ab. Funkverkehr hingegen war vielleicht nicht erlaubt, wurde aber auch nicht unterbunden. Man hatte im Laufe der letzten Jahre die Erkenntnis gewonnen, dass es einfach niemanden interessierte, was nach Oasis kam. Was dort landete, würde auch dort sterben.
Zahlreiche Satelliten, Drohnen, versteckte Kameras und letztendlich die eingepflanzten ID-Chips der Gefangenen vermittelten eine nie endende Soap-Opera, in Live und in Farbe. Dagegen konnte das Bezahl-Fernsehen nicht anstinken, fanden viel der Angestellten von SpaceTec und betrachteten die endlos wuselnde Welt der Generierten und Verlorenen.
Für die Menschen auf Oasis war es die Hölle.
Captain Max Snow durcheilte mit energischen Schritten den Flur, der zu seiner Kommandobasis führte. Seine Sekretärin hatte ihn mitten beim Frühstück zu einer unerwarteten Besprechung gebeten, und die zwanzig Minuten, die er dadurch verloren hatte, wirkten sich nun äußerst unangenehm auf den Zeitplan des Sicherheitschefs des privaten Sicherheitsunternehmens SpaceTec aus, die für die sichere Verwahrung des größten Freiluft- Gefängnisses der Galaxie verantwortlich war. Zum Glück konnte sich Snow auf seinen Mitarbeiterstab verlassen. Sie kamen pünktlich, starteten die morgendlichen Programme, überprüften die Ergebnisse der Nachtschicht und konnten ihn über den gegenwärtigen Stand unterrichten.
Der schlanke Mitte Dreißiger besaß einen trainierten Körper, der mal jung und attraktiv gewesen war – jetzt fielen ihm andere Adjektive ein. Kleine wie große Narben zeugten von einem entbehrungsreichen, disziplinierten Leben auf Militärbasen und Schießständen. Er näherte sich den Türen zu seinem Arbeitsplatz mit seinem üblichen schnellen Schritt. Die beiden Wachen, die dort mit voller Bewaffnung standen, registrierte er kaum. Sie waren fast unsichtbar für ihn, ein Teil der Einrichtung wie die Nieten an den Drucklufttüren. Alle vier Stunden wurden sie ausgetauscht, doch kamen sie ihm alle identisch vor, mit ihrem starren Blick, dem ausdruckslosen Gesicht, der weißen Panzerung, und der schweren Waffen. Schwarz, weiß, braun, Frauen, Männer, für Max sahen sie alle gleich aus. Sie waren auserlesene Wachen, hochbezahlt und im Ernstfall fähig, entsprechend zu agieren. Genau wie sie waren auch alle Techniker, Mechaniker, IT-Spezialisten und selbst die Lagerarbeiter im Dock handverlesen und mehrfach geprüft worden. SpaceTec geizte nicht mit fürstlichen Löhnen, aber dafür wollten sie auch Resultate sehen.
Die Türen öffneten sich lautlos und gaben ihm den Weg in sein Allerheiligstes frei. Wie zu erwarten war sein Team bereits vollzählig versammelt, emsig bei der Arbeit, im Dienste der Firma. Und diese Kommandozentrale war dafür der perfekte Ort. Hier gab es nur das Beste von allem, die besten Apparate, die besten Programme und die besten Mitarbeiter. Die Resultate würden das beweisen. Nachdem er herumgegangen war und sich davon überzeugt hatte, dass alles genau so war, wie er es haben wollte – fast zu schön, um wahr zu sein -, wandte er sich endlich dem Hauptbildschirm zu.
Preston Smith, sein junger, dunkelhaariger, ehrgeiziger Assistent, wartete bereits auf ihn. Er sah so angespannt aus, dass Max befürchtete, er würde gleich von einem Bein auf das andere hüpfen. Aber er konnte es seinem Schützling nicht verdenken. Nach allem, was sie in den letzten vier Jahren beobachtet hatten, entwickelte sich Oasis … abenteuerlich.
„Was gibt es Neues auf der Spielwiese“, sagte Max zu seinem Assistenten. „Und nur die wichtigsten Punkte, bitte.“
Smith nickte. „Die H-66 wollen einen Deal mit den PureNations, aber ihr Anführer ist krank geworden, was seine Generäle dazu veranlasst, um über seine Nachfolge zu streiten. Im Osten von Extraktion Vier hat sich ein Clan an einem Wasserloch breitgemacht. Da ihre Anführer sich laut ID mit Kolonisierung auskennen, könnte es der Beginn von einer ruhigen, friedlicheren Kolonie werden. Überwiegend Frauen“, bemerkte er mit einem anzüglichen Grinsen.
