zu welcher der Ehrgeiz ihres Beschützers denselben nur immer verleiten mochte. Andrerseits waren die Mittel zu Quälerei und Bedrückung, die den großen Baronen zu Gebote standen, so vielfach und derartig, daß ihnen selten ein Vorwand und nie der Wille fehlte, jeden ihrer weniger mächtigen Nachbarn, der es wagte, sich ihrer Autorität zu entziehen und in den gefahrvollen Zeiten von den Landesgesetzen Schutz zu erwarten, in Schrecken zu setzen und bis an den Rand des Verderbens zu verfolgen.
Ein Umstand, der sehr dazu beitrug, die Tyrannei des Adels und die Leiden der niederen Klassen zu erhöhen, rührte von der Eroberung Wilhelms, Herzogs der Normandie, her. Vier Menschenalter hatten nicht hingereicht, das feindselige Blut der Normannen und Angelsachsen zu verschmelzen oder durch gemeinschaftliche Sprache und wechselseitige Interessen zwei feindliche Rassen zu einigen, von denen die eine noch immer den Stolz des Triumphes fühlte, während die andere unter den Folgen der Niederlage seufzte. Die Macht war infolge der Schlacht bei Hastings gänzlich in den Händen des normännischen Adels, und wie die Geschichtsschreiber versichern, wurde dieselbe keineswegs mit Mäßigung geübt. Das ganze Geschlecht der angelsächsischen Fürsten und Edeln war mit wenigen Ausnahmen ausgerottet oder aus seinem Erbe verdrängt; auch war die Zahl derer nicht groß, welche in dem Lande ihrer Väter Besitzungen der zweiten oder einer noch niedrigern Lehnsklasse hatten. Schon längst war die königliche Politik dahin gerichtet gewesen, durch gesetzliche oder ungesetzliche Mittel die Kraft jener Bevölkerung zu schwächen, von der man annehmen konnte, daß sie den unauslöschlichsten Widerwillen gegen ihre Besieger hege. Alle Monarchen vom normännischen Stamm hatten die unverkennbarste Vorliebe für ihre normännischen Unterthanen gezeigt; die Jagdgesetze und viele andere, die nicht weniger dem milderen und freiern Geiste der angelsächsischen Verfassung unbekannt waren, hatte man dem Nacken der unterjochten Einwohner aufgelegt, um gleichsam die Last der Lehnsfesseln noch zu vermehren. Am Hofe und in den Schlössern der Großen, wo man den Pomp und die Pracht nachahmte, bediente man sich ausschließlich des normännischen Französisch, in den Gerichtshöfen wurden die Verhandlungen und Urtheile in derselben Sprache abgefaßt. Kurz, französisch war die Sprache der Ehre, des Ritterthums und selbst der Gerechtigkeitspflege, während das bei weitem männlichere und ausdrucksvollere Angelsächsisch dem Gebrauche der Bauern und Leibeigenen überlassen wurde, die keine andere Sprache kannten. Indeß veranlaßte der nothwendige Verkehr zwischen den Herren des Bodens und jenen untergeordneten Wesen, die diesen Boden bebauten, die allmähliche Bildung eines aus dem Französischen und Angelsächsischen gemischten Dialekts, in welchem sie sich gegenseitig verständlich machen konnten, und aus dieser Nothwendigkeit entstand nach und nach die Structur des Neuenglischen, in welchem die Sprache der Sieger und der Besiegten glücklich verschmolzen ist, und die später durch die Schätze der classischen Sprachen und die der südlichen Nationen Europas so sehr bereichert und vervollständigt wurde.
Dieser große nationale Unterschied blieb bis zu den Zeiten Eduards III. bestehen, wenn auch nicht gerade Kriege oder Empörungen das Dasein der Angelsachsen bekundeten. Aber es erhielt sich eine volksthümliche, sogar in späterer Zeit noch bisweilen alliterirende Literatur neben den französisch geschriebenen Ritterromanzen, die nur dem Adel zugänglich waren.
Kapitel I
So sprachen sie, dieweil die satten Schweine Heimzogen
Abends aus dem Buchenhaine –
Mit Quieken, Grunzen, widerwill'gem Schrei'n
Ging jedes lärmend in den Stall hinein.
Popes Odyssee.
Die Sonne ging über einer der grasreichen Lichtungen jenes Waldes unter, den wir in dem Vorwort erwähnt haben. Hunderte von Eichen mit breitem Wipfel, kurzem Stamm und weit verbreiteten Aesten, die vielleicht noch den Marsch der stattlichen römischen Legionen gesehen hatten, streckten ihre knorrigen Arme über einen dichten Teppich frischen Rasens aus. An einigen Stellen waren sie mit Buchen, Stechpalmen und so dichtem Unterholz vermischt, daß die schrägen Strahlen der untergehenden Sonne nicht hindurchdrangen; an anderen Stellen standen sie weit auseinander und bildeten jene langen Fernsichten, in deren Irrgängen das Auge sich mit Entzücken verliert, während die Phantasie dieselben als die Pfade zu noch wilderen Scenen der Waldeinsamkeit betrachtet. Hier verbreiteten die rothen Strahlen der Sonne ein gebrochenes Licht, welches zum Theil an den belaubten Aesten und moosbewachsenen Stämmen der Bäume hing, zum Theil einzelne Stellen des Rasens beleuchtete. Ein freier Baum in der Mitte dieser Lichtung schien den Gebräuchen druidischen Aberglaubens geweiht gewesen zu sein, denn auf dem Gipfel eines kleinen regelmäßigen und darum fast künstlich zu nennenden Hügels zeigte sich noch der Rest eines Kreises von rauhen, unbehauenen Steinen, deren ungeheure Größe auffiel. Sieben standen aufrecht, die übrigen waren wahrscheinlich durch den Eifer eines zum Christenthum Bekehrten umgestürzt und lagen theils in der Nähe ihrer früheren Stelle, theils am Abhang des Hügels. Nur ein einziger großer Stein war bis an den Fuß herabgestürzt und hemmte den Lauf eines kleinen Baches, der sich friedlich um die Erhöhung wand, und verlieh durch seinen Widerstand dem ruhigen und sonst stillen Bächlein eine murmelnde Stimme.
