Feuerbach Ludwig

Das Wesen des Christentums


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Existenz in Großfolio in meinem Kopfe gar nicht Platz hatten. Ich verwerfe überhaupt unbedingt die absolute, die immaterielle, die mit sich selbst zufriedne Spekulation – die Spekulation, die ihren Stoff aus sich selbst schöpft. Ich bin himmelweit unterschieden von den Philosophen, welche sich die Augen aus dem Kopfe reißen, um desto besser denken zu können; ich brauche zum Denken die Sinne, vor allem die Augen, gründe meine Gedanken auf Materialien, die wir uns stets nur vermittelst der Sinnentätigkeit aneignen können, erzeuge nicht den Gegenstand aus dem Gedanken, sondern umgekehrt den Gedanken aus dem Gegenstande, aber Gegenstand ist nur, was außer dem Kopfe existiert. Ich bin Idealist nur auf dem Gebiete der prak-tischen Philosophie, d. h. ich mache hier die Schranken der Gegenwart und Vergangenheit nicht zu Schranken der Menschheit, der Zukunft, glaube vielmehr unerschütterlich, daß gar manches, ja wohl gar manches, was den kurzsichtigen, kleinmütigen Praktikern heute für Phantasie, für nie realisierbare Idee, ja für bloße Chimäre gilt, schon morgen, d. h. im nächsten Jahrhundert – Jahrhunderte im Sinne des einzelnen Menschen sind Tage im Sinne und Leben der Menschheit – in voller Realität dastehen wird. Kurz, die Idee ist mir nur der Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg der Wahrheit und Tugend, hat mir nur politische und moralische Bedeutung; aber auf dem Gebiete der eigentlichen theoretischen Philosophie gilt mir im direkten Gegensatze zur Hegelschen Philosophie, wo gerade das Umgekehrte stattfindet, nur der Realismus, der Materialismus in dem angegebenen Sinne. Den Grundsatz der bisherigen spekulativen Philosophie: alles, was mein ist, führe ich bei mir selbst – das alte Omnia mea mecum porto kann ich daher leider! nicht auf mich applizieren. Ich habe gar viele Dinge außer mir, die ich nicht in der Tasche oder im Kopfe mit mir transportieren kann, aber gleichwohl doch zu mir selbst rechne, nicht zu mir nur als Menschen, von dem hier keine Rede ist, sondern zu mir als Philosophen. Ich bin nichts als ein geistiger Naturforscher, aber der Naturforscher vermag nichts ohne Instrumente, ohne materielle Mittel. Als ein solcher – als ein geistiger Naturforscher also schrieb ich denn auch diese meine Schrift, die folglich nichts andres enthält als das Prinzip, und zwar bereits praktisch bewährte, d. h. in concreto, an einem besondern Gegenstande – einem Gegenstande übrigens von allgemeiner Bedeutung – an der Religion dargestellte, entwickelte und durchgeführte Prinzip einer neuen, von der bisherigen Philosophie wesentlich unterschiednen, dem wahren, wirklichen, ganzen Wesen des Menschen entsprechenden, aber freilich gerade eben deswegen allen durch eine über-, d. h. widermenschliche, widernatürliche Religion und Spekulation verdorbenen und verkrüppelten Menschen widersprechenden Philosophie – einer Philosophie, welche nicht, wie ich mich schon anderwärts ausdrückte, den Gänsekiel für das einzige entsprechende Offenbarungsorgan der Wahrheit hält, sondern Augen und Ohren, Hände und Füße hat, nicht den Gedanken der Sache mit der Sache selbst identifiziert, um so die wirkliche Existenz durch den Kanal der Schreibfeder auf eine papierne Existenz zu reduzieren, sondern beide voneinander trennt, aber gerade durch diese Trennung zur Sache selbst kommt, nicht das Ding, wie es Gegenstand der abstrakten Vernunft, sondern wie es Gegenstand des wirklichen, ganzen Menschen, also selbst ein ganzes, wirkliches Ding ist, als das wahre Ding anerkennt – einer Philosophie, welche, weil sie sich nicht auf einen Verstand für sich selbst, auf einen absoluten, namenlosen Verstand, von dem man nicht weiß, wem er angehört, sondern auf den Verstand des – freilich nicht verspekulierten und verchristelten – Menschen stützt, auch die menschliche, nicht eine wesen- und namen-lose Sprache spricht, ja welche, wie der Sache, so der Sprache nach, gerade das Wesen der Philosophie in die Negation der Philosophie setzt, d. h. nur die in succum et sanguinem vertierte, die Fleisch und Blut, die Mensch gewordene Philosophie für die wahre Philosophie erklärt und daher ihren höchsten Triumph darin findet, daß sie allen plumpen und verschulten Köpfen, welche in den Schein der Philosophie das Wesen der Philosophie setzen, gar nicht Philosophie zu sein scheint.

