Robert Kraft

Ein moderner Lederstrumpf


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müssen: ich weiss es nicht, ich glaube es nur, ich nehme es an. Ich weiss nicht, ob Hassan jedes meiner Worte versteht. Manchmal muss ich es fast annehmen, aber dann sträube ich mich wieder gegen den Glauben, diesem Hunde fehle nichts weiter als die Sprache und die menschliche Form, um ein Mensch zu sein. Nein, ein Thier ist es. Ich glaube das Geheimniss in etwas Anderem gefunden zu haben. Verliere ich etwas unterwegs, Hassan wird es mir nachbringen. Lese ich in einer Zeitung, der Wind entführt mir das Blatt, Hassan wird es mir ohne Aufforderung zurückbringen. Sage ich zu ihm: hole mir dies und jenes — und er kennt den Namen des Gegenstandes — er wird ihn mir sofort bringen. Das thut jeder gut dressirte Hund. Dieser Hund ist aber gar nicht dressirt! Hebe ich einen Stein vor ihm auf, werfe ihn fort — Hassan, hole ihn! — er wird mich erstaunt ansehen, warum ich denn den Stein erst fortwerfe, und wenn ich mein Verlangen mehrmals wiederhole, mehrmals Steine fortwerfe, würde er mich verlassen und irgendwo kläglich verenden. Ich weiss es, deshalb wage ich solch' ein Experiment gar nicht, ich habe es früher bei anderen Hunden probirt. Sehen Sie, als ich dies erkannte, da bin ich erschrocken gewesen. Was soll man davon denken? Ist dies nicht menschlicher Verstand, der Zweck von Zwecklosigkeit zu unterscheiden weiss? Ich habe so lange darüber nachgegrübelt, bis ich die Erklärung gefunden zu haben glaube. Wir sagen: der Mensch, und auch das höher entwickelte Thier, hat fünf Sinne. Solch' eine Eintheilung dürfte aber doch recht illusorisch sein. Wir haben offenbar noch mehr Sinne, wir sind uns dessen nur nicht bewusst, deshalb haben wir keine Bezeichnung dafür. Ich bin fest überzeugt, dass der Mensch mit seiner Entwickelung in der Cultur Sinne verloren hat. Ich will Sie in ein finsteres Zimmer stellen, Sie einige Male im Kreise herumdrehen, und Sie können mir nicht sagen, wo Ost und wo West ist. Thun Sie dasselbe mit einem Wilden, mit einem von der Jagd lebenden Indianer, und er wird Ihnen immer ganz genau angeben können, wo Sonnenaufgang und Sonnenuntergang ist. Das ist der uns Culturmenschen verloren gegangene Orientirungssinn. Dann habe ich auch noch einen anderen Sinn erkannt, den ich den des Gleichgewichts nennen möchte. Ich kannte einen Mann, einen Ingenieur, ein grosser Turner und Radfahrer und vor allen Dingen ein sehr gewandter Salonmensch. Er wurde einmal zwischen einer Maschinerie am Kopfe gequetscht und musste hinter beiden Ohren operirt werden. Es hatte gar nichts zu sagen, er genas, sein Gehirn und Denkvermögen hatte nicht im mindesten gelitten, er war noch ganz derselbe Ingenieur. Auffallend war nur, dass er das Gehen erst wieder wie ein kleines Kind von Neuem lernen musste; auf einem Beine stehen konnte er nicht mehr; er besass noch dieselben Muskeln, dieselbe Beweglichkeit, aber mit dem Turnen war es für immer vorbei; nie wieder kam er auf ein Rad hinauf, er fiel immer herunter; und mit einem Male war er ein schüchterner, zaghafter Mensch geworden, der in der Gesellschaft den Mund nicht aufzuthun wagte, vor lauter Verlegenheit fortwährend Dummheiten beging. Aber dabei war er immer noch derselbe geistvolle Ingenieur. Er hatte den Sinn des Gleichgewichts verloren. Nun wieder zu dem Hunde. Durch jahrhundertlange Erziehung und Behandlung hat sich bei seiner Race ein besonderer Sinn entwickelt, welchen ich den der Sympathie nennen will. Das ist also eine Art von Ahnung, oder richtiger sehen ohne Auge, riechen ohne Nase, fühlen ohne Tastsinn: Meinetwegen mag man es auch Instinct nennen, obgleich dies gar nichts bedeutet. Ich nenne es Sympathie. Wenn man Hassan mit Zucker und Peitsche behandeln wollte, so würde man mit der Zeit sicher einen vorzüglich dressirten Hund aus ihm machen, aber ich bin überzeugt, dass er, wenn er über den Stock springen und Pfötchen geben kann, auch diesen besonderen Sinn der Sympathie wieder verloren haben würde. Ich sagte Ihnen schon,dass Hassan kein Wasser anrührt, in welches Jemand seine Hand getaucht hat, er braucht es gar nicht gesehen zu haben. Nun, das könnte er ja riechen. Dasselbe ist aber natürlich auch bei der Milch der Fall. Bei der Milch ist eine Berührung mit der Hand kaum zu vermeiden, sie wird gemolken. Das genirt den Hund nicht. Es trägt ihm Jemand Wasser oder Milch zu, die Schüssel kippt, seine Hand kommt mit der Flüssigkeit wiederholt in Berührung — der Hund trinkt sie ruhig. Sobald aber Jemand, oder auch ich selbst, hinter seinem Rücken, in einer anderen Stube, mit Absicht die Hand hineintauche, rührt er sie nicht mehr an. Woher er es weiss? Mir ist es unfassbar. Er ahnt es, er fühlt es, eben durch einen besonderen Sinn.«

