href="#u4c635789-a3b1-514a-bff6-6444f3c2d1ab">Sechstes Kapitel. Valery.
Siebentes Kapitel. Die Ordination.
Achtes Kapitel. Dir Kraft des Guten und die Kraft des Bösen.
Neuntes Kapitel. Die physische Kraft.
Zehntes Kapitel. Der Adel legt Verpflichtungen auf.
Drei starke Geister
II.
Jean und sein Oheim, der während dieses Gesprächs seine Mahlzeit beendigt hatte, tranken jeder ein Glas von dem feinen Weine und der junge Mann aß einige Bissen dazu.
Toinette hatte während dieser Zeit das Zimmer in Ordnung gebracht, das der Pfarrer für seinen Neffen bestimmt hatte. Sie kam jetzt zurück und sagte:
»Aber, Herr Pfarrer, das Zimmer bedürfte wirklich einer Reparatur.«
»Warum denn?«
»Warum? Haben Sie denn die Decke nicht einmal angesehen?«
»Nein.«
»Sie ist in einem schönen Zustande.«
»Wie so denn?«
»Sie ist zwischen den Balken überall zersprungen und ist so dünn wie Papier; und wenn Sie sich nicht in Acht nehmen, bricht sie nächstens zusammen und Sie kommen mit sammt Ihrem Bette herunter, da Sie unmittelbar darüber schlafen.«
»Es ist gut, Toinette, ich werde es besorgen, und wenn Jean uns wieder besucht, soll er ein prächtiges Zimmer finden, das in jeder Beziehung seiner würdig ist.«
Jean ging hierauf mit seinem Oheim in das kleine Gesellschaftszimmer des Pfarrhauses, denn um diese Zeit erhielt Raynal jeden Abend den Besuch von zwei oder drei Freunden. Diese fanden sich bald ein und er erzählte ihnen, wie glücklich er gewesen sei, seinen Neffen kennen zu lernen, sowie die Schlichtung der Feindseligkeit mit seinem Bruder, lauter Dinge, welche zum Lobe des jungen Mannes und seines Vaters gereichten.
Gegen zehn Uhr trennte man sich, um zur Ruhe zu gehen und der Pfarrer führte selbst seinen Neffen in sein Zimmer, um sich zu überzeugen, daß es ihm an nichts fehlte und um nach einige Minuten länger mit dem jungen Manne beisammen zu bleiben, zu welchem er die aufrichtigste Zuneigung empfand.
»Ich bin sehr müde,,« sagte Jean; »wie werde ich es anfangen, damit ich morgen früh um vier Uhr erwache?«
»Zuerst hast Du eine Uhr in Deinem Zimmer mit einem Wecker, welcher zu der Stunde, auf die Du ihn stellst, Lärm machen wird. Dann ist aber auch morgen Markttag und Du wirst schon von drei Uhr an so viel Lärm hören, daß Du nicht länger wirst schlafen können.«
»Nun, dann wünsche ich Ihnen eine gute Nacht, mein theurer Oheim. Vergessen Sie nicht an meinen Vater zu schreiben, er erwartet mit Ungeduld Ihren Brief.«
»Das thue ich noch heute, ehe ich zu Bette gehe und der Brief geht morgen ab. Gute Nacht, mein Sohn, gute Nacht!«
Sie umarmten einander noch einmal und der Pfarrer verließ seinen Neffen, nachdem er jedoch vorher noch zu ihm gesagt hatte:.
»Vergiß es nicht, es ist in der Straße des Arénes, beim Bäcker Simon, wo Du das Pferd abgeben und den Du bitten sollst, es mir mit der ersten Gelegenheit wieder zuzuschicken.«
»Gut, gut, lieber Oheim.«
Jean blieb allein und da er wirklich todtmüde war, ging er unverzüglich zu Bett und sank bald in tiefen Schlaf.
Sein Oheim hatte ihm keine Unwahrheit gesagt. Gegen drei Uhr Morgens wurde er durch das Geschrei der Verkäufer und besonders der Verkäuferinnen geweckt, die zum Markte kamen, und hätte er auch wieder einschlafen wollen, so würde es ihm nicht möglich gewesen sein. Er stand daher mit halb offenen Augen und noch etwas schwerem Kopfe auf, sattelte und zäumte Coquet, zog ihn mit so wenig Geräusch, als möglich, aus dem Hause, schwang sich darauf und schlug den Weg nach Nimes ein.
