Daniel Zabota

Waldfreund.in


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zum Beispiel das vom Fliegen, wofür es eigene Organisationen wie Atmosfair, Myclimate, Primaklima oder die Klima-Kollekte der Kirchen. Solche Kompensationszahlungen leisten nicht nur Einzelpersonen, sondern vor allem auch Unternehmen, viele davon spenden kräftig an „Plant-for-the-Planet“. Es ist schon fast selbstverständlich Bäume zu pflanzen und selbstverständlich damit zu werben, wie ein Baumarkt4 mit dem Spruch „Weil es richtig wichtig ist, pflanzen wir 1 Million Bäume“. Sehr viele Unternehmen einschließlich der großen internationalen Konzerne pflanzen plötzlich Bäume. Das ist sicher ernst gemeint. Trotzdem muss die Verlockung, mit dem Bäumepflanzen, was ein wahnsinnig positives Image hat, zu werben, Misstrauen wecken. Viele Unternehmen machen sich des „Greenwashing“ verdächtig, das heißt, sie hängen sich ein grünes Mäntelchen um, welches das kohlenschwarze Herz verbergen soll. Hinter der One Trillion Tree Initiative steht ja das Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum), eine Plattform der Größten aus Wirtschaft und Politik. Normalerweise treffen sie sich einmal im Jahr in Davos. Es gibt Leute, die behaupten, nur 100 große Konzerne seien für fast drei Viertel der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich5. Die Chefs dieser Konzerne tummeln sich mit großer Wahrscheinlichkeit im schönen Davos. Wer, wenn nicht sie, hätte die Gestaltungsmacht etwas zu ändern? Wäre es folglich nicht angebracht, vor das Forum zu treten und zu verkünden: Wir reduzieren unseren CO2-Ausstoß ganz schnell! Dann bräuchte man keine Bäume zu Kompensationszwecken zu pflanzen. Neulich war ein Bild in der Zeitung6, das eine Friday-for-Future-Demo zeigte. Eines der Kinder hielt ein selbstgemaltes Schild hoch, darauf stand. „Warum Klimaschutz, weil Baum.“ Nett, gell? Und genau getroffen. Unsere Aufgabe ist es nicht, Bäume zu pflanzen, um das Klima zu „schützen“ oder gar zu „retten“ – umgekehrt, unsere Aufgabe ist es, das Klima möglichst schnell durch reduzierte CO2-Emissionen zu stabilisieren, „weil Baum“. Weil auch Bäume und Wälder durch Erderwärmung und Trockenheit vor die Hunde gehen. Das heißt, wenn wir sie nicht vorher abholzen. Denn bevor das Bäumepflanzen beginnt, wäre es an der Zeit, zunächst das zu Abholzen stoppen! Die jährlichen Waldverluste sind überall auf der Welt, außer in Europa, riesig. Nehmen wir zum Beispiel Brasilien. Zwischen August 2019 und Juli 2020 sind dort 11.000 Quadratkilometer Amazonasregenwald verloren gegangen7. Das sind 1,1 Millionen Hektar, für deren Wiederaufforstung man knapp drei Milliarden Bäumchen bräuchte. Insgesamt, so der WWF, vernichtet der Mensch jährlich etwa 13 Millionen Hektar Wald8. Wobei auch der WWF die Maßeinheit „Fußballfeld“ nutzt – nämlich 35 – pro Minute! (mehr als 18 Mio. Fußballfelder jährlich). Wenn wir Menschen Pech haben (jedenfalls die meisten), ist es allerdings vielleicht schon zu spät. Nicht, die Säge zu stoppen, jedoch sich einen Effekt davon zu erhoffen: Forschende aus Frankreich wollen festgestellt haben, dass das Amazonas-Becken bereits „gekippt“ ist9. Das heißt, es gibt mehr Kohlenstoffdioxid ab (16,6 Mrd. t) als es aufnimmt (13,9 Mrd. t). Bleiben wir nüchtern und realistisch: Es ist sinnlos, einerseits dieser Waldvernichtung zuzusehen und andererseits aufforsten zu wollen. Hinzu kommt: Was vordergründig nach Ersatz oder „Kompensation“ aussieht, ist ökologisch gesehen etwas vollkommen anderes. Bei uns in Europa kommen pro Hektar Wald sechs bis acht Baumarten vor. Durch Aufforsten kann ein naturnaher Wald gelingen, weil man ja nur einen kleinen Baummix braucht. Ein natürlicher tropischer Regenwald, sogenannter „Primärwald“, zeichnet sich durch eine enorme Artenvielfalt aus. Pro Hektar wachsen da bis zu 500 verschiedene Baumarten Wenn so eine Waldfläche einmal weg ist, ist sie weg. Das kann man nicht „aufforsten“ im Sinne eines Ersatzes. Wenn schon, wäre es klüger, auf Brachen in den Tropen Soja zu pflanzen und dafür den Regenwald in Ruhe zu lassen. Am klügsten wäre es, gar kein Soja mehr als Viehfutter zu importieren und den Regenwald stehen zu lassen. Doch dann würden die Sojaexportländer sagen: „Wenn Ihr uns das Soja nicht abkauft, nehmen wir Eure Maschinen und Autos nicht, die wir dann ohnehin nicht mehr bezahlen könnten.