mein Freund,« fuhr er, sich an seinen Lakaien wendend, fort, »wir gehen für den Augenblick nicht weiter.«
»Wie!« rief Castorin, in seinen Hoffnungen ebensosehr getäuscht, wie sein Gebieter, »was sagte der gnädige Herr?«
»Ich sage, Mademoiselle Francinette wird diesen Abend des Glücks dich zu sehen beraubt sein, weil wir die Nacht im Gasthof zum Goldenen Kalb zubringen. Gehe also hinein, bestelle ein Abendessen und laß mir ein Bett bereiten.«
Sodann stieg der Reiter ab, warf seinem Lakaien die Zügel zu und war mit zwei Sprüngen vor dem Zimmer des jungen Edelmannes, der, als er plötzlich seine Tür aufgehen sah, sich einer Mischung von Verwunderung und Furcht nicht erwehren konnte, die jedoch der Ankömmling wegen der Dunkelheit nicht wahrnahm.
»Also,« sagte der Reisende, sich heiter dem jungen Manne nähernd und herzlich seine Hand schüttelnd, die man ihm möglichst schnell entzog, »also es ist abgemacht, ich verdanke Euch das Leben.«
»Ah, Herr, Ihr übertreibt den Dienst, den ich Euch geleistet habe,« entgegnete der Jüngling und machte einen Schritt rückwärts.
»Nein, keine Bescheidenheit, es ist, wie ich Euch sage. Ich kenne den Herzog von Epernon, er ist ein verdammt roher Geselle. Ihr aber seid ein Muster von Scharfsichtigkeit, ein Ausbund christlicher Menschenliebe. Doch sagt mir, da Ihr so liebenswürdig und so mitleidig seid, habt Ihr Eure Güte so weit getrieben, auch Kunde bis in das Haus gelangen zu lassen?«
»In welches Haus?« – »In das Haus, wohin ich mich begeben wollte, wo man mich erwartet.«
»Nein,« sagte der junge Mann, »ich gestehe, ich dachte nicht daran, und hätte ich auch daran gedacht, so hätten mir doch keine Mittel zu Gebot gestanden. Ich bin selbst erst seit zwei Stunden hier und kenne niemand in jenem Hause.«
»Ah, Teufel!« rief der Reisende mit einer Regung von Unruhe. »Arme Nanon, wenn ihr nur nichts geschieht!«
»Nanon! Nanon von Lartigues!« rief der junge Mann erstaunt.
»Ah! Wißt Ihr denn alles?« sagte der Reisende. »Sehet zu, daß Euch nicht das Parlament wegen Zauberei verbrennt.«
»Diesmal werdet, Ihr zugestehen,« versetzte der junge Mann, »daß nicht viel Witz dazu gehörte, um Euch auf die Fährte zu kommen. Sobald Ihr den Herzog von Epernon als Euren Nebenbuhler genannt hattet, war es offenbar, daß die Nanon, die Ihr nanntet, Nanon von Lartigues sein mußte, die Schöne, die Reiche, die durch ihren Geist Glänzende, die den Herzog behext hat und in seiner Statthalterschaft regiert, weshalb sie von der ganzen Guienne beinahe ebensosehr verflucht wird, wie er selbst. Und Ihr wart auf dem Wege zu dieser Frau?« fuhr der Jüngling im Tone des Vorwurfs fort.
»Wahrhaftig, ich gestehe es, und da ich sie einmal genannt habe, so verleugne ich sie nicht. Überdies wird Nanon verkannt und verleumdet. Sie ist eine reizende Person und ihren Versprechungen äußerst getreu, solange sie ein Vergnügen darin findet, sie zu halten, und dem, den sie liebt, treu ergeben, solange sie ihn liebt. Ich sollte diesen Abend mit ihr speisen, aber der Herzog hat den Fleischtopf umgeworfen. Wünscht Ihr, daß, ich Euch morgen bei Nanon vorstelle? Zum Teufel! der Herzog wird wohl früher oder später nach Agen zurückkehren müssen.«
»Ich danke,« erwiderte der junge Edelmann mit trockenem Tone, »Ich kenne Fräulein von Lartigues nur dem Namen nach und wünsche sie nicht anders kennen zu lernen.«
»Ihr habt bei Gott unrecht. Nanon ist in jeder Beziehung ein gutes Mädchen.«
Der junge Mann faltete die Stirn.
»Ah, um Vergebung,« versetzte der Reisende erstaunt, »aber ich glaubte, in Eurem Alter ...«
»Mein Alter ist allerdings das, in dem man dergleichen Vorschläge gewöhnlich annimmt,« versetzte der Jüngling, als er die üble Wirkung bemerkte, die sein strenges Wesen hervorbrachte, »und ich würde ihn ebenfalls gern annehmen, wäre ich nicht hier auf der Durchreise und genötigt, meinen Weg noch in dieser Nacht fortzusetzen.«
»Oh! bei Gott, Ihr werdet wenigstens nicht gehen, bevor ich weiß, wer der edle Ritter ist, der mir auf eine so zuvorkommende Weise das Leben gerettet hat.«
Der junge Mann schien zu zögern; dann, nach einem Augenblick, sagte er: »Ich bin der Vicomte von Cambes.«
»Ah, ah!« rief der andere, »ich hörte von einer reizenden Vicomtesse von Cambes sprechen, die eine bedeutende Anzahl von Gütern rings um Bordeaux besitzt und die Freundin der Frau Prinzessin ist.«
»Das ist meine Verwandte,« sagte der Jüngling lebhaft.