Max unterdrückte ein Stirnrunzeln. Es gefiel ihm nicht, dass Smith dazu neigte, sich zu sehr für die Leben der Gefangenen zu interessieren; es kam ihm nicht besonders professionell vor. Aber Smith war ein derart guter Analyst und darüber hinaus so fleißig und loyal, dass Max versuchte, über solche Spleens hinwegzusehen. „Wollen wir hoffen, dass die anderen Banden ihnen Zeit lassen, sich eine gut geschützte Basis aufzubauen. Sie mögen Kriminelle sein, aber auch sie verdienen Ruhe und Frieden. Was noch?“
„In den letzten vier Stunden vierzehn Ausfälle“, bemerkte Smith trocken und zeigte auf sein Tablett mit den dazugehörigen IDs und vollständigen Namen und Hintergrundgeschichten. Max überflog die Zeilen. „Und Sie haben Besuch“, endete Smith und deutete auf einen Konferenzraum hinter den Monitoren, hinter dessen Verglasung zwei Menschen standen und auf die Computerwelt unter sich starrten. „Der Haupteigner von SpaceTec möchte Sie sehen. Er kam mit der letzten Fähre. Inkognito.“
Max wandte sich um, öffnete den Mund, sagte aber nichts und nickte nur. „Weitermachen“, bemerkte er leise und neugierig geworden machte er sich auf dem Weg.
Derrick Waldmann war ein Philanthrop, ein Macher und einer der reichsten Männer der Welt. Der fünfundvierzigjährige Mann mit dem breiten Kreuz und seinem Südstaatenakzent investierte klug in allen möglichen Bereichen und war als erfolgreicher Inhaber eines Mischkonzerns schon zweimal auf dem Titelblatt der Times zu sehen gewesen. Von Derrick Waldmann hieß es, er habe als junger Mann durch sein bloßes Erscheinen eine in vollem Gange befindliche Party schlagartig verstummen lassen. Ein sprudelnder Quell voller Tatendrang und Unternehmergeist – doch als Max die Tür öffnete, traf er einen gebeugten Mann vor, der bleich und schwach in einem Sessel vor sich hinstarrte. „Derrick!“
Der Milliardär sah sich um und erspähte Max. „Max! Gut siehst du aus.“
Max trat auf ihn zu und reichte seinem Freund die Hand und stutzte, als dieser aufstand und ihn umarmte. Derrick wirkte, als fände er aus fernen Welten zurück in die bittere Realität und hätte viele Stunden Schlaf nötig.
Die meisten Menschen sahen einander in die Augen, um Aufmerksamkeit und Interesse zu bekunden. Es geschah eher nebenbei, man nahm den anderen als ganze Person wahr. Was von Pupille zu Pupille geschah, folgte vornehmlich einer Funktion, nämlich Kommunikation zu ermöglichen und zu vertiefen. Max hielt seinen Freund fest, länger als für gewöhnlich und fühlte sich wie eine Boje im Meer, an die sich ein Ertrinkender festklammerte. Natürlich kannte er den Grund. „Derrick, es tut mir leid“, hauchte er seinem Freund in die Schulter und tätschelte ihm den Rücken. „Das sollte keinem Kind geschehen.“
Der schwerreiche, aber nun sehr arme Mann ließ schließlich ab und starrte ihn aus Augen an, die nur Kummer und Verzweiflung kannten. Max fühlte sich überrumpelt. Fast hasste er sich dafür, dass er seinem Freund nicht beigestanden hatte, als er die Nachricht vernommen hatte. Man konnte sich nicht davor schützen, denn alle Medien berichteten davon: Kevin war endlich gefunden worden.
„Ich hätte dich ja besucht, aber ich komme hier schlecht weg“, stammelte Max zu ihm. „Wie geht es Martha?“
Derricks Augen ließen Halbheiten nicht zu. Sie suchten keinen Kontakt, sie erzählten eine Geschichte.
Er schüttelte langsam den Kopf und ließ sich schließlich langsam wieder in den Sessel zurückfallen. Max war schockiert über diese Schwäche, denn Derrick war als harter Finanzhai bekannt, der skrupellos Firmen splittete. Jetzt wirkte er, als hätte man ihm alles genommen. Im Grunde stimmte das auch. Kein Geld der Welt konnte ihm helfen. „Martha geht es gut.“ Es war ein Stöhnen, fast mehr ein Raunen und beide wussten, dass es eine Lüge war. Max besaß Taktgefühl um nicht weiter nachzubohren. Hinter Derrick bemerkte er den zweiten Gast.
Max runzelte die Stirn und starrte den dünnen Mann im schwarzen Sakko an, der mit seinem glattrasierten Schädel und einem teuren, dunklen Zweireiher wie ein Pinguin wirkte.
Max sah ihn an, offenbar verwirrt, seine Aufmerksamkeit plötzlich zwischen sich und Derrick dreiteilen zu müssen.
Der Mann trat einen Schritt vor und reichte ihm die Hand. „Hansen. Spiro Hansen.“
„Sehr erfreut“, sagte er lahm und schüttelte die schwielige, feste Hand auf dessen Handrücken das Tattoo eines Skorpions zu sehen war. Definitiv kein Anwalt. „Möchtet ihr etwas zu essen? Wir können uns etwas aus der Mensa holen lassen“, half Max aus und fühlte sich wie eine schlechter Gastgeber.