Shino Tenshi

Verhasst


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es wahrscheinlich nicht einmal mitbekommen.

      Mit diesen Gedanken huschte ich über den Flur und schließlich unter die Dusche. Alles war gut, wenn ich hier in meinem Zuhause war. Einfach nur perfekt. Niemand hasste mich. Aber auch kannte mich niemand.

      Ich seufzte schwer. Wie gerne würde ich es meinen Eltern erzählen. Ihnen einfach die Wahrheit über alles sagen. Dass man mich auf Grund meiner Sexualität in der Schule fertig machte und Robert der Drahtzieher war. Wie gerne würde ich ihnen sagen, dass ich Männer liebte.

      Doch ich wusste, dass ich dann keinen Ort mehr hätte, an dem ich nicht beschimpft und geschlagen wurde. Vater würde es niemals akzeptieren. Er würde mich verstoßen und verachten. So wie es alle anderen Männer taten. Alle außer Alex und der Therapeut.

      Erneut musste ich an ihn denken, wie er sich für mich eingesetzt hatte. Er für mich da gewesen war und mir eine Stütze sein hatte wollen. Warum hatte ich ihn nur von mir gestoßen? Wieso hatte ich nicht die Stärke beweisen können und seine Hilfe annehmen? So etwas konnte man alleine nicht durchstehen. Das war einfach nicht möglich.

      Ich spürte, wie sich mein Körper unter den Gedanken leicht verkrampfte und wie sich erneut Tränen in meine Augen fraßen, als ich an die Schule dachte und wie ich Narr wohl einen guten Freund verschmäht hatte. Warum war ich nur so dumm gewesen?

      Langsam sank ich zu Boden, als mich die Verzweiflung weiter überrannte. Ich krallte mich fester in meine Arme und ignorierte das Wasser, wie es auf mich niederschlug. Es war mir egal. Ich war so ein Narr gewesen.

      Meine Gedanken schlichen zurück zu dem Abschiedsthread im Forum und erneut spürte ich das kalte Metall von meinem Traum zwischen den Fingern. Es war verlockend und es wäre so einfach.

      Aber ich hatte mich nicht dafür geoutet, um dann daran zu sterben. Ich hatte es getan, um endlich frei leben zu können. Ja, ich wollte frei sein. Mich nicht mehr verstecken und zu dem stehen, was ich war. Nein, jetzt deswegen zu sterben, war keine Option. Ich wollte endlich als der leben, der ich nun einmal war.

      Schließlich zwang ich mich zur Ruhe und rappelte mich auf. Es war mir egal, was ich dafür tun musste, um endlich Beachtung zu bekommen. Ja, es war mir sogar egal, wenn sie mich erneut verprügeln würden. Irgendwann… und daran glaubte ich wirklich sehr stark, werde ich glücklich sein.

      Ja, wahrscheinlich nicht morgen und auch nicht in einem Monat oder gar einem Jahr. Aber irgendwann würden die Schläge aufhören und man würde mich als der Mensch nehmen, der ich war. Darauf wollte ich hinarbeiten, wodurch ich mich nur kurz einseifte und dann schließlich nach dem Abspülen aus der Dusche trat.

      Nachdem ich mich einigermaßen abgetrocknet und auch meine Haare ein wenig Nässe verloren hatten, wickelte ich mir ein Handtuch um die Hüfte, um dann schließlich über den Flur zurück in mein Zimmer zu gehen.

      Kurzerhand ließ ich mich wieder auf mein Bett fallen und erkannte, dass ich eine Nachricht bekommen hatte, die ich auch sogleich überrascht öffnete. Wer war denn um diese Uhrzeit schon wach?

      Doch auch wenn ich damit nicht gerechnet hatte, so war dies die Antwort von Robert, die mich trocken schlucken ließ:

      Lass mich einfach in Ruhe und lösche meine Nummer. Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben! Verpiss dich einfach! Denn wer will schon mit einer Schwuchtel wie dir befreundet sein?

      Ich hielt es nicht mehr in meinem Zimmer aus. Es war grauenhaft. Immer wieder schallten die Worte aus dem Traum in meinem Gedächtnis wider und die weißen Wände verspotteten mich. Zeigten wie wertlos ich doch eigentlich war. Es war zum Haare raufen.

      So lief ich nun durch die Straßen der Stadt. Ignorierte die Blicke der Passanten. Verließ mich auf mein Bauchgefühl. Ich musste mich bewegen. Einfach laufen und vielleicht so den Schuldgefühlen entkommen. Diesem Empfinden der Wertlosigkeit. Ich hasste mich für das, was ich war, obwohl ich doch eigentlich gar nichts dafür konnte und was würde ich alles geben, um diesen Umstand zu ändern. Aber es ging einfach nicht.

      „Felix?“, drang eine bekannte Stimme zu mir durch, die überrascht wirkte, wodurch ich mich zu ihrem Besitzer umdrehte und in die sanften Augen von Alex sah. Ihn hatte ich hier als Allerletzten erwartet, wobei ich ein Lächeln nicht verhindern konnte, als er freundlich auf mich zukam.

