dabei um die Grundlinien des ersten Dreiecks einer Triangulationsarbeit. Hierauf wurden beide Tafeln am nämlichen Tage inmitten des Sitzungssaales der Gesellschaft aufgestellt; die beiden Wettbewerber versahen sich Jeder mit einer sehr feinspitzigen Nadel und gingen wieder gleichzeitig auf die, Jedem durch das Loos zugefallene Tafel zu. Derjenige der beiden Rivalen aber, welcher seine Nadel am nächsten dem Mittelpunkte der Linie einstechen würde, sollte damit zum Vorsitzenden des Weldon-Institutes gewählt sein.
Es versteht sich von selbst, daß hierbei jedes Hilfsmittel, jedes Umhertappen verboten und nur die Sicherheit des Blicks entscheidend war. Es galt, nach volksthümlichem Ausdruck, den Zirkel im Auge zu haben.
Onkel Prudent stach seine Nadel ein und zu gleicher Zeit Phil Evans. Darauf wurde nachgemessen, welcher der beiden Konkurrenten sich dem Mittelpunkte am meisten genähert hatte.
Welches Wunder! Die beiden Männer hatten so vortreffliches Augenmaß entwickelt, daß die Messungen keinen schätzenswerthen Unterschied ergaben. War von ihnen auch nicht genau der mathematische Mittelpunkt getroffen worden, so erwies sich der Raum zwischen diesem und den beiden Nadeln kaum merkbar und schien bei beiden obendrein noch gleich groß zu sein.
Die Versammlung befand sich nun in neuer Verlegenheit.
Zum Glück bestand eines der Mitglieder, Truk Milnor, darauf, die Messungen mit Hilfe eines mit Perreaux' mikrometischer Maschine getheilten Lineals noch einmal vorzunehmen, welche die Möglichkeit gewährt noch ein Fünfzehnhundertstel eines Millimeters abzulesen. Auf dem Lineal waren in der That fünfzehnhundert Abtheilungen auf einem solchen kleinen Raum mittelst Diamant eingeritzt, und bei Abmessung der Entfernung der Stiche von den betreffenden Mittelpunkten erhielt man folgendes Resultat:
Onkel Prudent hatte sich dem Mittelpunkt auf weniger als sechs fünfzehnhundertstel Millimeter genähert, Phil Evans auf nahezu neun fünfzehnhundertstel.
Daher kam es, daß Phil Evans nur Schriftführer des Weldon-Institutes wurde, während Onkel Prudent die Würde des Präsidenten desselben erhielt.
Einer Entfernung von drei fünfzehnhundertstel, mehr hatte es nicht bedurft, um Phil Evans mit Haß gegen Onkel Prudent zu erfüllen, mit einem Haß, der, wenn er ihn auch in sich verschloß, doch nicht minder grimmig war.
Jener Zeit, und zwar seit dem letzten Viertel dieses neunzehnten Jahrhunderts, hatte die Frage der lenkbaren Ballons immerhin schon einige Fortschritte zu verzeichnen, die mit Triebschraube ausgerüsteten Gondeln, welche Henry Giffard 1852 an seinem verlängerten Ballon anbrachte, ferner Dupuy de Lôme, 1872, die Gebrüder Tissandier 1883 und die Capitäne Krebs und Renard im Jahre 1884 hatten mindestens einige Ergebnisse erzielt, denen man Rechnung tragen mußte.
Doch wenn diese Apparate in einem schwereren Medium als sie selbst, unter dem Drucke einer Schraube manövrirend, eine schräge Richtung gegen den Wind einhielten, sogar gegen einen widrigen Luftzug aufkamen, um nach ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren, also wirklich gelenkt worden waren, so konnte das doch nur unter ganz besonders günstigen Umständen erreicht werden. In großen, geschlossenen ausgedehnten Hallen allerdings! In recht ruhiger Atmosphäre – das ging auch noch recht gut. Bei einem leichten Winde von fünf bis sechs Meter in der Secunde war es vielleicht eben noch zu erzwingen – Alles in Allem hatte man eigentlich praktisch verwendbare Resultate aber noch nicht erzielt. Gegen einen Windmühlenwind von acht Metern in der Secunde würden jene Apparate nahezu stationär geblieben sein; vor einer frischen Brise von zehn Metern in der Secunde hätten sie in Gefahr geschwebt, zerrissen zu werden; und bei einer jener Cyclonen, welche hundert Meter in der Secunde überschreiten, würde man von ihnen kein Stückchen wieder gefunden haben.
Selbst nach den scheinbar glänzend gelungenen Versuchen der Capitäne Krebs und Renard dürfte als bewiesen angesehen werden, daß die Aerostaten, wenn sie an Bewegungsfähigkeit auch ein wenig gewonnen hatten, mit dieser doch gerade nur gegen eine schwache Brise aufzukommen vermochten. Es war also nach wie vor als unmöglich zu betrachten, diese Art der Fortbewegung durch die Luft praktisch zu verwenden.
