gemeinschaftlichen Innenwelt zärtlich und feurig für einander arbeiteten und schlugen, gleichsam hohe Palmenbäume, langgestachelt gegen das gemeine Unten, aber im Gipfel voll köstlichen Palmenwein der kräftigsten Freundschaft? –

      Und wenn dies alles so ist: so darf ich wohl auf der tiefern Stufe unserer beiden Freunde etwas Ähnliches antreffen, das auch wir an ihnen nachlieben. Fragt nicht sehr, warum beide sich mit einander verbrüderten; die Liebe braucht gar keine Erklärung, nur der Haß. Aller Ursprung des Besten, vom All an bis zu Gott hinauf, bedeckt sich mit einer Nacht voll zu ferner Sterne. Beide sahen in der grünglänzenden Saftzeit der akademischen Jugend zuerst einander durch die Brust ins Herz, aber mit den ungleichnamigen Polen zogen sie sich an. Siebenkäs erfreuete sich vorzüglich an Leibgebers harter Kräftigkeit, ja sogar Zornfähigkeit, an dessen Flug und Lachen über jeden vornehmen, jeden empfindsamen, ja jeden gelehrten Schein; denn er legte ein Ei seiner Tat oder seines tiefen Worts, wie der Kuntur das seinige, ohne Nest auf den nackten Felsen und lebte am liebsten ungenannt, daher er immer einen andern Namen annahm. Der Armenadvokat pflegte ihm deshalb, um sein Ärgern darüber zu genießen, mehr als über zehnmal zwei Anekdoten zu erzählen. Die erste war, daß ein deutscher Professor in Dorpat in einer Lobrede auf den damaligen Großfürsten Alexander plötzlich sich selber eingehemmt und still geschwiegen und lange auf die Büste desselben hingeblickt und endlich gesprochen: »Das verstummende Herz hat gesprochen.« Die zweite war, daß Klopstock die Prachtausgabe seines Messias an die Schulpforte abgeschickt mit dem Wunsche, der würdigste SchulpförtnerDeutscher Merkur von 1809. möge auf das Grab seines Lehrers Stübel Lenzblumen streuen, dabei des Gebers Namen Klopstock leise nennen; – worauf Siebenkäs, wenn Leibgeber etwas auffuhr, noch damit fortfuhr, daß der Sänger vier neue Pförtner, jeden zu drei Vorlesungen aus seiner Messiade, aufgerufen und jedem dafür eine goldene Medaille zugesagt, die ein Freund hergebe; und jetzo endlich harrte er auf Leibgebers Sprudeln und Stampfen über einen, der (leibgeberisch zu sprechen) sich selber als sein eigenes Reliquiarium voll heiliger Knochen und Glieder anbetet.

      Leibgeber hingegen – fast den Morlacken ähnlich, welche nach Towinson und Fortis auf der einen Seite für Rache und Heiligung einen Namen (osveta) haben und auf der andern sich am Altare zu Freunden trauen und einsegnen lassen – hatte seine vorzügliche Freude und Liebe an der Diamantnadel, welche in seinem satirischen Milchbruder Poesie und Milde zugleich mit einem welttrotzenden Stoizismus ineinandersteckte. Und endlich erlebten beide täglich aneinander die Freude, daß jeder den andern ungewöhnlich verstand, wenn er Scherz, ja sogar wenn er Ernst machte. Aber solche Freunde findet nicht jeder Freund.

      Regierung des H. R. R. freien Marktfleckens Kuhschnappel

      Ich hab' es schon in zwei Kapiteln zu sagen vergessen, daß der freie Reichsmarktflecken Kuhschnappel, wovon ein Namenvetter im erzgebürgischen Kreise liegen sollNach neuen Berichten ists mehr ein Reim als ein Vetter, das Dorf Potschappel bei Dresden. , in Schwaben auf der Städtebank von 31 Städten als de 32ste angesessen ist. Schwaben kann sich überhaupt für eine Bruttafel oder ein Treibhaus der Reichsstädte halten, dieser deutschen Niederlassungen und Absteigequartiere der Göttin der Freiheit, welche Leute von Geburt als ihre Hausgöttin anbeten und die nach der Gnadenwahl Sünder selig macht. Ich muß hier endlich den allgemeinen Wunsch eines guten Abrisses von der kuhschnappelischen Regierungsform erhören; aber wenige Leser werden wie Nicolai, Schlözer und ähnliche es mir glauben, mit welcher Not und mit welchem Aufwande von Briefporto ich hinter bessere Nachrichten von Kuhschnappel gelangte, als öffentlich herumlaufen, da Reichs- wie Schweizerstädte ihre Honig-Wachsgewirke ja verkleben und verbauen, als wären ihre Verfassungen gestohlne, noch mit den rechtmäßigen Namen gestempelte Silbergeschirre, oder als wären die Städtchen und Ländchen Festungen – (was sie doch nur mehr gegen die Bürger sind als gegen die Feinde) –, von welchen kein Abriß den Fremden zuzulassen.

      Die Verfassung unseres merkwürdigen Reichsplatzes Kuhschnappel scheint ursprünglich der Vorriß gewesen zu sein, welchen Bern, das am Ende nahe genug liegt, in der seinigen kopierte, aber mit dem Storchschnabel ins Größere. Denn Bern hat seinen Großen Rat wie Kuhschnappel, dort macht er so gut Krieg und Frieden und Todesurteile wie in Kuhschnappel und besteht aus Schultheißen, Seckelmeistern, Vennern, Heimlichern, Ratherren, nur aus mehren als in Kuhschnappel; ferner hat Bern seinen Kleinen Rat gleichfalls, welcher Präsidenten, Gesandten und Gnadengelder hergibt und dem Großen nachwächset – die zwei Appellationkammern, die Holz-, Jäger-, Reformationkammern, die Fleischtax- und andern Kommissionen sind offenbar (denn auf die Ähnlichkeit der Namen ist genug zu bauen) nur gröbere Fraktur-Auszeichnungen der kuhschnappelischen Grundstriche.

      Die Wahrheit aber zu sagen, hab' ich diese Vergleichung zwischen beiden Freistaaten nur gemacht, um Schweizern, besonders Bernern, ohne viele Worte faßlich zu werden, vielleicht auch gefällig. Denn in der Tat erfreut sich Kuhschnappel einer viel vollkommnern und mehr aristokratischen Verfassung als Bern, die noch in Ulm und Nürnberg teilweise zu finden wäre, wenn beide nicht während der Revolution-Witterung mehr zurück als vorwärts gekommen wären. Vor kurzem waren Nürnberg und Ulm so glücklich, wie Kuhschnappel noch ist, daß sie nicht von gemeinen Handwerkern, sondern bloß von gutem Adel regieret wurden, ohne daß ein gemeiner Bürger sich in Person oder durch StellvertreterDenn die wenigen sogenannten Ratfreunde (aus dem Bürgerstande), die in Nürnberg und Kuhschnappel unter den Patriziern sitzen, haben zwar ihren Sitz, aber keine andere Stimme als eine fremde; und der übrigen ruhigen