      »Das ist allerdings wunderbar,« sagte Ellen. »Da kann ich Ihnen eine Ergänzung geben. Einige englische Gelehrte haben jüngst ihre Beobachtungen über Vögel veröffentlicht; sie behaupten, dass die Vögel frisches Wasser nicht nur durch Gesicht und Geruch wahrnehmen.«

      »Und da haben sie Recht. Ich selbst habe mich davon überzeugt bei durstigen Hühnern. Sie finden das frische Wasser immer, man mag den Saufnapf noch so gut verstecken, auch wenn man ihnen Nasenlöcher und Augen mit Wachs verklebt. Sie wittern es auf eine andere Weise. Nun aber etwas Anderes, was beweist, dass dieser Sinn, den ich meine, wirkliche Sympathie ist. Um wen ich mich nicht kümmere, um den kümmert sich auch Hassan nicht. Einmal hatte ich gegen einen Menschen einen Widerwillen, liess es mir aber nicht merken, durch kein Wort, durch keinen Blick. Plötzlich fing Hassan, was er sonst nie thut, zu knurren an, sobald sich dieser Mensch ihm näherte, und wehe ihm, hätte er ihn anzufassen gewagt. Ein anderes Mal hatte ich gegen eine Person eine herzliche Zuneigung gefasst. Sie ahnte es nicht, Niemand ahnte es, ich wusste meine Gedanken zu zähmen. Plötzlich war der Hund um diese Person herum, liebkoste sie, rieb sich an ihr — ich staunte selbst — Hassan hätte mich bald verlassen, um ihr zu folgen. Das ist Sympathie, er fühlt wie ich.«.

      Ellen gab keine Entgegnung mehr, sie blickte zur Seite, die Lippen fest geschlossen.

      Ja, dieser Mensch hatte durch die unnatürliche Ruhe, die er sich angeeignet, auch einen Sinn verloren, den man sonst von jeder gebildeten Person verlangt.

      Wusste denn Starke gar nicht, wie beleidigend er einem jungen, feinempfindenden Mädchen gegenüber sprach?

      Das hiess ja mit anderen Worten, auf gut deutsch gesagt: Du bist mir völlig schnuppe, das erkennst du aus dem Benehmen meines Hundes.

      Nun, bei solch' einem originellen Charakter musste man eben ein Loch zurückstecken.

      Ellen wandte das Gesicht wieder ihm zu.

      »Bei derartigen Eigenschaften ist die Liebe des Beduinen zu seinem Hunde begreiflich.«

      »Liebe? Es ist mehr Hochachtung. Freilich ist auch Liebe dabei, Freundschaftsliebe. Das ist es eben. Sie werden auch nicht von Ihrem Freunde verlangen, dass er zehnmal hintereinander den Stein apportirt oder aus Gefälligkeit eine ähnliche, den Menschen entsprechendere Handlung ausführt. Sonst ist er am längsten Ihr Freund gewesen. Das nennt man cujoniren. Allerdings, nach langer Trennung, da kann man auch bei dem ernsten, schweigsamen Beduinen und seinem stolzen Hunde die Liebe hervorbrechen sehen. Kommt er nach tagelangem Wüstenritt heim, so fliegt ihm der Hund entgegen, springt ihm in den Sattel und küsst seinen menschlichen Freund, und dieser drückt ihn ans Herz, überhäuft ihn mit Kosenamen — »du Sonne meines Lebens, du Weide meiner Augen, meine Braut, mein Glück, meine Seligkeit«. Dann eilt der Beduine zu seinen Pferden; auch diese wiehern ihm freudig entgegen, und dann erst kommen Kinder und Frau daran. Und sie haben Recht:

      »Ein guter Hund, ein schnelles Pferd

       Sind mehr als zwanzig Frauen werth.«

      Plötzlich stand Ellen schnell auf, sprang auf ihr Rad und fuhr davon.

      Starke zeigte keine Verwunderung, blickte ihr nicht nach; er erhob sich gemächlich, klopfte die Pfeife aus und schnallte den Gürtel ein Loch enger.

      »Hassan,« sagte er dabei zu seinem Hunde, ebenfalls auf gut deutsch, »bei der sind wir Beide wieder mal in's Fettnäpfchen getreten.«

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      6. Capitel.

       Ach, wenn er doch käme.

      Ja, Ellen fühlte sich äusserst beleidigt in ihrem ganzen Geschlecht.

      Sie dachte recht vernünftig über die Frauenfrage, sie gehörte nicht zu denen, welche das Weib am Ruder der Menschheit sehen und das Vaterland vertheidigen lassen wollen, welche den Mann an den Waschtrog gestellt wissen möchten. Die Frau soll im Erwerbs- und Geistesleben jede Stellung einnehmen, zu welcher sie befähigt ist, an welcher ihr Geschlecht sie nicht hindert, in welcher sie sich kraft ihrer Geschicklichkeit und Kenntnisse behaupten kann. Dazu vielleicht noch Stimmberechtigung, besonders in gewissen Sachen. Und das kommt ja Alles von ganz allein, das ist der