»Wahrhaftig, ich mache Euch mein Kompliment, Vicomte, denn man nennt sie unvergleichlich. Ich hoffe, wenn mich die Gelegenheit in dieser Hinsicht begünstigt, werdet Ihr mich bei ihr vorstellen. Ich bin der Baron von Canolles, Kapitän im Regiment Navailles, und benütze im Augenblick einen Urlaub, den mir der Herzog von Epernon auf Empfehlung des Fräulein von Lartigues bewilligt hat.«
»Der Baron von Canolles!« rief der Vicomte und schaute ihn mit der ganzen Neugierde an, die der in den galanten Abenteuern jener Zeit berühmte Name bei ihm erweckte.
»Ihr kennt mich?« – »Nur dem Rufe nach.«
»Dem schlimmen Rufe nach, nicht wahr? Was wollt Ihr? Jeder folgt seiner Natur, und ich, ich liebe das bewegte Leben.«
»Es steht Euch vollkommen frei, mein Herr, zu leben, wie es Euch zusagt. Erlaubt mir jedoch eine Bemerkung.« – »Welche?« – »Es wird hier eine Frau Euretwegen furchtbar gefährdet, und der Herzog wird sich dafür, daß er durch Euch hintergangen worden ist, rächen.«
Es bedurfte nur dieses einen Wortes, den Baron alle seine Geisteskräfte anspannen zu lassen, um seiner gefährdeten Geliebten Hilfe zu bringen, das heißt, sie zunächst von der Gefahr zu benachrichtigen. Schnell entwarf er den Plan, durch die Hintertür des Gasthofs sich zu entfernen und an die Hintertür von Nanons Hause zu pochen. Der besonnene Vicomte wies ihn aber auf das Bedenkliche und Gefährliche dieses Planes hin und schlug seinerseits vor, der Baron von Cambes solle einen Brief schreiben und diesen durch seinen Lakaien zu Nanons Hause tragen lassen.
»Ich will meinen Kopf verlieren,« rief der Baron erfreut, »wenn Castorin den Auftrag nicht vortrefflich vollzieht, um so mehr, als ich vermute, daß der Bursche ein Einverständnis im Hause hat.«
Unverzüglich ließ er sich Tinte, Feder und Papier geben und schrieb folgenden Brief an Nanon von Lartigues.
»Liebe Dame!
»Hundert Schritte von Eurer Tür könnt Ihr, wenn Euch die Natur die Fähigkeit verliehen hat, in der Nacht zu sehen, in einer Baumgruppe den Herzog von Epernon erblicken, der mich erwartet, um mich totschießen zu lassen und Euch hernach furchtbar zu kompromittieren. Aber ich wünsche ebensowenig das Leben zu verlieren, wie Euch Eure Ruhe verlieren zu lassen. Bleibt also unbesorgt, Ich meinerseits will ein wenig den Urlaub benützen, den Ihr mir neulich auswirktet, damit ich Euch besuchen könnte. Wohin ich gehe, weiß ich nicht, und ich weiß sogar nicht, ob ich überhaupt irgendwohin gehe. Wie dem sein mag, ruft Euren Flüchtling zurück, sobald der Sturm vorüber ist. Man wird Euch im Goldenen Kalbe sagen, welchen Weg ich eingeschlagen habe. Hoffentlich werdet Ihr mir für das Opfer Dank wissen, das ich mir auferlege. Eure Interessen sind mir teurer, als mein Vergnügen. Ich sage mein Vergnügen, denn es hätte mir Freude gemacht, Herrn von Epernon und seine Henkersknechte unter ihrer Verkleidung durchzuprügeln. Glaubt also, liebe Seele, daß ich Euer ergebener, und vor allem sehr treuer Diener bin.«
Canolles unterzeichnete, diese gascognische Prahlerei, deren Wirkung auf die Gascognerin Nanon er kannte, rief dann seinen Bedienten und beauftragte diesen, das Billett, ohne daß es sonst jemand bemerkte, durch die Hintertür seiner Francinette zu überreichen, damit diese es ihrer Herrin übergebe.
Castorin ging wie der Blitz. Aber unten an der Treppe blieb er stillstehen und steckte das Billett gegen alle Regel oben in seinen Stiefel; dann entfernte er sich durch die, Tür des Geflügelhofes, machte einen langen Umweg, klopfte an die geheime Tür auf die besondere zwischen ihm und Nanons Zofe verabredete Art, und dieses Klopfen war auch so wirksam, daß