      Als ein Spezimen dieser Philosophie nun, welche nicht die Substanz Spinozas, nicht das Ich Kants und Fichtes, nicht die absolute Identität Schellings, nicht den absoluten Geist Hegels, kurz, kein abstraktes, nur gedachtes oder eingebildetes, sondern ein wirkliches oder vielmehr das allerwirklichste Wesen, das wahre Ens realissimum: den Menschen, also das positivste Realprinzip zu ihrem Prinzip hat, welche den Gedanken aus seinem Gegenteil, aus dem Stoffe, dem Wesen, den Sinnen erzeugt, sich zu ihrem Gegenstande erst sinnlich, d. i. leidend, rezeptiv verhält, ehe sie ihn denkend bestimmt, ist also meine Schrift – obwohl andrerseits das wahre, das Fleisch und Blut gewordne Resultat der bisherigen Philosophie – doch so wenig ein in die Kategorie der Spekulation zu stellendes Produkt, daß sie vielmehr das direkte Gegenteil, ja die Auflösung der Spekulation ist. Die Spekulation läßt die Religion nur sagen, was sie selbst gedacht und weit besser gesagt, als die Religion; sie bestimmt die Religion, ohne sich von ihr bestimmen zu lassen; sie kommt nicht aus sich heraus. Ich aber lasse die Religion sich selbst aussprechen; ich mache nur ihren Zuhörer und Dolmetscher, nicht ihren Souffleur. Nicht zu erfinden – zu entdecken, »Dasein zu enthüllen« war mein einziger Zweck; richtig zu sehen, mein einziges Bestreben. Nicht ich, die Religion betet den Menschen an, obgleich sie oder vielmehr die Theologie es leugnet; nicht meine Wenigkeit nur, die Religion selbst sagt: Gott ist Mensch, der Mensch Gott; nicht ich, die Religion selbst verleugnet und verneint den Gott, der nicht Mensch, sondern nur ein Ens rationis ist, indem sie Gott Mensch werden läßt und nun erst diesen menschlich gestalteten, menschlich fühlenden und gesinnten Gott zum Gegenstande ihrer Anbetung und Verehrung macht. Ich habe nur das Geheimnis der christlichen Religion verraten, nur entrissen dem widerspruchvollen Lug- und Truggewebe der Theologie – dadurch aber freilich ein wahres Sakrilegium begangen. Wenn daher meine Schrift negativ, irreligiös, atheistisch ist, so bedenke man, daß der Atheismus – im Sinne dieser Schrift wenigstens – das Geheimnis der Religion selbst ist, daß die Religion selbst zwar nicht auf der Oberfläche, aber im Grunde, zwar nicht in ihrer Meinung und Einbildung, aber in ihrem Herzen, ihrem wahren Wesen an nichts andres glaubt, als an die Wahrheit und Gottheit des menschlichen Wesens. Oder man beweise mir, daß sowohl die historischen als rationellen Argumente meiner Schrift falsch, unwahr sind – widerlege sie – aber ich bitte mir aus – nicht mit juristischen Injurien oder theologischen Jeremiaden oder abgedroschenen spekulativen Phrasen oder namenlosen Miserabilitäten, sondern mit Gründen, und zwar solchen Gründen, die ich nicht selbst bereits gründlichst widerlegt habe.

      Allerdings ist meine Schrift negativ, verneinend, aber, wohlgemerkt! nur gegen das unmenschliche, nicht gegen das menschliche Wesen der Religion. Sie zerfällt daher in zwei Teile, wovon der Hauptsache nach der erste der bejahende, der zweite – mit Inbegriff des Anhangs – nicht ganz, doch größtenteils – der verneinende ist; aber in beiden wird dasselbe bewiesen, nur auf verschiedene oder vielmehr entgegengesetzte Weise. Der erste ist nämlich die Auflösung der Religion in ihr Wesen, ihre Wahrheit, der zweite die Auflösung derselben in ihre Widersprüche; der erste Entwicklung, der zweite Polemik, jener daher der Natur der Sache nach ruhiger, dieser lebendiger. Gemach schreitet die Entwicklung vorwärts, aber rasch der Kampf, denn die Entwicklung ist auf jeder Station in sich befriedigt, aber der Kampf nur im letzten Ziele. Bedenklich ist die Entwicklung, aber resolut der Kampf. Licht erheischt die Entwicklung, aber Feuer der Kampf. Daher die Verschiedenheit der beiden Teile schon in formeller Beziehung. Im ersten Teile also zeige ich, daß der wahre Sinn der Theologie die Anthropologie ist, daß zwischen den Prädikaten des göttlichen und menschlichen Wesens, folglich – denn überall, wo die Prädikate, wie dies vor allem bei den theologischen der Fall ist, nicht zufällige Eigenschaften, Akzidenzen, sondern das Wesen des Subjekts ausdrücken, ist zwischen Prädikat und Subjekt kein Unterschied, kann das Prädikat an die Stelle des Subjekts gesetzt werden, weshalb ich verweise auf die Analytik des Aristoteles oder auch nur die Einleitung des Porphyrius – folglich auch zwischen dem göttlichen und menschlichen Subjekt oder Wesen kein Unterschied ist, daß sie identisch sind; im zweiten zeige ich dagegen, daß der Unterschied, der zwischen den theologischen und anthropologischen Prädikaten gemacht wird oder vielmehr gemacht werden soll, sich in Nichts, in Unsinn auflöst. Ein sinnfälliges Beispiel. Im ersten Teile beweise ich, daß der Sohn Gottes in der Religion wirklicher Sohn ist, Sohn Gottes in demselben