Coquet hatte den ächten Gang des Kleppers eines Dorfpfarrers, so daß Jean, nachdem er seine Füße gehörig fest in die Bügel gesetzt hatte,die Zügel nur aus Gewohnheit in den Händen behielt und die Augen schloß. Nach einigen Augenblicken war er völlig eingeschlafen; aber das kluge Thier, auf dem er saß, vermied, als wüßte es, daß sein Reiter nicht mehr im Stande war es zu leiten, jedes Hinderniß und jedes Begegnen, das ihn hätte wecken können und ging in einem ruhigen Schritte fort, der den Reiter recht angenehm wiegte.
Eine halbe Stunde vor Nimes machte sich jedoch ein Fuhrmann, der ihm mit seinem Geschirre entgegen kam und der es komisch fand, daß der Reiter so ruhig auf dem Pferde schlief, den Spaß, dem letzteren einen Peitschenhieb zu versetzen, so daß es einen Seitensprung that. Jean verlor das Gleichgewicht und erwachte in dem Augenblicke, wo er herabfallen wollte und wo Coquet schon dicht am Straßengraben stand. Er hatte jedoch noch so viel Zeit, die Mähne des Pferdes zu ergreifen und sich wieder in den Sattel zu schwingen, während der über seinen Scherz erfreute Fuhrmann laut lachend seinen Weg fortsetzte.
Jean freute sich eben so sehr, daß er geschlafen hatte als daß er geweckt worden war und indem er sich die Augen rieb, athmete er mit Entzücken die frische, reine Morgenluft ein. Er sah nach der Uhr und da er bemerkte, daß Coquet seinen Schlummer benutzt und ebenfalls ein wenig geschlafen hatte, wodurch einige Zeit verloren gegangen war, wollte er diese wieder einbringen und setzte seinen Gaul in einen kleinen Trab.
Coquet wunderte sich zwar nicht wenig, daß er eine Gangart annehmen sollte, die gar nicht in seiner Gewohnheit lag; allein er machte gute Miene zum bösen Spiel und erreichte trabend die historische Stadt.
Jean hatte gar nicht nöthig, ihn nach der Straße des Arénes zu lenken; Coquet wußte den Weg allein und brachte seinen Reiter auf dem gradesten Wege zu Meister Simon.
Der Bäcker stand an seiner Hausthür und erkannte den Gaul, der Reiter aber war ihm unbekannt.
»Ich bin der Neffe des Pfarrers Raynal,« sagte Jean zu ihm, nachdem er ihn begrüßt hattet; »er hat mir das Pferd geliehen, um nach Nimes zu retten, und mir aufgetragen, es Ihnen zu übergeben und Sie zu bitten, es ihm wieder zuzuschicken.«
»Sie sind der Neffe des Herrn Pfarrers Raynal?« erwiderte der Bäcker freundlich.
»Ja wohl.«
»Dann haben Sie einen würdigen Mann zum Oheim.«
»Ich weiß es, Herr Simon, und ich freue mich, daß mein Oheim die allgemeine Liebe und Achtung in eben so hohem Grade genießt, als ich ihn liebe und hochschätze.«
»Ja, Sie können mir Coquet anvertrauen,« erwiderte Simon; »ich werde ihn morgen durch einen meiner Leute, der ohnehin etwas in Lafou zu thun hat, zu seinem Herrn zurückschicken.«
Jean stieg vom Pferde und Simon rief in das Haus hinein:
»Franz!«
»Hier bin ich, —- Meister!« antwortete ein junger Mensch in der gewöhnlichen Kleidung der Bäckergehilfen.
»Führe das Pferd in den Stall.«
»Gut, Meister.«
Franz ergriff den Zügel des Pferdes, dem Jean liebkosend auf den Hals klopfte, als wollte er ihm für den geleisteten Dienst danken, und verschwand damit in der Hausflur.
»Und Herr Raynal befindet sich wohl.« fragte Simon.
»Ja, er befindet sich sehr