ihren Posten in der Kinderstube.
Penelope hustete ein- oder zweimal im Schlaf.
»Warum nur dieser Doktor nicht kommt. – Mortimer, es ist gewiß zu warm im Zimmer. Mache den Schieber zu – schnell!«
Ich schloß die Luftheizung ab, sah nach dem Thermometer und fragte mich, ob denn 14° wirklich zu warm sei für ein krankes Kind.
Der Kutscher kam jetzt aus der Stadt mit der Nachricht, daß unser Hausarzt krank zu Bette liege. Meine Frau warf mir einen verlöschenden Blick zu und sagte mit sterbender Stimme:
»Es ist der Wille der Vorsehung. So war es vorher bestimmt. – Noch nie ist er krank gewesen, nie! Wir haben nicht so gelebt wie wir sollten, Mortimer. Immer und immer wieder habe ich es dir gesagt. Nun siehst du, wohin es führt. Unser Kind wird niemals wieder gesund werden. Danke Gott, wenn du es dir je verzeihen kannst – ich kann es mir nicht vergeben.«
Ich sagte, ohne die Worte genau zu wählen, aber durchaus nicht in der Absicht, sie zu kränken, es sei mir nicht bewußt, daß wir ein so gottloses Leben geführt hätten.
»Mortimer – willst du das Gericht Gottes auch über den Kleinen heraufbeschwören?«
Sie brach in Thränen aus – aber plötzlich rief sie:
»Der Doktor muß doch Arznei geschickt haben!«
»Gewiß,« versetzte ich; »hier ist sie. Ich habe nur auf den passenden Moment gewartet, es dir zu sagen.«
»So gieb sie doch her; weißt du nicht, daß jetzt jeder Augenblick kostbar ist! Aber ach, wozu schickt er überhaupt Arzenei, wenn er doch weiß, daß alles vergebens ist.«
Ich sagte, wo noch Leben wäre, sei auch noch Hoffnung.
»Hoffnung! – Mortimer, du weißt so wenig was du sprichst, wie ein neugeborenes Kind. Wenn du nur – Welcher Unsinn – die Anweisung sagt: alle Stunde einen Theelöffel! Einmal stündlich – als ob wir ein ganzes Jahr vor uns hätten, um das Kind zu retten! Mortimer, schnell, gieb dem armen verschmachtenden Würmchen einen Eßlöffel voll; nur diesmal beeile dich!«
»Aber, mein Herz, ein Eßlöffel voll könnte –«
»Mache mich nicht toll! ... Hier, mein Engelchen, mein süßes, nimm das häßliche bittere Zeug; es ist gut für Nelly, für Mamas süßen, kleinen Liebling und soll sie gesund machen. Da, da, da, lege dein Köpfchen an Mütterchens Brust und schlaf ein, damit du bald – – o, ich weiß, sie wird den Morgen nicht erleben! – Mortimer, einen Eßlöffel alle halbe Stunde! Aber das Kind sollte auch Belladonna nehmen und Acconit. Hole die Fläschchen, Mortimer. Bitte, thue was ich sage; du verstehst ja doch nichts davon.«
Wir stellten nun das Bett des Kindes dicht an das Kopfende meiner Frau, und legten uns nieder. Das viele Durcheinander hatte mich schrecklich müde gemacht, und in zwei Minuten war ich halb eingeschlafen.
Meine Frau weckte mich.
»Männchen, ist die Luftheizung offen?«
»Ich glaube nicht.«
»Das habe ich mir gedacht. Bitte, mache den Schieber gleich auf; das Zimmer ist kalt.«
Ich schob ihn auf und schlief wieder ein; da wurde ich nochmals geweckt.
»Bester Mann, du könntest doch so gut sein, das Bettchen an deine Seite zu stellen, es ist näher an der Heizung.«
Ich stellte das Bett an meine Seite, verwickelte mich aber in den Bettteppich und weckte das Kind. Wieder verfiel ich in Schlaf, während meine Frau die kleine Kranke beruhigte. Aber nicht lange, so kamen wie aus weiter Ferne durch den Nebel meiner Schlaftrunkenheit die Worte an mein Ohr:
»Mortimer, wenn wir nur etwas Gänsefett hätten – bitte, willst du klingeln.«
Ich kletterte im Halbschlaf heraus und trat auf die Katze, welche mit einem lauten Protest antwortete; ich wollte ihr dafür einen Fußtritt verabreichen, aber der Stuhl bekam ihn statt der Katze.
