Selma Lagerlöf

Im heiligen Lande


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bedeckt. Er wunderte sich, über alle die Kohlblätter und Fruchtschalen und all den Kehricht, der überall auf der Straße umherlag.

      »Ich kann wirklich nicht begreifen, wie Halvor auf den Gedanken kommt, mir diese elenden, armseligen Straßen zu zeigen«, murmelte er vor sich hin.

      Die Männer trugen Birger jetzt schnell durch die Stadt; sie waren schon mehrmals dort gewesen, so daß sie dem Kranken von den bemerkenswerten Orten erzählen konnten, an denen sie vorüber kamen.

      »Da siehst du das Haus des reichen Mannes«, sagte Halvor, und zeigte auf ein Gebäude, das Birger ganz baufällig erschien.

      Sie bogen jetzt ab und gelangten in eine Straße, die Birger so dunkel erschien, als sei sie nie von einem Sonnenstrahl erhellt worden. Er lag da und starrte die Halbbögen an, die sich über die Straße hinweg von einem Haus zum andern zogen. »Das mag wohl nötig sein,« dachte er, »wenn diese elenden Hütten nicht ordentlich gestützt werden, würden sie bald einstürzen.«

      »Dies ist Christi Leidensweg«, sagte Halvor zu Birger. »Hier ist Jesus gegangen und hat sein Kreuz getragen.«

      Birger lag stumm und bleich da. Das Blut brauste nicht mehr durch die Adern, wie früh am Tage; es war, als stünde es ganz still. Er war kalt wie Eis.

      Überall, wohin er kam, sah er nichts weiter als baufällige Mauern und hin und wieder ein niedriges Tor. Fenster sah er selten, und wenn da eins war, waren die Fensterscheiben alle zerbrochen, und es waren Lumpen in die Löcher hineingestopft.

      Halvor machte Halt mit der Bahre. »Hier stand Pilatus' Palast,« sagte er, »hier haben sie Jesus dem Volke vorgeführt und zu ihm gesagt: .Sehet, welch ein Mensch!«'

      Birger Larsson winkte Halvor zu sich heran und ergriff feierlich seine Hand. »Jetzt sollst du mir eine Frage aufrichtig beantworten, weil du mit mir verwandt bist«, sagte er. »Glaubst du, daß das, was du mir gezeigt hast, das rechte Jerusalem ist?«

      »Ja, wahrlich, es ist das rechte Jerusalem«, antwortete Halvor.

      »Ich bin krank, und ich kann morgen am Tage tot sein«, sagte Birger. »Da kannst du doch einsehen, daß du mich nicht belügen darfst.«

      »Niemand denkt daran, dich zu belügen«, sagte Halvor.

      Birger hatte so sicher gehofft, daß er Halvor dazu bringen würde, ihm die Wahrheit zu sagen. Und Tränen

       traten ihm in die Augen, wenn er daran dachte, daß Halvor und die anderen sich so gegen ihn benehmen konnten.

      Plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. »Sie tun es nur, um mich desto mehr zu erfreuen, wenn ich durch die hohe Pforte zu der Stadt der Ehre und Herrlichkeit hineingeführt werde«, dachte er. »Jetzt lasse ich sie tun, was sie wollen. Sie meinen es sicher gut mit mir. Wir Hellgumianer haben ja gelobt, gegeneinander zu handeln als seien wir Brüder.«

      Die Männer trugen ihn weiter durch die düsteren Straßen. Über einige davon waren große Teppiche ausgespannt, die voller Risse und Löcher waren. Wenn man unter diese Teppiche kam, konnte man es kaum aushalten vor Dunkelheit und Gestank und erstickender Hitze.

      Das nächstemal machte die Bahre Halt auf dem Vorhof eines großen, grauen Gebäudes. Der offene Platz war von Bettlern und armen Krämern angefüllt, die Rosenkränze, kleine Bilder und dergleichen verkauften.

      »Hier siehst du nun die Kirche, die über Christi Grab und Golgatha erbaut ist«, sagte Halvor.

      Birger Larsson sah mit seinem matten Blick zu dem Gebäude empor. Es hatte freilich große Tore und breite Fenster, und ansehnlich hoch war es auch. Nie aber hatte Birger so eine Kirche zwischen andern Häusern eingeklemmt gesehen. Und er sah weder einen Chor noch eine Vorhalle. Niemand sollte ihm einbilden, daß dies ein Haus Gottes war. Und er konnte auch nicht glauben, daß so viele Kaufleute und Krämer in dem Vorhofe sein würden, wenn sich hier wirklich Christi Grab befände. Er wußte ja allerdings, wer die Taubenhändler aus dem Tempel getrieben und die Tische der Wechsler umgeworfen hatte.

