welche voll zärtlicher Perfidie und rührender Eigensucht waren. „Du liebst eine Frau mehr als mich“, sagte sie; „also liebst Du mich nicht mehr! Wo sind die Tage von Passy geblieben, wo sind die Gefühle, die ausschließlich Deiner Mutter geweiht waren? Wie sehne Ich mich nach der Zeit zurück, als Du mir schriebst: Wenn Du mir zurückgegeben sein wirst, will ich Dich keinen Tag, keine Stunde mehr verlassen! Warum bin ich nicht wie so viele Andere 1793 gestorben! dann würdest Du mich so in Deinem Herzen bewahrt haben, wie Du mich damals darin trugst, und ich hätte nie eine Nebenbuhlerin gehabt!“
Was konnte er einer so leidenschaftlichen Liebe erwiedern? Moritz weinte, antwortete nichts, und verschloß sein Geheimniß in seiner Seele.
Er kehrte nach Paris zurück, ohne sich entdeckt zu haben und lebte ruhig und zurückgezogen in seiner einfachen Häuslichkeit. Meine gute Tante Lucie war im Begriff, sich mit einem Offizier, einem Freunde meines Vaters zu verheirathen, und sie pflegten sich zu kleinen Familienfesten mit einigen Freunden zu vereinigen. Eines Tages hatten sie einige Quadrillen getanzt; meine Mutter trug gerade ein hübsches rosenfarbnes Kleid und mein Vater spielte auf seiner treuen Cremoneser Geige eine Tanzmelodie eigner Erfindung. Meine Mutter war ein bischen leidend, verließ die Tanzenden und ging in ihr Zimmer. Da ihr Gesicht nicht entstellt war, und da sie sich in größter Ruhe fortbegeben hatte, wurden die Contretänze fortgesetzt. Bei dem letzten Chassez-huit begab sich meine Tante Lucie in das Zimmer meiner Mutter und rief in demselben Augenblicke: Kommen Sie, kommen Sie, Moritz! Sie haben eine Tochter!
„Sie soll Aurora heißen, wie meine gute Mutter, die nicht hier ist, um sie zu segnen, aber die sie eines Tages segnen wird,“ sagte mein Vater, indem er mich in seine Arme nahm.
Es war der 5. Juli 1804, im letzten Jahre der Republik und im ersten des Kaiserreichs.
„Ihre Geburt war von Musik und Rosenroth umgeben, sie wird glücklich sein!“ rief meine Tante.
Neunzehntes Kapitel.
Die Zeit dieser Arbeit. — Mein Signalement. — Naive Ansichten meiner Mutter über die Civil-Ehe und kirchliche Ehe. — Das Mieder der Madame Murat. — Allgemeine Ungnade des Generalstabes. — Herzensqualen. — Mütterliche Diplomatik.
Alles Vorhergehende ist unter der Regierung Ludwig Philipp's geschrieben. Am 1. Juni 1848 nehme ich die Arbeit wieder auf und bewahre die Erzählung alles dessen, was ich während dieses Zeitraums gesehen und empfunden habe, für eine andere Phase meiner Geschichte auf.
Ich habe viel gelernt, viel erlebt, viel gealtert während dieser kurzen Unterbrechung, und vielleicht trugen diese verspäteten und plötzlichen Erfahrungen über das allgemeine Leben dazu bei, mich die Ideen, die mein ganzes Leben erfüllten, so würdigen zu lehren, wie ich jetzt thue. Ich werde nicht weniger streng gegen mich selbst sein, aber Gott weiß, ob ich noch denselben unbefangenen Glauben, denselben vertrauenden Eifer haben werde, die mich innerlich stützten. Wenn ich mein Buch vor der Revolution beendigt hätte, würde es ein anderes geworden sein, nämlich das eines Einsiedlers, eines großherzigen Kindes, wie ich zu sagen wage, denn ich hatte die Menschheit nur an Individuen studirt, die oft Ausnahmen waren und von mir immer mit Muse beobachtet wurden. Seitdem habe ich, mit den Augen, einen Feldzug in der Welt der Thatsachen mitgemacht und bin nicht so daraus hervorgegangen, wie ich war, als er begonnen wurde. Ich habe dabei die Illusionen der Jugend verloren, die ich, als ein Vorrecht meines zurückgezogenen und beschaulichen Lebens, länger bewahrt hatte, als dies gewöhnlich der Fall ist.
Mein Buch wird also ein trauriges sein, wenn ich unter dem Einflusse des Eindrucks bleibe, den ich in der letzten Zeit empfangen habe. Aber wer weiß? Die Zeit geht schnell und endlich ist die Menschheit nicht anders als ich bin, d. h. sie läßt sich mit großer Leichtigkeit entmuthigen und wieder ermuthigen. Gott behüte mich, wie J. J. Rousseau zu glauben, ich sei besser, als meine Zeitgenossen, und ich hätte das Recht, sie zu verfluchen. Jean Jacques war krank, als er seine Sache von der der Menschheit trennen wollte.
Wir haben Alle in diesem Zeitalter mehr oder weniger von der Krankheit Rousseau's gelitten — wir wollen uns bemühen mit Gottes Hülfe zu genesen.
