Alexandre Dumas

Drei starke Geister


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      Erster Theil.

      Einleitung.

      I.

      An der Straße nach Nimes, bei der Brücke über den Gard — die man, im Vorbeigehen gesagt, mit Unrecht eine Brücke nennt, da es eine Wasserleitung ist, in der aber nichts, selbst kein Wasser mehr fließt — eine Viertelstunde ehe man an den Fluß und mithin an diese Brücke kommt, liegt ein freundliches Dörfchen, mit Namen Lafou. Wer etwa die Brücke über den Gard besucht, was ich Jedem rathe, der kehre zum Frühstück in dem Dörfchen Lafou ein. Es hat nur ein einziges Wirthshaus und man kommt daher nicht wegen der Wahl in Verlegenheit; aber man wird hier eben so gut und selbst besser bedient, als wenn eine Concurrenz zwischen mehreren Gastwirthen stattfinde. Man wird in ein großes Gastzimmer geführt, dessen Tapete die merkwürdigsten, mit ziegelrother Staffage von Menschen und Thieren belebten Weltansichten darstellt; man sieht hier die Statue Peters des Großen in St. Petersburg, den Westminsterpalast in London, die Börse von Paris, den Pozellanthurm in Peking, eine Tigerjagd, den Tod des Capitain Cook und das Grab des Kaisers in St. Helena. Geschichte, Denkmähler, Poesie, nichts fehlt hier; Alles ist auf einem rosenrothen Grunde gemalt und wird von blauen Bäumen beschatten Was aber noch besser sein wird, als dies Alles, obgleich es, wie ich glaube, schon sehr amüsant ist, wenn man lachen kann, indem man die Wände betrachtet, das ist das Frühstück, das man bekommt und das ein- für allemal aus folgenden Gerichten besteht: ein Schweinsfuß mit Trüffeln, Liebesäpfel mit Eiern oder Eier mit Liebesäpfeln, Erdbeeren im Sommer, Feigen, Mandeln, Rosinen und Haselnüsse im Winter, dazu eine Flasche ausgezeichneten starken Wein, mit einem Parfüm wie Alicante; und wenn man dann fragt, was man für diesen Schmaus schuldig ist, so erhält man zur Antwort: drei Franken! Man hat also hier für drei Franken besser gefrühstückt, als für fünfzehn Franken in Paris!

      Leider sind es nicht diese erfreulichen Bilder, die Erinnerungen von einer Reise, die ich vor Kurzem durch jene Gegend gemacht habe, die ich dem Leser in der nachstehenden Erzählung vorführen werde; es ist eine sehr traurige, sehr Unglückliche Geschichte, die ich erzählen will und deren Schauplatz das Dörfchen Lafou war.

      An einem heiteren Abende des Monats April 1825 wanderte ein noch junger Mann von kaum einundzwanzig Jahren, mit offenem, heiterm und sanftem Gesicht, allein auf der erwähnten Straße von Nimes nach der Gardbrücke zu. Es hatte eben sieben Uhr geschlagen, und der, in einen schwarzen Oberrock, ein ächtes Reisebeinkleid von grauer Leinwand, nebst einer Mütze von Zwillich gekleidete junge Reisende schritt rüstig, mit der einen Hand sich den Schweiß vom Gesicht trocknend und mit der andern den Reisestock schwingend, vorwärts.

      Bald hatte er die ersten Häuser des Dörfchens Lafou erreicht, und zugleich griff er in die Tasche, zog eine Brieftasche hervor, nahm aus dieser einen Brief, den er in der Hand behielt und ging dann auf einen, vor seinem Hause stehenden Landmann zu.

      »Könnt Ihr mir nicht sagen, Freund,« redete er ihn im richten pariser Dialect an, »wo Herr Raynal der Pfarrer von Lafou, wohnt.«

      »Eben ging Herr Raynal hier vorbei,« antwortete ihm der Bauer mit sehr deutlichem südlichem Accent und indem er die rechte Hand ausstreckte; »kaum kann er sein Haus erreicht haben. Er wohnt dort in dem kleinen, an die Kirche angebauten Häuschen.«

      Der junge Mann dankte für die erhaltene Auskunft und ging auf das bezeichnete Haus zu.

      Er hatte nicht weit zu gehen, denn das Dorf ist nicht groß.

      Das Haus des Pfarrers, das, wie der Bauer gesagt hatte, an die Kirche stieß, bestand aus einem Erdgeschoß, dem ersten Stockwerk und einer Art Dachboben. Es theilte mit dem Gottesacker den hinter der bescheidenen Kirche liegenden Raum.

      Es ist nicht nöthig zu erwähnen, daß dieser Gottesacker nicht groß war, und daß zu dieser Tagesstunde die Kinder aus dem Dorfe in demselben spielten.

