Walt Whitman

Grashalme


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Stunde uns als Verschiedene trägt, kann sie uns doch nicht für immer als Verschiedene tragen.

       Habe Geduld – eine kleine Spanne – ich weiß nun von dir, und so grüße ich Luft, Ozean und Land,

       Jeden Tag bei Sonnenuntergang für deine teure Sache, mein Geliebtes!

      Ein Sang der Freuden

      Oh, das höchste Jubellied anzustimmen!

       Strotzend von Melodien! – Strotzend von Mannheit, Weibhaftigkeit, Kindlichkeit!

       Strotzend von gemeinsamen Dingen! Von Bäumen und Korn!

       Oh die Stimmen der Tiere! Oh die Hurtigkeit und das Gleichgewicht der Fische!

       Oh das Fallen der Regentropfen! Alles in einem Lied!

       Oh Sonnenschein! Fluten und Wogen! Alles, alles in einem Lied!

       Oh die Wonne meiner Seele – schrankenlos wie der Blitz schießt sie dahin!

       Der Besitz dieses Erdballs oder einer begrenzten Zeit genügt nicht,

       Tausend Erdbälle sollen mein sein und alle Zeit!

       Oh die Lust für einen Ingenieur, mit der Lokomotive zu fahren!

       Das Zischen des Dampfes zu hören, das fröhliche Schrillen der Dampfpfeife; das Lachen der Lokomotive.

       Auf glatter Bahn hurtig loszustürmen in die Ferne!

       Oh das wundersame Schlendern durch Felder und über Hügelhänge!

       Die Blätter und Blüten der gewöhnlichsten Kräuter, die feuchte, frische Stille der Wälder,

       Der köstliche Duft des Erdbodens bei Tagesanbruch und den ganzen Vormittag hindurch!

       Oh die Freuden des Reiters und der Reiterin!

       Der Sattel, der Galopp, der Druck auf den Sitz, das frische Sausen der Luft um die Ohren, durch das Haar!

       Oh des Feuerwehrmannes Freuden!

       Ich höre den Alarm in der totstillen Nacht.

       Glocken! Rufe! Ich dringe durch die Menge. Ich renne.

       Der Anblick der Flammen macht mich rasend vor Vergnügen!

       Oh die Freude des muskelstarken Fechters; hochaufgereckt steht er in tadelloser Verfassung in der Arena, seiner Kräfte sich bewußt, darauf brennend, seinem Gegner zu begegnen.

       Oh die Wonne der mächtigen, elementarischen Sympathie, die allein die menschliche Seele fähig ist zu erzeugen und aus sich hervorfluten zu lassen in steten, unaufhörlichen Strömen.

       Oh die Freuden der Mutter!

       Die Abwartung, die Geduld, die köstliche Liebe, die Pein, die geduldige Hingabe des Lebens.

       Oh die Freuden des zunehmenden Wachstums und der Erneuerung,

       Die Freude des Tröstens und Beruhigens, die Freude der Übereinstimmung und des Einklangs.

       Oh, mich zurück zu begeben an die Stätte meiner Geburt!

       Noch einmal die Vögel singen zu hören;

       Noch einmal um das Haus, um die Scheunen, und noch einmal durch die Felder zu schweifen;

       Durch den Obstgarten und die lieben alten Wege entlang!

       Oh, auferzogen zu sein an Meerbuchten, Lagunen, Schluchten oder am Küstenrand;

       Dort beständigen Aufenthalt zu haben, das ganze Leben dort zu verbringen;

       Der feuchte Salzgeruch, das Gestade, der Tang, der zur Zeit der Ebbe bloßgelegt wird;

       Die Arbeit der Fischer, der Aal- und Muschelfischer;

       Ich komme mit Muschelharke und Spaten; komme mit meinem Aalstecher;

       Ist schon Ebbezeit? Ich begebe mich mit den andern Muschelgräbern auf die Sandbänke;

       Ich lache und arbeite mit ihnen und bin unter meiner Arbeit lustig wie ein übermütiger junger Mann.