Ich kam also am 5. Juli 1804 zur Welt, während mein Vater die Violine spielte und meine Mutter ein hübsches rosa Kleid trug, und hatte wenigstens den Theil des Glückes, das meine Tante Lucie mir prophezeite, daß ich meiner Mutter keine langen Leiden bereitete. Ich wurde als legitime Tochter geboren, das würde aber nicht geschehen sein, hätte mein Vater die Vorurtheile seiner Familie nicht so entschlossen bei Seite geworfen. Es war ein Glück für mich, ohne das sich meine Großmutter vielleicht meiner nicht so liebevoll angenommen hätte, wie sie später that, und ich würde dann eines kleinen Schatzes von Ideen und Kenntnissen beraubt worden sein, der mein Trost in den Schmerzen des Lebens gewesen ist.
Ich war von starker Constitution und versprach während meiner ganzen Kindheit sehr schön zu werden — ein Versprechen, das ich durchaus nicht gehalten habe. Vielleicht ist es meine Schuld, denn in dem Alter, wo die Schönheit erblüht, verbrachte ich meine Nächte schon mit Lesen und Schreiben. Als Tochter zweier vollkommen schöner Menschen hätte ich nicht ausarten sollen, und meine arme Mutter, die Schönheit höher schätzte, als alles Andere, machte mir oft naive Vorwürfe darüber. Ich meinestheils habe mich niemals entschließen können, große Sorgfalt auf meine Person zu verwenden. Ebenso sehr wie ich die äußerste Reinlichkeit liebe, ebenso sehr scheint mir eine gesuchte Weichlichkeit unerträglich. Der Arbeit zu entsagen, um ein klares Auge zu haben; sich nicht dem Sonnenschein auszusetzen, wenn Gottes schöne Sonne uns unwiderstehlich anzieht; nicht in guten, großen Holzschuhen zu gehen, aus Furcht, die Form der Füße zu verderben; Handschuhe zu tragen, d. h. auf die Geschicklichkeit und Kraft seiner Hände zu verzichten, sich zu einem ewig linkischen Wesen, zu einer ewigen Schwäche zu verurtheilen; sich niemals anzustrengen, wenn doch Alles uns auffordert, uns nicht zu schonen; mit einem Worte: unter einer Glocke zu leben, um nicht von der Sonne gebräunt zu werden, nicht rauhe Haut zu haben und vor der Zeit zu welken — das ist mir nie möglich gewesen. — Meine Großmutter verschärfte noch die Verweise meiner Mutter und das Kapitel der Hüte und Handschuhe war die Verzweiflung meiner Kindheit, aber obgleich ich nicht gern widerspenstig war, konnte mich der Zwang doch nicht beugen. — Ich bin nur einen Augenblick frisch und niemals schön gewesen. Meine Züge sind ziemlich regelmäßig, aber ich dachte nie daran, ihnen den geringsten Ausdruck zu geben. Die Gewohnheit einer Träumerei, von der ich mir selbst nicht Rechenschaft ablegen könnte, die mir aber fast schon in der Wiege eigen war, gab mir frühzeitig ein „einfältiges“ Ansehen. Ich sage das Wort gerade heraus, denn mein ganzes Lebenlang: während meiner Kindheit, im Kloster, im Schooße meiner Familie hat man es mir gesagt, und so muß es wohl wahr sein.
Im Ganzen war ich in meiner Jugend, mit meinen Haaren, Augen und Zähnen und ohne irgend eine Verunstaltung, weder häßlich noch schön zu nennen — ein Vortheil, der nach meiner Ansicht sehr wichtig ist; denn die Häßlichkeit stößt Vorurtheile in dem einen Sinne ein, die Schönheit in einem andern. Von einem glänzenden Aeußern erwartet man zuviel, einem abstoßenden mißtraut man zu sehr. Es ist besser ein gutes Gesicht sein eigen zu nennen, das Niemand blendet und Niemand erschreckt — und ich habe mich dabei mit meinen Freunden beider Geschlechter immer wohl befunden.
Ich habe von meinem Gesichte gesprochen, um damit nun fertig zu sein. In der Geschichte eines Frauenlebens droht dieses Kapitel sich unendlich in die Länge zu ziehen und könnte den Leser erschrecken. Ich habe mich dem Gebrauche gefügt, das Aeußere der Personen zu beschreiben, die man auftreten läßt, und that es gleich bei den ersten Worten, die mich selbst betreffen, um mich dadurch dieser Kinderei völlig und für die ganze Folge meiner Erzählung zu entledigen. Vielleicht hätte ich mich auch gar nicht darauf einlassen sollen, aber ich richtete mich nach der herrschenden Sitte und fand, daß selbst sehr ernste Männer nicht glaubten, sich dieser entziehen zu dürfen — es würde also vielleicht den Anschein einer Anmaßung gehabt haben, wenn ich der, oft ein wenig einfältigen Neugier des Lesers die kleine Schuld nicht bezahlt hätte.
Indessen wünsche ich, daß man sich in Zukunft von dieser Anforderung der Neugierigen frei macht, und daß man, wenn man durchaus gezwungen ist, sein Portrait zu