      Ich habe es sehr gern, wenn ich in einem Dorfe die Kinder auf dem Gottesacker spielen sehe. Der Tod behält dadurch noch Einen gewissen Anschein von Leben, und wenn der Lärm, den sie machen, den Schlummer der Ruhenden stört, so muß ihnen dieses, durch unschuldige, frische Stimmen verursachte augenblickliche Erwachen angenehm sein, denn es erinnert sie an die glücklichsten der auf der Welt verlebten Jahre.

      Unser Reisender zog ehrerbietig die Mühe vor der Ruhestätte der Todten, stieg dann die beiden Stufen vor der grau angestrichenen Hausthür hinauf und klopfte mit dem an derselben befestigten Hammer an.

      Eine alte Frau öffnete ihm.

      »Wohnt hier Herr Raynal?« fragte der junge Mann.

      »Ja, mein Herr,« antwortete ihm die Alte.

      »Kann ich ihn sprechen?«

      »O ja.«

      Die Dienerin verschloß die Thier wieder und ließ den Reisenden in ein Zimmer des Erdgeschosses treten, welches dem Pfarrer als Speisezimmer diente.

      Hier saß an einem Tische, auf dem ein sehr bescheidenes Abendessen stand, der Pfarrer Raynal, ein Mann von ohngefähr fünfzig Jahren, dessen ruhig blickendes Auge Rechtschaffenheit und ein reines Gewissen verrieth. Seine Mahlzeit bestand aus einem Eierkuchen und aus einem Hühnerviertel. Seine alte Haushälterin, Toinette, stand am Fenster, bereit, ihren Herrn zu bedienen, sobald er etwas bedurfte. Ihre Kleidung bestand aus einer Haube mit breiten Flügeln und aus einem Kleide von gelbem Zeuge mit röthlichen Blumen, und sie war beschäftigt Wäsche auszubessern, als der Reisende geklingelt hatte. Seit zwanzig Jahren, die sie schon bei Herrn Raynal zubrachte, war sie gewohnt, in seinem Zimmer zu arbeiten, während er speiste. Es ging auf diese Weise keine Zeit verloren und sie unterhielt sich mit dem Pfarrer von allerhand Dingen, welche Gegenstand des Gesprächs zwischen einem braven Priester und einer braven Frauensperson sein können.

      Der junge Mann begrüßte Herrn Raynal, welcher Aufstand, um ihn zu empfangen; aber der Angekommene bat ihn« sich nicht stören zu lassen und übergab ihm den Brief, den er in der Hand hatte.

      »Ich bin beauftragt, Ihnen dies hier zu übergeben, Herr Pfarrer,« sagte er, während sein Blick mit einem Ausdruck von Ehrerbietung, der einige Aengstlichkeit beigemischt war, auf dem Gesicht der Priesters ruhte, der den Brief aus dem Couvert zog.

      »Nehmen Sie doch Platz,« sagte Raynal, ehe er anfing, das Schreiben zu lesen; als er jedoch die Augen auf die ersten Worte desselben geworfen hatte, blickte er den Ueberbringer an und sagte mit bewegter Stimme zu ihm:

      »Dieser Brief ist von meinem Bruder?«

      »Ja« lieber Oheim.«

      »Und Sie sind also..-.«

      »Jean Raynal, der Sohn Ihres Bruders und Ihr Neffe.«

      »So komm an mein Herz, junger Mann!« rief der Pfarrer, indem er aufstand und seinen Neffen umarmte.

      Die alte Haushälterin, welche Zeugin dieser Scene war und die seit zwanzig Jahren Jeden gesehen hatte, der zu ihrem Herrn gekommen war, betrachtete staunend den großen Menschen, der ihr noch nie zu Gesicht gekommen und den der Pfarrer seinen Neffen nannte.

      »Sie haben also einen Bruder?« sagte sie im vertraulichen Tone zu dem Geistlichen.

      »Ja wohl, liebe Toinette.«

      »Aber Sie haben mir nie etwas davon gesagt?«

      »Weil mein Oheim glaubte, er habe meinem Vater etwas vorzuwerfen,« erwiderte Jean, »und da mein Oheim ein Mann von so edlem Herzen ist, so zog er es vor« gar nicht von diesem Bruder zu sprechen, als etwas Nachtheiliges über ihn zu sagen. Ist’s nicht so, lieber Oheim?«

      »Was für ein hübscher Mensch Du bist! wie freut es mich, Dich kennen zu lernen! Komm, umarme mich noch einmal! Was macht Dein Vaters was ist aus ihm geworden? wo lebt er? wie befindet er sich? Beantworte mir schnell diese Fragen, lieber Junge! Ja, es ist heute ein glücklicher Tag für mich, es ist mir schon Alles nach Wunsch gegangen.« i

      »Lesen Sie den Brief, lieber Oheim; er wird Ihnen Alles was Sie zu wissen wünschen, besser sagen als ich.«

      »Du hast Recht,« erwiderte der Pfarrer, indem er den Brief, den er auf den Tisch gelegt hatte, wieder nahm. Mit lauter Stimme las er Folgendes:

      »Mein lieber Valentin!