      „Was treibst du denn hier?“, fragte ich ihn, wobei ich einen Schritt Abstand nahm, als er mich berühren wollte. Ich wusste noch nicht, ob es gut war, wenn ich wieder den Kontakt zu ihm aufnahm. Warum konnte ich mich nicht einmal entscheiden? Jedes Mal wenn es mir schlecht ging, nahm ich mir vor, dass ich zu ihm gehen und sein Hilfsangebot annehmen wollte. Doch wenn er mir dann gegenüber stand, wünschte ich mir, dass er nicht hier wäre.

      „Ich wollte ein wenig einkaufen gehen. Einfach mal schauen, was es so gibt und ob irgendwas Interessantes dabei ist. Und du?“ Er lächelte mich sanft an und erneut spürte ich den Drang, mich einfach in seinen Armen zu verkriechen und nie wieder daraus empor zu klettern. Oh Gott, wie sehr wünschte ich es mir, dass man mich einfach nur in den Arm nahm und mich so akzeptierte, wie ich war.

      „Na ja, ich brauchte ein wenig frische Luft.“ Ich zuckte mit den Schultern und im nächsten Moment umfasste Alex sanft meinen Unterarm, wobei er mich schon mit sich zog: „Na, dann können wir ja gemeinsam ein wenig shoppen gehen.“

      Sein Lächeln war so sanft und ehrlich. Ich liebte es dafür, dass es einfach da war und mir zeigte, dass man mich auch mögen konnte, obwohl man wusste, wie ich empfand und wen ich begehrte. Alex würde mir so gut tun, wenn ich es nur einmal zulassen würde. Aber ich hatte Angst. So unvorstellbare Panik, dass ich damit sein Leben zerstören könnte.

      „O-okay.“ Ich stockte und stolperte ein wenig neben ihm her, bevor ich mich fing und dann sanft lächelte und neben ihm herging. Es war ein komisches Gefühl, obwohl ich so schon öfters mit Robert durch die Straßen gezogen war. Robert… er würde mir niemals verzeihen und vor allem würde er mich nie wieder in Frieden leben lassen.

      „Warum weichst du mir aus?“, durchbrach Alex nach einer Weile die Stille, wobei ich kurz stockte und ihn überrascht ansah, was ihn erneut dazu verleitete ein wenig zu lächeln: „Ja, ich hab das sehr wohl gemerkt, dass du mir bewusst aus dem Weg gegangen warst. Ich würde nur gerne wissen, warum du das getan hast.“

      „Es… ich… ich wollte einfach nicht, dass man dir weh tut. Nein, das hätte ich mir einfach nicht verzeihen können. Alex, du bist ein netter Mensch und vor allem tust du mir gut, aber ich will nicht schuld daran sein, wenn sie dich ebenfalls verprügeln. Ich… ich will nicht, dass du mich dadurch dann hasst.“ Ich sah ihn mit großen Augen an und erneut lächelte er nur, bevor er mir dann sanft gegen den Oberarm schlug: „So ein Quatsch. Ich könnte dich doch niemals dafür hassen, was mir andere antun würden. Schließlich weiß ich, was bei euch los ist und ich finde das einfach nur erbärmlich. Du kannst für deine Empfindungen nichts. Darum werde ich auch bei dir bleiben, wenn du es willst.“

      Wie gerne hätte ich in diesem Moment einfach nur laut zugestimmt, doch ich brachte nur ein nervöses Nicken zusammen, was Alex erneut auflachen ließ. Er war so wundervoll. Warum sah ich ihn erst jetzt? Wäre er damals mein bester Freund gewesen, dann würde ich jetzt nicht so nah am Abgrund stehen. Aber mein Leben sollte nicht so sein.

      „Schön!“ Er strahlte weiter und wir gingen von einem Laden in den nächsten. Unterhielten uns über alle möglichen Dinge. Es tat gut, endlich einmal wieder so mit einem anderen Menschen zusammen zu sein. Einfach zu lachen und fröhlich zu sein. Es war ein so unbeschreiblich gutes Gefühl, dass ich spürte, wie mir richtig leicht um die Brust wurde.

      „Was hältst du davon, wenn wir ab sofort gemeinsam zur Schule gehen?“, schlug Alex plötzlich etwas vor, was ich mir niemals zu träumen gewagt hätte, weshalb ich ihn eine Weile irritiert ansah. Wir hatten vor ein paar Minuten festgestellt, dass wir eigentlich gar nicht so weit auseinander wohnten, dennoch hatten wir uns so gut wie nie gesehen. Schon komisch.

      „Ähm, wenn du das gerne möchtest.“ Ich konnte nicht verhindern, dass ich irgendwie nervös wurde, denn endlich schien ich wieder einen richtigen Freund zu haben. Einen Menschen, der es genoss mit mir zusammen zu sein.