“ Und das ist wohl der springende Punkt. Man kommt nicht drum herum: Global gesehen, gilt es erst einmal die Säge zu stoppen, wie es der WWF einmal formulierte, bevor der Spaten zum Einsatz kommt. Und schauen wir mal, bevor wir zum Spaten greifen, auf die zeitliche Dimension des Pflanzens. Leute, wir schreiben das Jahr 2022! Wir wollen, nein, wir müssen bis 2050 (die Chinesen bis 2060) klimaneutral sein. Also bleiben noch 28 Jahre. In 28 Jahren wachsen keine Baumriesen heran. Manchmal könnte man meinen, es gibt lauter Obelixe auf der Erde. Sie erinnern sich: Die Trabantenstadt. Da gibt es von Miraculix behandelte Zaubereicheln. Fallen sie auf den Boden, schießt in der nächsten Sekunde eine Rieseneiche hervor. Obelix meint dazu nur (frei übersetzt): „Pff, das ist das erste Mal, dass ich eine Eiche wachsen sehe, deshalb weiß ich nicht, mit welcher Geschwindigkeit sie normalerweise wachsen“10. Also, Obelix: Eine Eiche braucht, bis sie „groß“ ist, 180 Jahre. Sofern man unter „groß“ den wirtschaftlichen Nutzungsbeginn, der Forstwirt spricht von „Umtriebszeit“, verstehen will. Bei der Buche dauert es 120 Jahre, bei der Fichte ist es schon in 80 Jahren soweit, eine Douglasie gilt bereits mit 60 Jahren als „groß“. Natürlich muss man nicht 100 Jahre warten, bis ein Baum Kohlendioxid speichert, das tut er, sobald er fest angewachsen ist (was aber auch mehrere Jahre dauern kann). Nur ist halt jeder Baum am Anfang ein Bäumchen und die Klimawirkung entsprechend. Ein Baum muss schon eine gewisse Größe haben, um signifikant CO2 zu binden. Wie groß die im Holz gebundene CO2-Menge ist, hängt in wesentlichen von der Baumart ab. Fachleute vergleichen hier gerne Fichte und Buche11. Demnach hat eine 35 Meter hohe, 100 Jahre alte Fichte in ihrem Leben 2,6 Tonnen CO2 gespeichert, ein Buche mit demselben Holzvolumen 3,5 Tonnen. Wer die Folgen seines Tuns von heute kompensieren will, muss damit rechnen, dass ein heute gepflanzter Baum erst in frühestens 60 Jahren (oben war von 28 Jahren, die wir noch haben, die Rede), das sind zwei Generationen, so richtig CO2 bindet. Es gibt noch mehr grundsätzliche Zweifel, ob das mit dem Kompensieren durch Aufforsten funktioniert. Selbst die einfache Annahme „Viele Bäume binden viel CO2 und je mehr davon, desto besser“ stimmt möglicherweise gar nicht so linear. Forschende sind einem Phänomen auf der Spur, bei dem grüne Pflanzen eben nicht immer weiter sprießen, nur weil die Luft mehr CO2 enthält12. Die zeitliche Dimension hat außerdem noch einen zweiten Aspekt. Das klimaverträgliche CO2-Jahresbudget eines Menschen liegt bei 1,5 Tonnen13, in Deutschland sind wir bei rund 10 Tonnen. Jeder von uns benötigt also vier Fichten um den persönlichen CO2-Ausstoß zu kompensieren – und zwar 100jährige Fichten! Die ganze Aufforsterei nützt da relativ wenig. Was eher nützt, sind folgende drei Möglichkeiten: Sich so zu verhalten, dass CO2 gar nicht erst entsteht, Technologien zu nutzen, die zumindest als „klimaneutral“ gelten, oder eben die Versuche, das CO2 zu kompensieren. Letzteres bedeutet: Man lässt das Kind in den Brunnen fallen und überlegt sich dann eine Lösung. Aufforsten findet sich ganz am Ende einer langen Wegstrecke zu einem kleineren ökologischen Fußabdruck14. Nun verstellt der Blick auf Fichten und Buchen, dass es sich um eine globale Geschichte handelt. Daher kommt sicher eine große Varianz lokal angepasster Baumarten zum Einsatz. Allerdings haben die weit verzweigten, globalen Aktivitäten einen beträchtlichen negativen Nebeneffekt: Der Überblick, was, wer, wo, wann und in welcher Anzahl pflanzt, ist bisweilen schwer zu überblicken. Das macht das ganze Aufforsten relativ anfällig für Unregelmäßigkeiten aller Art. Diese Erfahrung musste auch Plant-for-the-Planet machen: In der Wochenzeitung „Die Zeit“ berichten Hannah Knuth und Tin Fischer von solchen Unregelmäßigkeiten. Titel15 des Beitrags: „Der Märchenwald“. Es heißt, die Versprechen seien zweifelhaft, die Zahlen fragwürdig und die Stiftung sei viel zu eng mit der Familie Finkbeiner verbandelt. Felix Finkbeiner hat übrigens eine Promotionsstelle in jenem Institut der ETH Zürich, das die Studie über die weltweite Aufforstung erstellt hat. Was am Ende noch zu sagen ist: Man darf getrost den Hut vor einer Initiative ziehen, die den Begriff der globalen Gerechtigkeit in die Debatte einbringt und mit so viel Enthusiasmus das Ziel verfolgt, Bäume zu pflanzen. Zumal es sich um eine von Kindern losgetretene Initiative handelt. Allerdings ist das Pflanzen von Bäumen nicht unbedingt kinderleicht. Kraft, Ausdauer und ein wenig Fachwissen gehören dazu, manchmal braucht so ein junger Baum, jeder einzelne, von einem Wald ganz zu schweigen, noch jahrelang Pflege. Nicht jedes Bäumchen wächst an, was frustrierend sein kann. Dennoch macht das Bäumepflanzen auch Spaß, ist befriedigend und meist eine gute Sache. Um das Ganze positiv zu sehen, würde ich allerdings das mit der CO2-Kompensation bzw. das Gerede vom Wald als „Klimaretter“ sein lassen. Das funktioniert nicht.