»Mortimer, was fällt dir ein? Warum drehst du den Gashahn auf? Willst du das Kind zum zweitenmal wecken?«
»Ich will sehen, ob ich mir Schaden gethan habe, Karoline.«
»Dann sieh nur auch den Stuhl an; ich bin überzeugt, er ist in Stücken. Die arme Katze; wenn du nun – –«
»Die Katze ist mir völlig gleichgültig. Das alles wäre nicht geschehen, wenn du Marie hier behalten hättest, um diese Pflichten zu übernehmen, die sie angehen, und nicht mich.«
»Du solltest dich schämen, Mortimer, eine solche Bemerkung zu machen. Wahrhaftig, wenn du die Kleinigkeiten, um die ich dich bitte, nicht einmal besorgen willst – da doch unser Kind – –«
»Schon gut, ich will ja alles thun. Aber kein Mensch hört auf mein Läuten. Sie sind wahrscheinlich alle zu Bett gegangen. – Wo steht das Gänsefett?«
»Auf dem Kamin im Kinderzimmer. Wenn du hingehen willst und mit Marie sprechen – –«
Ich holte das Gänsefett und schlief wieder ein. Abermals wurde ich gerufen: »Mortimer, es ist mir schrecklich, dich zu stören, aber das Zimmer ist noch immer zu kalt, wenn ich die Einreibung machen soll. Könntest du nicht das Feuer anzünden? Es ist alles zurechtgelegt, du brauchst nur ein Schwefelhölzchen hineinzustecken.«
Ich kroch aus dem Bett, machte das Feuer an, und setzte mich als Jammergestalt daneben.
»Mortimer, du erkältest dich zu Tode, wenn du da sitzen bleibst. Komm zu Bett!«
Ich wollte hineinsteigen, da sagte sie:
»Nur einen Augenblick! Bitte, gieb dem Kinde noch etwas Arzenei.« – Das that ich, und meine Frau benutzte die Gelegenheit, da die Kleine doch einmal wach war, sie auszuziehen und über und über mit dem Gänsefett einzuschmieren. Bald schlief ich von neuem – aber nicht lange.
»Mortimer, es zieht irgendwo; ich fühle es ganz deutlich. Nichts ist verhängnisvoller bei solcher Krankheit, als Zugwind. Bitte, stelle das Kinderbett näher ans Feuer.« Das that ich, und verwickelte mich wieder in den Bettteppich, den ich ins Feuer warf. Meine Frau sprang aus dem Bett und rettete ihn, wobei wir etwas an einander gerieten. Nun folgte wieder eine kleine Schlafpause, bis mir befohlen wurde, einen Umschlag von Leinsamen zu machen. Dieser wurde dem Kinde auf die Brust gelegt, um dort seine heilende Wirkung zu üben.
Ein Holzfeuer hat nicht lange Bestand. Alle zwanzig Minuten stand ich auf, um das unsrige anzufachen und Holz nachzulegen; dadurch verkürzten sich auch die Zwischenräume beim Eingeben der Arzenei um zehn Minuten, was meiner Frau eine große Erleichterung war. Dazwischen erneuerte ich die Umschläge und legte einen Senfteig oder andere Zugpflaster überall da auf, wo noch eine freie Stelle an dem Kinde zu finden war. Endlich, gegen Morgen, war das Holz verbraucht, und meine Frau meinte, ich solle in den Keller gehen, um welches zu holen.
»Das ist eine schwere Arbeit, liebes Kind,« bemerkte ich. »Der Kleinen ist gewiß warm genug bei ihren vielen Umhüllungen. Wir können ihr ja auch noch eine Lage Brei auflegen und –«
Ich kam nicht zu Ende, denn ich wurde unterbrochen. Eine Weile schleppte ich Holz herauf und kroch dann wieder in mein Bett. Bald schnarchte ich, wie nur ein Mensch schnarchen kann, der völlig abgemattet ist, an Körper und Geist, Bei Tagesanbruch fühlte ich ein Rütteln an meiner Schulter, was mich schnell zur Besinnung brachte. Meine Frau stand mit stierem Blick vor mir und rang nach Luft. Sobald sie sprechen konnte, sagte sie:
»Es ist alles aus – alles aus! – Das Kind schwitzt. Was fangen wir an?«
»Mein Gott, wie du mich erschreckt hast! Ich weiß nicht was ich dir raten soll. Vielleicht wenn wir alles abkratzten und Penelope wieder in den Zug brächten –«
»Welcher Blödsinn! – Jetzt ist kein Augenblick zu verlieren! Hole den Doktor, schnell! Du mußt selbst gehen. Bringe ihn her, tot oder lebendig.«
Ich zerrte den armen kranken Mann aus dem Bett und brachte ihn zu uns. Er sah das Kind an und sagte, es läge nicht