Während man sich aber so eifrig mit dem Problem der Lenkbarkeit der Aerostaten, das heißt mit den Mitteln beschäftigte, diesen eine eigene Geschwindigkeit zu verleihen, hatte die Frage der Motoren unzweifelhaft weit schnellere Fortschritte gemacht. An Stelle der Dampfmaschinen und der Verwendung der bloßen Muskelkraft waren allmählich die elektrischen Motore getreten. Die Batterien mit doppeltchromsaurem Natron, deren Elemente auf hohe Spannung angeordnet waren, wie sie die Gebrüder Tissandier benützten, erzielten eine Schnelligkeit von etwa vier Metern in der Secunde. Die zwölf Pferdekraft entwickelnden dynamo-elektrischen Maschinen der Capitäne Krebs und Renard gestatteten, eine Geschwindigkeit von im Mittel sechs Meter in der Secunde zu erreichen.
Bei ihren Versuchen waren Mechaniker und Elektriker bestrebt gewesen, sich dem frommen Wunsche zu nähern, eine »Dampfpferdekraft in einem Taschenuhrgehäuse« zu erzeugen. Die Effecte der Säule, deren Zusammensetzung die Capitäne Krebs und Renard geheim gehalten hatten, wurden ebenfalls bald übertroffen, und nach ihnen fanden die Aeronauten Gelegenheit, Motore zu verwenden, deren Leichtigkeit im gleichen Verhältniß mit ihrer Kraftwirkung wuchs.
Die Anhänger der Möglichkeit einer Lenkbarkeit der Ballons hatten also gewiß Ursache, ihren Muth aufrecht zu erhalten, und doch, wie viele klare Köpfe haben es verworfen, an die Benützung solcher zu glauben. In der That, wenn der Aerostat einen Angriffspunkt der ihm innewohnenden Kraft in der Luft findet, so ist er doch mit seiner großen Masse in diese eingetaucht. Und wie könnte derselbe, da er wieder den Strömungen der Atmosphäre eine so breite Angriffsfläche bietet, jemals, und wenn sein Triebwerk noch so mächtig wäre, direct gegen einen widrigen Wind aufkommen?
Diese Frage lag noch immer vor, man hoffte dieselbe jedoch durch Anwendung sehr großer Apparate zu lösen.
Es ergab sich übrigens, daß bei diesem Wettstreite der Erfinder in der Herstellung eines sehr kräftigen und dennoch leichten Motors die Amerikaner sich dem gewünschten Ziele am meisten genähert hatten. Ein auf der Anwendung einer neuen Säule beruhender dynamo-elektrischer Apparat, dessen Construction vorläufig noch Geheimniß blieb, war seinem Erfinder, einem bisher unbekannten Chemiker in Boston, abgekauft worden. Mit größter Sorgfalt durchgeführte Berechnungen und mit äußerster Genauigkeit entworfene Diagramme ergaben, daß dieser Apparat, wenn er auf eine Schraube von angepaßter Größe wirkte, eine Fortbewegung von achtzehn bis zwanzig Metern in der Secunde gewährleisten mußte.
Wahrlich, das wäre großartig gewesen!
»Und das Ding ist nicht theuer!« hatte Onkel Prudent hinzu gesetzt, als er dem Erfinder gegen regelrecht ausgefüllte Quittung das letzte Päckchen von hunderttausend Papierdollars einhändigte, mit dem man ihm seine Erfindung bezahlte.
Unverzüglich ging das Weldon-Institut an's Werk. Handelt es sich um ein Versuchsunternehmen, das irgend welchen praktischen Nutzen verspricht, so wird das Geld in amerikanischen Taschen stets leicht locker. Die nöthigen Mittel strömten zusammen, so daß selbst die Gründung einer Actiengesellschaft umgangen werden konnte. Dreihunderttausend Dollars (also 600.000 fl. = 11/5 Millionen Mark) füllten gleich nach dem ersten Aufruf die Cassen des Clubs. Die Arbeiten begannen unter Leitung des hervorragendsten Luftschiffers der Vereinigten Staaten, Harry W. Tinder's, der sich unter tausend Anderen vorzüglich durch drei kühne Fahrten berühmt gemacht hat: die eine, bei der er sich bis 12000 Meter erhob, d. h. höher aufstieg, als Gay-Lussac, Coxwell, Sivel, Crocé-Spinelli, Tissandier, Glaisher; die zweite, während der er ganz Amerika von New-York bis San Francisco überflog und um mehrere hundert Lieues die längste Reise Nadar's, Godard's und vieler Anderen hinter sich ließ, ohne John Wise zu rechnen, der von St. Louis bis nach der Grafschaft Jefferson elfhundertfünfzig Meilen zurückgelegt hatte; die dritte endlich, welche mit einem furchtbaren Sturze aus der Höhe von fünfzehnhundert Fuß endigte, bei dem er sich doch nur den rechten Daumen verstauchte, während der minder vom Glücke begünstigte Pilâtre de Rozier bei einem Sturze von nur siebenhundert Fuß augenblicklich den Tod fand.
Zur Zeit, mit der diese Erzählung beginnt, konnte man schon beurtheilen, daß das Weldon-Institut die Angelegenheit kräftig gefördert hatte. In den Turner-Werften zu Philadelphia erhob sich schon ein ungeheurer Aerostat, dessen Haltbarkeit durch Füllung mit stark comprimirter Luft geprüft