       Im Winter nehm' ich meinen Aalkorb und -speer und marschiere auf das Eis hinaus – ich habe eine kleine Axt, um Löcher in das Eis zu hauen;

       Sieh mich, warm angezogen, guter Dinge hinauswandern und am Nachmittag unter Begleitung einer Rotte strammer Jungen wieder zurückkommen;

       Meine Rotte erwachsener oder halbwüchsiger Jungen, die bei niemand so gern sein mögen wie bei mir,

       Die am Tage mit mir arbeiten und bei Nacht gemeinsam mit mir schlafen.

       Zu andrer Zeit wieder bei warmem Wetter hinaus, im Boot, um die Hummerkörbe zu holen, wo sie mit schweren Steinen belastet versenkt sind (ich kenne alle Bojen);

       Oh die Morgenfrische des fünften Monats auf dem Wasser, wenn ich kurz vor Sonnenaufgang nach den Bojen hinausrudere!

       Schräg zieh ich die Körbe herauf, verzweifelt wehren sich die dunkelgrünen Hummer, wenn ich sie heraufhole, Holzkeile schieb' ich in die Gelenke ihrer Kneifzangen;

       Ich rudere nach allen Stellen hin, einer nach der andern und kehre dann zum Ufer zurück;

       Dort in einem großen Kessel mit kochendem Wasser sollen die Hummern kochen, bis sie scharlachrot werden.

       Ein andermal bin ich beim Makrelenfang.

       Gefräßig, wild schnappen sie nach dem Haken, dicht unter der Oberfläche; meilenweit scheinen sie das Wasser zu füllen;

       Ein andermal beim Klippenfischfang in der Chesapeake-Bai, und ich einer von der sonnengebräunten Schar;

       Ein andermal beim Blaufischfang mit Schleppnetzen vor Paumanok; ich stehe mit straffem Leib;

       Mein linker Fuß auf dem Außenbord, mein rechter Arm wirft die aufgerollten dünnen Stricke weit hinaus;

       Rings um mich herum das hurtige Halsen und Wenden von fünfzig Schaluppen, meinen Begleitern.

       Oh das Bootfahren auf den Flüssen!

       Die Fahrt den St. Lorenzstrom hinab; die herrliche Szenerie, die Dampfer;

       Die Segelschiffe, die tausend Inseln, ab und zu Holzflöße, und die Floßlenker mit ihren langen Schwungrudern;

       Die kleinen Hütten auf den Flößen; die Rauchstreifen, wenn das Abendessen gekocht wird.

       (Oh auch etwas Verderbliches und Furchtbares!

       Etwas weitab vom kleinen und frommen Leben!

       Etwas Unerprobtes! Etwas in der Verzückung!

       Etwas vom Anker Losgerissenes und Freitreibendes!)

       Oh, in Minen zu arbeiten oder das Eisen zu schmieden.

       Eisen zu gießen; die Gießerei selbst; das grobe hohe Dach; der weite schattige Raum;

       Der Hochofen; die heiße Flüssigkeit, wie sie ausgegossen dahinläuft.

       Oh, noch einmal die Freuden des Soldaten durchleben!

       Das Gefühl der Gegenwart eines tapferen Kommandanten und seiner Sympathie.

       Seine kaltblütige Ruhe zu gewahren – sich erwärmt zu fühlen von dem Strahl seines Lächelns.

       In die Schlacht zu rücken – das Spiel der Hörner zu hören und das Rasseln der Trommeln!

       Das Krachen der Artillerie zu hören! – das Glitzern der Bajonette und der Gewehrläufe in der Sonne!

       Männer fallen und sterben zu sehen ohne Klage!

       Den wilden Blutgeschmack zu schmecken – so teuflisch sein zu können!

       So über den Tod und die Wunden der Feinde zu triumphieren!

       Oh die Freuden des Walfischfängers! – Oh, ich kreuze noch einmal meine alte Kreuzerfahrt!

       Unter mir fühl' ich das Schaukeln des Schiffes; fühle das Fächeln der atlantischen Brise.

       Noch einmal hör' ich den Ruf vom Mastkorb herab: »Da – blasen sie!«