Die beiden menschlichen Gestalten, die diese Landschaft belebten, theilten hinsichtlich ihrer Kleidung und ihres Ansehens den wilden und ländlichen Charakter, der dem Gehölze von West Riding (Yorkshire) zu jener Zeit eigen war. Der ältere von diesen Männern hatte ein wildes und finsteres Aussehen. Seine Kleidung war von der einfachsten Art, die man denken kann. Sie bestand in einer eng anschließenden Jacke mit Aermeln, die aus einem gegerbten Thierfelle verfertigt war, an welchem man ursprünglich das Haar gelassen hatte. Doch da es an vielen Stellen abgescheuert war, so konnte man an den wenigen noch übrigen Haarbüscheln nur mit Schwierigkeit unterscheiden, welchem Thiere es angehört hatte. Dieses Kleid reichte dem Manne der Vorzeit vom Halse bis an die Kniee, und war das einzige, welches er trug. Am Halse befand sich eine Oeffnung, die nur groß genug war, um den Kopf durchzulassen, woraus man schließen konnte, daß er es nach Art eines heutigen Hemdes oder einer alterthümlichen Halsberge anlegte, indem er es über Kopf und Schultern zog. Sandalen, mit Riemen von Eberfell festgebunden, schützten seine Füße, und eine Rolle dünnen Leders war künstlich um seine Beine gewickelt, die bis über die Wade ging und wie die eines schottischen Hochländers die Kniee bloß ließ. Um die Jacke fester um den Leib zusammenzuziehen, war sie in der Mitte von einem breiten ledernen Gürtel gehalten und mit einer kupfernen Schnalle versehen. An der einen Seite desselben war eine Tasche befestigt, und an der andern hing ein Bockshorn, mit einem Mundstück, um darauf zu blasen. In demselben Gürtel stak eins von jenen langen, breiten, scharf zugespitzten, zweischneidigen Messern, mit einem Griffe von Bockshorn, wie sie in der Gegend, selbst zu jener frühen Zeit, unter dem Namen Sheffielder Messer fabricirt wurden. Der Mann trug keine Kopfbedeckung. Sein Haupt wurde bloß durch sein eigenes dichtes Haar beschützt, welches verschlungen und zusammengefilzt war. Es hatte von der Sonne eine rostige dunkelrothe Farbe angenommen und bildete einen Gegensatz zu dem mächtigen Barte an seinen Wangen, der von gelblicher Farbe war. Nur ein Theil seiner Kleidung blieb bis jetzt unerwähnt, der zu merkwürdig ist, um übergangen zu werden. Es war dies ein kupferner Ring, einem Hundehalsband nicht unähnlich, doch ohne Oeffnung und um seinen Hals so lose festgelöthet, daß er ihn nicht am Athmen hinderte, aber doch so dicht anliegend, daß er ohne Anwendung einer Feile nicht abgenommen werden konnte. Auf diesem seltsamen Halsschmucke war in angelsächsischen Runen eine Inschrift folgenden Inhalts eingegraben: »Gurth, der Sohn Beowulfs, ist der geborne Leibeigene Cedrics von Rotherwood.«
Neben dem Schweinehirten, denn ein solcher war Gurth, saß auf einem der umgestürzten druidischen Denkmäler ein Mann, dem Ansehen nach etwa zehn Jahre jünger, dessen Kleider, obgleich denen seines Gefährten ähnlich, von etwas besserem Material, jedoch phantastischer, waren. Seine Jacke war von heller Purpurfarbe, auf die man versucht hatte, groteske Zieraten in verschiedenen Farben zu malen. Außer der Jacke trug er noch einen kurzen Mantel, der kaum bis zur Hälfte über seine Schenkel reichte. Er war von hochrothem Tuch, ziemlich beschmutzt, und mit einem hellgelben Besatze versehen; da er ihn von einer Schulter auf die andere legen oder nach Gefallen ganz um sich zuziehen konnte, weil die Weite mit der Kürze in keinem Verhältniß stand, so bildete derselbe ein seltsames Stück Draperie. Er trug dünne silberne Armbänder und ein Band von demselben Metall um den Hals, auf welchem die Inschrift stand: »Wamba, der Sohn des Witleß, ist der Leibeigene Cedrics von Rotherwood.«