      »Ich sehe es, ich sehe es«, sagte Birger und nickte Halvor zu. Im stillen aber dachte er: »Was sie mir jetzt wohl weismachen werden?«

      »Ich weiß nicht, ob du heute noch mehr vertragen kannst?« fragte Halvor.

      »Ja, ich kann es wohl aushalten,« erwiderte der Kranke, »wenn ihr es nur könnt.«

      Da hoben die Männer die Bahre wieder auf und wanderten weiter. Sie gelangten nun in den südlichen Teil der Stadt.

      Die Straßen waren von derselben Beschaffenheit wie vorhin, aber jetzt waren sie mit Menschen angefüllt. Halvor hielt die Bahre auf einer Querstraße an und zeigte Birger die dunkelfarbigen Beduinen, die mit dem Gewehr auf der Schulter und dem Dolch im Gürtel umhergingen. Er machte ihn aufmerksam auf die halbnackten Wasserträger, die Wasserschläuche aus Schweinsleder auf ihrem Rücken trugen. Er bat ihn, die russischen Priester anzusehen, die das Haar in einem Knoten im Nacken aufgesteckt trugen, wie Frauen, und die mohammedanischen Weiber, die wie wandernde Gespenster aussahen, wenn sie ganz in Weiß gehüllt und mit einem schwarzen Stück Zeug vor dem Gesicht daherkamen.

      Birger ward immermehr davon überzeugt, daß seine Freunde irgendeinen wunderlichen Scherz mit ihm vorhatten. Denn diese Leute sahen wirklich nicht aus, wie die Palmenträger des Friedens, die in den Straßen des richtigen Jerusalems wandern sollen.

      Aber als Birger in das Menschengewimmel hineinkam, ergriff ihn das Fieber von neuem. Halvor und die andern, die die Bahre trugen, sahen, daß er immer kränker wurde. Seine Hände tasteten unruhig auf der Decke herum, die über ihn ausgebreitet war, und große Schweißtropfen perlten ihm von der Stirn.

      Sobald sie aber davon sprachen, heimzukehren, fuhr er auf und sagte, es würde sein Tod sein, wenn sie ihn nicht soweit trügen, daß er die Stadt Gottes sehen könne.

       Mit solchen Worten trieb er sie an, bis er auf den Berg Zion hinaufgelangt war. Als er das Zionstor erblickte, rief er aus, er wolle dadurch hinausgetragen werden! Er setzte sich aufrecht auf die Bahre, in der sicheren Hoffnung, daß er jenseits der Mauer die herrliche Gottesstadt finden würde, nach der er sich sehnte.

      Aber jenseits des Tores sah er nichts weiter, als ein versengtes, unfruchtbares Feld, das mit Steinen, Mauerbrocken und Kehrichthaufen bedeckt war.

      Dicht neben dem Tor kauerten ein paar arme, elende Menschen. Sie schleppten sich an die Bahre heran und streckten ihre Hände, deren Finger abgefault waren, nach dem Kranken aus.

      Sie riefen mit Stimmen, die dem Knurren eines Hundes glichen, ihre Gesichter waren halb zerfressen, der eine hatte keine Nase, der andere keine Wangen.

      Birger schrie laut vor Entsetzen. Schwach, wie er war, fing er vor Angst an zu weinen und jammerte, daß sie ihn in die Hölle hineingetragen hätten.

      »Das sind ja nur Aussätzige«, sagte Halvor. »Du weißt ja doch, Birger, daß es hier zu Lande Aussätzige gibt.«

      Sie beeilten sich jedoch, ihn weiter auf den Hügel hinaufzutragen, damit ihn der Anblick der Ärmsten am Tore nicht weiter quälen sollte.

      Dann setzte Halvor die Bahre nieder, trat an den Kranken heran und hob seinen Kopf vom Kissen auf. »Jetzt mußt du versuchen, aufzustehen, Birger«, sagte er. »Hier kannst du bis an das Rote Meer und den Berg Moab hinabsehen.«

      Noch einmal schlug Birger seine müden Augen auf. Er sah über die einsame, wilde Berggegend östlich von Jerusalem hinaus. Weit, weit draußen in der Ferne schimmerte ein Wasserspiegel, und jenseits davon lagen Berge, die im Himmelblau, das mit goldenen Rändern verbrämt war, erstrahlten. Das war so schön, so leicht, durchsichtig und strahlend, daß man glauben mußte, daß dieser Anblick nicht der Erde angehöre.

      Birger richtete sich in Verzückung von der Bahre auf, er wollte dem fernen Bilde entgegeneilen. Er schwankte ein paar Schritte vorwärts – dann brach er ohnmächtig zusammen.

      Die Bauern glaubten anfänglich, daß Birger tot sei. Aber das Leben kehrte zurück, und er lebte noch zwei Tage. Aber bis zu seiner Todesstunde lag er da und phantasierte von dem wahren Jerusalem. Er jammerte darüber,